Hagen. Der Ruhrverband lässt das Abwasser der Region auf Coronaviren prüfen. Was sich die Forscher von der Analyse erhoffen und wie sie abläuft.

Es ist noch längst nicht vorbei. Spätestens seit dem Ausbruch in Ostwestfalen ist klar, dass das Coronavirus eine Bedrohung bleibt. Und dass jedes Instrument wichtig ist, um es in Schach zu halten. Das Abwasser bietet eine Möglichkeit dazu, sagt Prof. Norbert Jardin, Vorstandsvorsitzender des Ruhrverbands. Dieser stellt Abwasserproben für europäische Forschungsprojekte zur Verfügung.

Was bringt die Untersuchung des Abwassers auf das Coronavirus?

Norbert Jardin: Bestenfalls lässt sich das als Frühwarnsystem einsetzen. Denn erwiesen ist, dass es einen Zusammenhang zwischen der Viruslast im Abwasser und der Zahl der Infizierten im dazu gehörigen Einzugsgebiet gibt. Das wissen wir schon von anderen viralen Infektionen wie Polio- oder Masernviren. In Sachen Coronavirus aber haben holländische Forscher überraschende Erkenntnisse generiert.

Welche?

Sie begannen bereits im Februar mit der Analyse des Abwassers und führten die Tests bis in die Hochphase weiter. Der Verlauf der Pandemie ließ sich so sehr gut nachvollziehen. Aber eben nicht nur das: An der Kläranlage in Amersfoort konnte das Coronavirus schon am 5. März nachgewiesen werden. Die erste Coronavirus-Infektion wurde dort aber erst am 11. März, also knapp eine Woche später, gemeldet. Das ist ein erstaunlicher Effekt.

Prof. Norbert Jardin, Vorstandsvorsitzender des Ruhrverbandes.
Prof. Norbert Jardin, Vorstandsvorsitzender des Ruhrverbandes. © FUNKE Foto Services | STEFAN AREND

Hätte mit systematischen Abwasseruntersuchungen ein Ausbruch wie bei der Firma Tönnies früher erkannt werden können?

Wenn bereits Standarduntersuchungen und valide Beurteilungsmaßstäbe für die Bewertung vorliegen würden, hätten Warnhinweise früher erfolgen können. Inwieweit größerer Schaden hätte abgewendet werden können, hängt stark von den Handlungsalternativen und deren konsequenter Umsetzung ab.

Wie läuft die Probe ab?

Zunächst wird die Probe aus dem Zulauf einer Kläranlage entnommen. Danach gibt es derzeit noch verschiedene Ansätze der Probenvorbereitung, zum Beispiel die Gefriertrocknung, bei der der Probe Wasser entzogen wird und der trockene Rest gemahlen und analysiert wird. Andere Möglichkeiten sind die Bearbeitung mit Zentrifugen oder per Filtrierung.

Was ist die größte Herausforderung derzeit?

Eine standardisierte Vorbereitungsmethode der Proben zu entwickeln. Daran arbeiten derzeit fast alle Forschergruppen. Aus einer größeren Menge Abwasser müssen die entscheidenden Genbestandteile herausgefiltert und konzentriert werden.

Welche exakten Rückschlüsse erlaubt die Viruslast im Abwasser?

An dieser Frage arbeiten alle Forschergruppen ebenfalls mit Hochdruck. Wir sind noch nicht an dem Punkt, an dem wir sein wollen. Der wäre: Wir messen zum Beispiel in Hagen oder Olpe oder Arnsberg die Viruslast X und können von diesem Wert aus berechnen, wie viele Infizierte es im Einzugsgebiet gibt. Das aber wäre das Ziel und ich bin sehr zuversichtlich, dass wir es noch erreichen werden.

Was würde denn aus diesem Wissen – erhöhte Zahl an Infizierten in Hagen, Arnsberg oder Olpe – konkret folgen?

Sollte sich bei regelmäßigen, sagen wir wöchentlichen Messungen eine Steigerung der Viruslast im Abwasser ergeben, müsste dies seitens der Gesundheitsbehörden aufgegriffen werden. Das kann einerseits dazu führen, dass zum Beispiel verstärkt Tests durchgeführt werden.

Andererseits?

Jetzt sind wir sehr im spekulativen Bereich. Aber es ist zum Beispiel nicht unüblich, sich im Abwasser auf die Suche nach anderen interessanten Stoffen zu machen, zum Beispiel Drogen. In Projekten in der Schweiz wurden dazu nicht nur Proben an der zentralen Kläranlage genommen, sondern auch an anderen Stellen im Kanalisationsnetz des Einzugsgebiets. Damit lässt sich die Belastung geographisch sehr viel genauer bestimmen.

Wann glauben Sie ist dieses Frühwarnsystem ausreichend entwickelt, um es einzusetzen?

Prognosen sind schwierig. Wenn ich versuche, realistisch zu sein, dann wird es mindestens noch drei bis sechs Monate dauern, bis wir eine europaweit einheitliche Methodik entwickelt haben.

Neben Corona gibt es eine weitere Bedrohung, mit der sich der Ruhrverband beschäftigen muss: den Klimawandel.

Wir zweifeln in keiner Weise daran, dass der Klimawandel Deutschland und das Ruhreinzugsgebiet erreicht hat. Zahlen verdeutlichen dies. Die zehn wärmsten Jahre, die es seit dem Beginn der Wetteraufzeichnungen im Jahre 1881 gab, fallen in die letzten 20 Jahre. Wir verzeichnen zudem gerade das elfte Jahr in Folge, in dem es weniger Niederschlag gab als im langjährigen Mittel. Das hat es noch nie gegeben und versetzt uns langfristig in Sorge.

Die Hennetalsperre bei Meschede gehört zu den acht Talsperren des Ruhrverbandes.
Die Hennetalsperre bei Meschede gehört zu den acht Talsperren des Ruhrverbandes. © www.blossey.eu | Hans Blossey

Wie sieht es denn derzeit in den Talsperren aus?

In diesem Jahr – das ist die gute Nachricht – sieht es beruhigend aus. Wir liegen derzeit bei 84 Prozent vom Vollstau. Das ist zwar etwas weniger als im langjährigen Mittel, aber daraus leiten wir die Botschaft ab: Für diesen Sommer ist die Trinkwasserversorgung an der Ruhr gesichert, egal wie sich das Wetter in den nächsten Monaten entwickelt. Die überdurchschnittlichen Niederschläge im Februar haben den Wasserschatz in den Talsperren gefüllt. Andererseits: Die Geschwindigkeit, mit der die Füllstände schon wieder absinken, ist bemerkenswert. Im März lagen wir noch bei 96 Prozent Füllstand.

Droht die Ruhr irgendwann in Zukunft trocken zu fallen?

Solange wir die Talsperren haben, nicht. Wir schauen uns ja auch an, wie der Abfluss der Ruhr aussähe, wenn wir den Zufluss der Talsperren nicht hätten. Im Jahr 2018 wäre die Ruhr in Schwerte ab Juni 2018 bis zum Winter fast durchgehend trockengefallen. Es ist also ein Glücksfall, dass unsere Vorväter Talsperren geplant und gebaut haben. Dort speichern wir im Winter das Wasser, um es im Sommer der Ruhr zuzufügen.

Trotzdem wird das Wasser manchmal zum raren Gut.

Dann reduzieren wir nach Rücksprache mit den entsprechenden Behörden die gesetzliche geforderte Fließmenge an den beiden Messpunkten der Ruhr in Schwerte und Duisburg. Diese Maßnahme haben wir im vergangenen Jahr im September ergriffen, um die Vorräte in der Möhne, der Sorpe und der Henne deutlich zu schonen. Und auch jetzt ist der Zeitpunkt Gespräche über diese Maßnahme zu führen. Wann mit einer Genehmigung zu rechnen ist, können wir nicht abschätzen.

<<< Weitere Infos zum Thema >>>

Derzeit liefert der Ruhrverband regelmäßig, aber nicht täglich Proben von einem Teil seiner 63 Kläranlagen zum Beispiel ans Forschungsinstitut der RWTH Aachen.

In der größten Kläranlage in Duisburg kommt das Abwasser von bis zu 400.000 Einwohnern an. Die beiden kleinsten Kläranlagen des Ruhrverbands sind Dortmund-Klusenberg und Schmallenberg-Wormbach mit Anschlussgrößen von 80 bzw. 350 Einwohnerwerten