Hagen/Schwelm. Abi 2020 – das heißt Prüfungen im Ausnahmezeiten und keine Feiern. Aber geht es dem Abschluss 2021 nicht viel schlimmer? Das sagen Schüler.
Karla Hecker protestiert nicht, wenn man ihr sagt, dass sie und ihre Mit-Abiturienten als Corona-Jahrgang in die Annalen eingehen werden. „Wir haben ja tatsächlich Gravierendes erlebt“, sagt sie: „Ein Abitur unter erschwerten Bedingungen. Eigentlich haben wir eine Extraportion Anerkennung verdient.“
Aber ist es am Ende doch vielmehr der Abitur-Jahrgang im nächsten Jahr, der die größten Herausforderungen zu stemmen hat? Denn während für den Jahrgang „Abi 2020“ im März die Schulschließung mit dem ohnehin anstehenden letzten Schultag zusammentraf, fehlt dem Jahrgang „Abi 2021“ echte Unterrichtszeit, die jetzt aufgeholt werden muss. Vier Schüler und ihre Empfindungen.
Das sagt der Jahrgange „Abi 2020“
Karla Hecker hatte sich den Sommer ihres Lebens ganz anders vorgestellt. „Das kann es doch nicht gewesen sein, dass 13 Jahre Schule, ein ganzer Lebensabschnitt, auf diese Weise enden“, sagt die Abiturientin der Gesamtschule in Hagen-Eilpe. Was hatte sich die 19-Jährige auf die Motto-Woche kurz vor den Abitur-Prüfungen gefreut. „Ein absolutes Highlight in der Schullaufbahn. Wenn man so will, wartet man 13 Jahre darauf.“
Die 19-Jährige aus Hagen ist eine von 90.000 Schülerinnen und Schülern in NRW, die in der Corona-Krise ihr Abitur bauen mussten. „Es war ein Wechselbad der Gefühle. Das Hin und Her in der Politik und die Ungewissheit haben uns sehr zu schaffen gemacht.“ Dennoch: Karla Hecker haben die Umstände mit Blick auf die um drei Wochen verschobenen Abitur-Prüfungen sogar eher angespornt: „Ich habe fleißig gelernt. Ich habe das Ganze als Herausforderung aufgefasst.“
Eine Herausforderung ist auch die Absage des Abi-Balls. Die Planungen waren schon weit fortgeschritten. „Mit den derzeitigen Abstands- und Hygiene-Regeln ist eine solche Veranstaltung nicht machbar“, sagt sie. Am 1. September beginnt die Hagenerin ein Duales Studium. Zwischen Zeugnisausgabe und Studienbeginn, so war es geplant, wollte Karla Heckers Schul-Clique möglichst viel Zeit miteinander verbringen. Eine Art emotionales Abschiednehmen mit dem Wissen, sich in Zukunft nicht mehr so häufig zu sehen. Die Corona-Regeln schränken das ein. Aber: „Wir werden es trotzdem unter Einhaltung aller Auflagen irgendwie schaffen, das Abitur zu feiern.“
Das versucht Sina Stiller ebenfalls. Und doch gibt die 18-jährige Abiturientin des Märkischen Gymnasiums Schwelm ehrlich zu: „In der Corona-Krise kann man den Schulabschluss nicht so genießen wie zu normalen Zeiten.“ Wie ein Stich ins Herz sei ihr und den mehr als 100 Mitschülerinnen und Mitschülern des Abitur-Jahrgangs die Absage der Motto-Woche vor den Osterferien vorgekommen: „Wie wir uns verkleiden, welche Aktionen wir starten – es stand alles fest.“
Dieser Nackenschlag und auch die fehlende Vorfreude auf einen Abi-Ball hätten bei vielen Abiturienten Motivationsprobleme beim Lernen verursacht. „Einige in der Jahrgangsstufe haben gedacht, dass die Klausuren ausfallen und sich darauf verlassen. Sie haben dann erst sehr spät mit dem Lernen begonnen.“
In Schwelm ist es Tradition, dass die Zeugnisausgabe in der Christuskirche stattfindet. Ein besonders festlicher Rahmen. Auch das geht in diesem Jahr nicht. Das Abi-Komitee sei derzeit in Gesprächen mit der Schulleitung: „Wahrscheinlich wird die Veranstaltung in unserem Gymnasium stattfinden.“ Für den lange und liebevoll geplanten Abi-Ball haben die kreativen Schwelmer eine Alternative stehen: Gefeiert wird nun am 18. Dezember, ein Winterball zu Ehren – und dann schon in Erinnerung – dieser besonderen Abiturprüfung.
Sina Stiller beginnt am 1. September eine Ausbildung zur Industriekauffrau. Zuvor wollte die Schwelmerin Ende Mai mit „elf Leuten“ zum Urlaub und Feiern in die Niederlande fahren. Es ist nichts daraus geworden. „Corona hat bei allen in der Jahrgangsstufe Spuren hinterlassen. Wir haben erfahren müssen, wie machtlos man sein kann.“
Das sagt der Jahrgange „Abi 2021“
Das Abitur liegt noch vor ihm: Claudius Kaspar (17) aus Winterberg, der auf das Geschwister-Scholl-Gymnasium geht, hat erst nächstes Jahr Prüfungen. Er denkt aber schon jetzt, dass die Corona-Zeit eine Hypothek sein wird: „Wir haben einen gewaltigen Nachteil durch die Pandemie, sofern die Lehrpläne, vor allem die, die für uns zukünftigen Abiturienten von Bedeutung sind, nicht angepasst werden.“ Durch das Homeschooling sei sehr viel Zeit verloren gegangen. „Wir waren online ständig mit unseren Lehrkräften in Kontakt. Ich denke auch, dass unser Gymnasium diese Lage bestmöglich absolviert. Allerdings ist der Präsenzunterricht mit einer motivierenden Lehrkraft durch nichts zu ersetzen.“
Am anstrengendsten, sagt Leandro May, sei das Hin und Her der vergangenen Wochen. „Wir sind der vergessene Jahrgang“, fürchtet der Schüler- und Stufensprecher des Reichenbachgymnasiums Ennepetal. Er spürt der Stimmung in seiner Stufe, der Q1, das ist der elfte Jahrgang, sehr gut nach. „Am Anfang dachten wir, dass es nach den Osterferien wieder losgeht.“ Dann aber waren die Ferien vorbei, von Normalität war aber keine Spur. Seit drei Wochen hat die Q1 nun wieder Präsenzunterricht. „16 Stunden, normalerweise habe ich 36.“ Grundsätzlich kam er gut klar
mit dem Homeschooling – auf Dauer sei es aber keine Alternative. Vor allem treibt ihn und seine Mitschüler um, dass sie nicht wissen, ob die Anforderungen an das Abitur noch verändert werden.
Was es wohl nicht geben wird, sind die für September geplanten Stufenfahrten. Leandro wollte mit seinem Englisch-Leistungskurs nach London. „Maximal innerhalb Deutschlands“, werde wohl erlaubt. Hat er gehört. Und auch alle Planungen für Feiern, Finanzierungsfeste – sind zunächst bei den Akten. Und keiner kann ihnen sagen, was sie wann planen sollen.