Ennepetal. Die Schausteller sind zur Untätigkeit verdammt. Ohne staatlichen Corona-Rettungsschirm, so befürchten sie, wird es bald keine Kirmes mehr geben.

Andreas Alexius ist dazu da, anderen Menschen eine Freude zu bereiten. „Ein Kirmesbesuch wirkt für viele wie ein Antidepressivum“, sagt der 47 Jahre alte Betreiber eines Autoskooters. Doch seit Beginn der Corona-Krise sind die traditionsreichen Volksfeste bundesweit abgesagt.

Schausteller haben keine Einnahmen und kämpfen ums Überleben. Wenn seine Branche nicht unter einen staatlichen Corona-Rettungsschirm kommt, sagt Alexius, werden massenhaft Betriebe sterben. „Dann wird es in Zukunft keine Kirmes mehr geben, wie wir sie kennen.“

Keine unbeschwerten Stunden auf dem Rummelplatz

Der Schausteller aus Ennepetal ist zur Untätigkeit verdammt. „Das Vergnügen darf nicht stattfinden“, sagt er, „dabei wäre es gerade jetzt so wichtig für die Leute, dem Corona-Monster wenigstens für ein paar unbeschwerte Stunden die Stirn zu bieten.“

Schausteller sind von Natur aus Optimisten. „Ich bin sogar ein großer Optimist“, sagt Andreas Alexius, „für mich gilt immer: wird schon!“ Doch jetzt sitzt der Schausteller auf einer Hollywood-Schaukel hinter seinem Wohnhaus und zweifelt, ob es tatsächlich ein Happy-End geben kann. „Ich habe große Angst, dass mein Betrieb die Corona-Krise nicht überleben wird.“

Eigentlich ständig auf Achse

Alexius zeigt auf ein Beet: „Ich bin seit 30 Jahren dabei. Die Blumen hier nebenan habe ich noch nie wachsen sehen.“ Ostern beginnt üblicherweise die Kirmes-Saison, dann wird der Auto-Skooter von Volksfest zu Volksfest gebracht.

Und jetzt: nichts. Alles abgesagt. Keine Kirmes, keine Einnahmen. Ein finanzieller Totalausfall. Die laufenden Kosten im fünfstelligen Bereich pro Monat bleiben.

Kredite für die Lebenshaltung

Kredite der KfW-Bank, für Investitionen gedacht, müssen Andreas Alexius, seine Ehefrau und die beiden Söhne jetzt für die Lebenshaltung nutzen. „Ich weiß nicht, wie und wann ich die Kredite abbezahlen kann.“

Kollegen von ihm hätten ihre Situation als „programmierte Insolvenz“ bezeichnet. Alexius: „Unser Betrieb war immer solvent. Corona zieht uns die Füße weg.“ Mit Wehmut denkt er an die letzte große Einnahmequelle zurück: der Hagener Weihnachtsmarkt, auf dem traditionsgemäß das nostalgische Kinderkarussell der Alexius GmbH seine Runden dreht.

Drive-In-Kirmes: Eine Form der Schadensbegrenzung

Not macht in Corona-Tagen besonders erfinderisch: Schausteller haben in den vergangenen Wochen in verschiedenen Städten im Bundesgebiet Drive-In-Kirmessen organisiert. Das Prinzip: Man fährt mit dem Auto vor und kann Ess- oder Trinkbares ordern. Es fehlen aber Fahrgeschäfte.

In Menden wurde Ende Mai die erste Drive-In-Kirmes eröffnet.
In Menden wurde Ende Mai die erste Drive-In-Kirmes eröffnet. © Tobias Schürmann | Tobias Schürmann

In Menden ersetzte diese Form die Pfingstkirmes. Organisator Frank Foulon verkaufte Mandeln und Süßwaren und war zufrieden. Im Vergleich zu einem normalen Pfingstkirmes-Wochenende habe man immerhin etwa 40 Prozent der sonstigen Umsätze eingefahren.

Auf der Suche nach Einnahmequellen

Für Schausteller Andreas Alexius dienen solche Alternativen der Schadensbegrenzung: „Es ist wie der Griff an die Reißleine eines Fallschirms – um nicht abzustürzen.“ Viele Schausteller müssten sich Einnahmequellen suchen, „um sich derzeit überhaupt Lebensmittel kaufen zu können“.

Albert Ritter, Präsident des Deutschen Schaustellerbundes, sieht Alternativ-Konzepte wie eine Drive-In-Kirmes nur als Notlösung: „Für die Schausteller und ihre Familien geht es um ihre Existenz, da muss man aus der Not heraus handeln.“

Forderung: Volksfeste zeitnah wieder zulassen

Er fordert, diese Volksfeste zeitnah wieder zuzulassen: Wenn Freizeitparks öffneten, oder Kneipen in einer Altstadt – „mit welchem Recht untersage ich dann Volksfeste mit Kinderkarussells und anderen Fahrgeschäften?“

Das fragt sich auch Andreas Alexius: „Wenn es Profis gibt, die sich mit der Umsetzung von Hygiene- und Sicherheitsauflagen auskennen, dann sind das Schausteller.“

Schon lange kein Selbstläufer mehr

Ein Autoskooter, wie der von Andreas Alexius, übt schon immer auf Heranwachsende eine große Faszination aus. Am Rand wird das erste zarte Band geknüpft, auf der Fahrfläche „ein Stück Freiheit erlebt, indem man sich selbstständig fortbewegt“.

Doch ein Selbstläufer ist ein Autoskooter schon lange nicht mehr. Wie bekommt man Kinder und Jugendliche in die Welt der bunten Wagen, wenn die ihr Erspartes lieber für Smartphones ausgeben? „Man muss mit der Zeit gehen“, sagt Andreas Alexius, „das heißt: hohe Investitionen.“ Größere Rücklagen zu bilden, sei vor diesem Hintergrund schwierig.

Anlage im Wert eines Einfamilienhauses

Was es bedeutet, ein Traditions-Fahrgeschäft modern aufzustellen, zeigt sich auf dem großen Platz vor dem Wohnhaus in Ennepetal. Alexius öffnet eine Seitentür des großen Lkw-Aufliegers mit integriertem Kassenhäuschen und zeigt auf den 270 Kilo schweren Autoskooter-Wagen im Formel-1-Look. Anschaffungskosten: mehr als 800 Euro.

28 solcher Wagen, jedes mit einem anderen Motiv, zählen zum Fuhrpark. „Rechnet man den zweiten Lkw-Auflieger hinzu“, sagt der 47-Jährige, „kommt man für unseren New-Music-Skooter auf den Betrag für ein Einfamilienhaus.“ Seine Anlage gehöre zu den modernsten weltweit, sie sei mit minimalem Aufwand auf- und abzubauen.

Schausteller mit Leib und Seele

Andreas Alexius ist mit Leib und Seele Schausteller: „Es ist eine Lebenseinstellung.“ Wenn er in seinem Kassenhäuschen sitzt und vor Fahrtbeginn seinen Standardsatz aufsagt – „Vorsicht auf die Füße“ –, ist er in seinem Element.

Jetzt sitzt er in seiner Hollywood-Schaukel und betet täglich, wie er sagt, dass seine Branche unter einen staatlichen Rettungsschirm kommt.

Vier Wochen Autokino

Um „nicht unterzugehen“, hat der Vorsitzende des Hagener Schaustellervereins im kompletten Mai in Ennepetal ein Autokino veranstaltet. In den ersten beiden Wochen habe man die Kosten gedeckt. „Aber letztlich haben wir uns mehr davon versprochen. Die Konkurrenz an Autokinos in der Corona-Krise ist einfach zu groß.“

Andreas Alexius versucht alles, damit die blinkenden Lichter an seinem Fahrgeschäft nicht ausgehen. Der Autoskooter ist für ihn mehr mehr als ein Arbeitsgerät. Der 47-Jährige weiß alles rund um den Evergreen, spricht Skooter mit o aus und legt Wert auf die Schreibweise: „Bitte mit k und nicht mit c.“

Ein deutsches Kulturgut

Eine Kirmes ist deutsches Kulturgut. „Ein sozialer Treffpunkt für Menschen“, sagt Andreas Alexius, „enorm wichtig für die Gesellschaft.“ Der Ennepetaler wippt aufgeregt in seiner Hollywood-Schaukel: „Man kann doch eine 400 Jahre alte Tradition nicht einfach so untergehen lassen.“