Hagen. Corona trifft die Kulturszene besonders hart. Wie sieht die Lage in Südwestfalen aus? Eine Erkundung

Die Kreativwirtschaft ist einer der dynamischsten Wirtschaftszweige in Deutschland. In der Wertschöpfung rangiert sie an zweiter Stelle nach der Autoindustrie. Corona hat diese Branche über Nacht lahmgelegt – und keiner kriegt es mit. Freischaffende Künstler, Tontechniker, Fotografen, Veranstalter, DJs: Sie alle können - vielleicht auf längere Sicht - nicht arbeiten. Wie sieht die Situation in Südwestfalen aus?

„Es sind die Kulturschaffenden, welche die Leute unterhalten und aus ihren Depressionen holen“, analysiert Susanne Thomas, Projektleiterin der Kulturregion Südwestfalen in Altena. „Wenn man nirgendwo mehr hingehen kann, kein Festival, kein Konzert, kein Theater, dann fällt einem erst auf, was fehlt.“

Stark differenzierte Branche

Die Branche ist stark differenziert. Neben den öffentlichen Einrichtungen wie Theatern und Museen und ehrenamtlich getragenen Vereinen prägt die freie Szene die Kulturlandschaft. Freischaffende Künstler, Schauspieler, Musiker, Sänger, Chorleiter, Dirigenten, Arrangeure, Soloselbstständige und Kleinstbetriebe aller Art, ob im Multimediabereich oder in der breitgefächerten Veranstaltungswirtschaft: Gerade diese Differenzierung gilt als Motor einer dynamischen und innovativen Entwicklung.

Doch für Corona ist sie besonders anfällig. Den Fotografen kommen die Hochzeiten abhanden, den DJs und Dirigenten die Schützenfeste, den freien Sängern der Theaterbetrieb und den Tourtechnikern die Festivals. So geraten zahlreiche Freischaffenden und ihre Familien in existenzielle Not. Für die staatlichen Hilfsprogramme gibt es neben Lob auch laute Kritik. Die entzündet sich an der Befürchtung, dem Kultursektor würde die Systemrelevanz abgesprochen.

458 Anträge auf Soforthilfe

„Von Kollegen höre ich, dass es in den Großstädten richtig Theater wegen der Fördermittel gibt“, sagt Susanne Thomas. „Aber bei uns in Südwestfalen ist alles ruhig. Die Freischaffenden klagen nicht, sondern versuchen, die Situation irgendwie kreativ zu meistern.“ Es gibt keine Zahlen, wie viele Freischaffende in Südwestfalen von der Kreativwirtschaft leben. Bei der Bezirksregierung Arnsberg sind bis zum 13. Mai 458 Anträge auf Soforthilfe des NRW-Kultusministeriums für freischaffende Künstler bewilligt worden, darüber hinaus sind 1200 weitere Anträge eingegangen, die erst bearbeitet werden können, wenn in den nächsten Tagen die neue zweite Förderungsrunde startet, so Sprecherin Ursula Kissel.

Weiterhin stellen viele Kleinunternehmer aus der Kreativwirtschaft Anträge auf NRW-Soforthilfe. Die Zahlen werden jedoch nicht gesondert erfasst. Bis zum 1. April haben 225.000 Unternehmer in NRW Soforthilfe beantragt, 86 Prozent von ihnen sind Soloselbstständige. Der Kulturrat NRW bietet freien Kulturschaffenden eine Sprechstunde zu den Fördermöglichkeiten an. (www.kulturrat-nrw.de) „Viele Einzelkünstler haben Probleme“, weiß Susanne Thomas, „viele haben aber auch die Landes-Unterstützung erhalten und sind sehr dankbar, weil das total schnell ging. Hut ab.“

Keine goldenen Nasen

Für die Maler und Bildhauer hat sich vielleicht am wenigsten geändert, da sie weiterhin in ihren Ateliers arbeiten können, selbst wenn mit den Ausstellungen wichtige Absatzmärkte weggebrochen sind. Für Chorleiter und Dirigenten sowie Veranstalter sieht es hingegen schlecht aus, da an Konzerte und Open Airs in diesem Sommer nicht mehr zu denken ist. „Es war ja schon immer schwierig, in Südwestfalen von der Kunst zu leben. Man muss immer gucken, dass man noch ein zweites Standbein hat. Wir sind es im Grunde gewohnt, mit einer schwierigen Situation fertig zu werden. In unserer Region gibt es viel Pragmatismus und wenig vergoldete Nasen“, weiß Susanne Thomas, ergänzt aber: „Alle sind sich einig, dass der Crash noch kommt, in zwei bis drei Monaten. Dann wird es wichtig sein, Strukturen aufrecht zu erhalten. Bei den Freien und bei den Vereinen, die zwar nicht Not leiden, denen aber alles, was sie in den letzten Jahren aufgebaut haben, zusammenklappt.“

Nebenwirkungen für Vereine

Denn noch ist unklar, wie hart der Zusammenbruch des Veranstaltungswesens rückwirkend die ehrenamtlich geführten Vereine trifft. Oftmals sind es Straßenfeste oder Kartoffelbraten, bei denen das Jahresgehalt der Kinderchorleiterin einverdient wird. Andererseits: „Die Vereine haben jetzt mal Zeit, sich um neue Konzepte zu kümmern. Dafür gibt es auch Fördermittel“, betont Susanne Thomas.

Die Kulturmanagerin berät in Corona-Zeiten weiterhin über Fördermöglichkeiten – allerdings jetzt verstärkt mit Webinaren (www.kulturregion-swf.de). Auch für das Projekt Kulturregion sorgt sich Susanne Thomas um die langfristigen Nebenwirkungen von Corona. „Wir müssen fürchten, dass unsere Sponsoren aus der Wirtschaft wegfallen. Es sind noch viele Fragen offen.“