Brilon/Hagen/Paderborn. Der berühmte Paderborner Hochaltar wird bei einem Luftangriff in Fetzen zerrissen. Jetzt wird das Puzzle von Paderborn restauriert

Die schöne Maria Magdalena mit den blonden Locken hat sich Pfarrer Bernward Silberg aus Brilon geschnappt und das Köpfchen vom Jesuskind noch dazu. Die gemalten Fetzen lagen fast vergessen im Kartoffelkeller des Paderborner Dompropstes. Sie waren einmal Teile der berühmten barocken Altartrias - mit monumentalem Hochaltar und zwei Seitenaltären - im Paderborner Dom, geschaffen 1655 bis 1661 von den Antwerpener Künstlerbrüdern Antonius und Ludovicus Willemssens.

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Eine Luftmine riss kurz vor Kriegsende die prächtigen Leinwandgemälde in Hunderte von Einzelteilen. Jetzt werden sie für die große Ausstellung „Peter Paul Rubens und der Barock im Norden“ als das Puzzle von Paderborn computergestützt restauriert.

Wie ein Abenteuerroman

Bomben haben vor 75 Jahren das barocke Altarbild im Dom in hunderte Schnipsel zerfetzt.
Bomben haben vor 75 Jahren das barocke Altarbild im Dom in hunderte Schnipsel zerfetzt. © Andreas Buck / FUNKE Foto Services | Andreas Buck

Das Schicksal des Kunstwerks liest sich wie ein Abenteuerroman. Der Christuskopf, der von Paderborn nach Brilon kam, gehört zum Beispiel zum Paderborner Liborius-Seitenaltar, der restauriert seit 1993 als Hochaltar in St. Marien in Hagen steht. Dort wurde das Köpfchen nachgezeichnet. Jetzt ist das Original wieder da. Aber einige Puzzlestücke fehlen immer noch.

Warum gibt man sich so viel Mühe mit einem alten Schinken, der in seiner barocken Üppigkeit nicht nur Bewunderer findet? Für Prof. Dr. Christoph Stiegemann, den Direktor des Diözesanmuseums, hat der Hochaltar herausragende Bedeutung. Er steht für einen grundlegenden Wandel in der sakralen Architektur und Kunst der Gegenreformation, als man die Lettner herausriss und die Blicke der Betenden wie in einer Theaterinszenierung nach vorne auf das Allerheiligste lenkte. Die barocken Meister haben den Schauwert des katholischen Glaubens der Wortorientierung des Protestantismus entgegengesetzt.

Als Paderborn protestantisch war

In Paderborn war das nötig. Denn um 1550 bekannten sich 85 Prozent der Bevölkerung der einst erzkatholischen Kommune zur lutherischen Konfession. 1577 wurde Heinrich von Lauenburg zum Bischof von Paderborn ausgerufen. Er ritt mit seiner Frau in die Stadt ein. Acht Jahre später starb er nach einem Sturz vom Pferd, und ein katholischer Sauerländer wurde Bischof, Dietrich von Fürstenberg. Mit ihm setzte sich die Gegenreformation durch. Das war nur möglich mithilfe der internationalen Kunst.

Die unglaubliche Geschichte des Hochaltars ist nur ein Grund, warum der Warsteiner Christoph Stiegemann und sein Team die Rubens-Schau als Friedens-Ausstellung kuratiert haben. Im Mittelpunkt steht die Erkenntnis: „Die Ausstellung ist ein Memento. Sie mahnt an die Schrecken des Krieges.“

Künstler von außen bringen die Wende

Nach dem 30-jährigen Krieg erkennt die Region, dass sie so nicht weitermachen kann und kauft internationale Kultur ein. Zum Beispiel die Brüder Willemssens aus Antwerpen. Diese beeinflussen wiederum die heimischen Künstler, etwa den Bildhauer Heinrich Papen aus Marsberg-Giershagen.

Der Paderborner Dom und St. Marien in Hagen sind wie viele andere Kirchen 300 Jahre nach dem Westfälischen Frieden in den letzten Wochen des Zweiten Weltkrieges bei Luftangriffen der Alliierten zerstört worden. In den Jahren zuvor hatten deutsche Soldaten in den besetzten und angegriffenen Ländern zahllose Städte in Brand gesetzt und ausgeplündert. Coventrisieren nannte Goebbels diesen Terror nach der englischen Stadt Coventry, die von deutschen Bomben dem Erdboden gleich gemacht wurde. „Diese Bilder haben uns etwas zu erzählen: Nationale Egoismen bringen Zerstörung. Grenzübergreifende Zusammenarbeit bringt Wohlstand und Fortschritt“, davon ist Christoph Stiegemann überzeugt.

Die schöne Maria Magdalena hat blonde Locken
Die schöne Maria Magdalena hat blonde Locken © Andreas Buck / FUNKE Foto Services | Andreas Buck

Gisela Tilly tupft dem Jesuskind vorsichtig mit acetongetränkter Watte über das Köpfchen. Grüner Firnis wird abgetragen und enthüllt rosige Babyhaut. „1931 hat man den Firnis abgenommen und neu aufgetragen. Das würde man heute nicht mehr so machen“, sagt die 43-Jährige. Restauratoren arbeiten heute mit modernster Technik, die Fragmente des Hochaltars werden berührungsfrei im Paderborner St. Vincenz-Hospital in den Röntgenapparaturen untersucht. Doch am Ende braucht man das klassische Besteck wie den selbstgedrehten Wattestab.

Die Augen der Muttergottes überraschen die Restauratorin

Die größte Überraschung sind die Augen der Muttergottes „Die finde ich ganz toll. Das hat man vorher gar nicht gesehen“, sagt Gisela Tilly. Tief und klug sind diese Madonnenaugen und hellwach, marienmantelblau gefärbt. Das Inkarnat, also der Fleischton, ist meisterlich zusammengemischt. „Die malerische Qualität und die Farbkraft kommen erst jetzt zum Vorschein“, freut sich Prof. Stiegemann.

Um die Lebendigkeit von warmer, durchbluteter Haut auf die Leinwand zu übertragen, muss man die Farben mit Bleiweiß abtönen. „Inzwischen können wir sagen, woher das Bleiweiß kommt, aus England oder dem Südharz. Die Maler konnten sich das aus Apotheken besorgen. Es wurde in Schweinsblasen aufbewahrt, und die Lehrjungen haben es angerührt und verdickt“, weiß Gisela Tilly.

Eingepackt in eine Damenstrumpfhose

Der Engel mit den Grübchen, der Eierkorb, den der noch unsichtbare Hirte trägt, die Locken der Maria Magdalena und die weiteren Fetzen lassen sich nicht Stoß auf Stoß zusammenkleben, weil manche sich verzogen haben und geschrumpft sind, vielleicht durch die Einwirkung von Feuchtigkeit im Kartoffelkeller. Die Stücke werden auf ein steifes Fließ gelegt, „da müssen wir noch was ausprobieren. Geplant ist, sie in ganz feines Gewebe wie von einer Damenstrumpfhose einzupacken.“

Das Gemälde wird am Computer vollständig rekonstruiert, als Leinwand bleibt es unvollständig, versehrt, eben ein Mahnmal der Schrecken des Krieges. Das liegt auch an der Tatsache, dass einige Teile immer noch fehlen. Denn Pfarrer Silberg war ja nicht der einzige, der sich an den Überbleibseln bedienen durfte. „Vielleicht kommen diese fehlenden Stücke durch die Ausstellung zurück“, hofft Gisela Tilly.