Hagen/Brilon. Erlass überrascht Branche: Fahrschulen können bald wieder starten. Verbandschef Friedel Thiele spricht über Informationschaos und Spuckwände.

Eine überraschende Wendung: Die Fahrschulen in NRW können in den kommenden Tagen wieder ihre Arbeit aufnehmen. Nach der neuen Corona-Verordnung des Gesundheitsministeriums zählen sie, wie die Verbände kurzfristig erfuhren, nicht zu den privaten Bildungseinrichtungen, sondern zum Dienstleistungsgewerbe.

Das erlaubt den Neustart. Der Briloner Friedel Thiele, Vorsitzender des Fahrlehrer-Verbandes Westfalen, ist wütend über das Informationschaos. Die rechtliche Lage sei unübersichtlich. Einige Städte wie Hamm wollen den Fahrschulen erlauben, ab Donnerstag (23. April) wieder zu schulen. Im Interview äußert sich Thiele auch über Trennwände in Fahrschulwagen und Lkw-Fahrer, die wegen ausgefallener Fortbildung ihre Fahrerlaubnisse nicht fristgemäß verlängern konnten.

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Sie klingen verärgert? Was ist geschehen?

Friedel Thiele: Ja, ich bin tatsächlich ein wenig verärgert. Die Fahrschulen unterliegen seit dem 17. März wegen der Pandemie einem generellen Schulungsverbot. Sie galten bis vergangenen Freitag als private Bildungseinrichtungen und mussten komplett schließen. Nun erfahren wir, dass der Erlass des Verkehrsministeriums, der uns das Arbeitsverbot auferlegte, nicht verlängert worden ist und es eine neue Corona-Verordnung des Gesundheitsministeriums gibt, die es den Fahrschulen unter Auflagen erlaubt, ihre theoretischen und praktischen Schulungen wieder aufzunehmen.

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Die Fahrschulen werden nicht direkt in der Verordnung erwähnt, gelten aber auf Nachfrage wie Handwerker zum Dienstleistungsgewerbe. Das war uns bisher nicht bekannt. Seit Freitag steht das Telefon nicht mehr still. Die Mitglieder des Verbandes sind wie ich von der neuen Lage überrascht worden. Kaum jemand wird sofort an den Start gehen können. Dafür ist der bürokratische Aufwand zu groß.

Friedel Thiele, Vorsitzender des Fahrlehrer-Verbands Westfalen
Friedel Thiele, Vorsitzender des Fahrlehrer-Verbands Westfalen © WP | Nadine Przystow

Wie sehen die Vorgaben zum Neustart aus?

Neben den üblichen Hygienevorgaben sind für die theoretischen Schulungen für jeden Fahrschüler zehn Quadratmeter vorgeschrieben. Das heißt: In einem Raum mit 40 Quadratmetern dürfen inklusive Fahrlehrer nur drei Schüler anwesend sein. Damit ist der Berufsstand nicht zufrieden. Die Bundesvereinigung der Fahrschullehrerverbände (BFV) hat sich in einem Strategiepapier dafür ausgesprochen, dass auch mit einem Drittel der maximalen Teilnehmerzahl in einem Fahrschulraum die vorgeschriebenen Sicherheitsabstände eingehalten werden können.

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Und bei der Praxis?

Auf Grund der angekündigten landesweiten Allgemeinverfügung können konkrete Aussagen zu den Bedingungen noch nicht gemacht werden. Der Abstand von 1,50 Meter darf im Fahrschulauto unterschritten werden, aber wir erwarten mit der neuen Verordnung, dass Masken und Spuckwände verbindlich vorgeschrieben werden. Trennscheiben müssten auf Kopfhöhe angebracht werden, damit der Fahrschullehrer im Notfall ins Lenkrad greifen kann.

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Die Krankenhäuser klagen, dass Menschen, die krank sind, aus Angst sich zu infizieren, zuhause bleiben. Befürchten Sie das auch für ihre Branche?

Das wird sich zeigen. Ich sehe Licht am Ende des Tunnels.

Keine Angst, sich anzustecken?

Der Berufsstand ist bereit, sehr verantwortungsbewusst und unter Einbeziehung von erforderlichen Hygienekonzepten und Abstandsplänen eine zeitnahe Wiederaufnahme zu unterstützen. Auch hier steht ganz klar im Vordergrund, dass die zu erhaltende Gesundheit aller am Ausbildungsprozess Beteiligten oberste Priorität haben muss. Seltsamerweise forderten diejenigen, denen es nicht schnell genug ging, aus Sicherheitsgründen die Fahrschulen zu schließen, einen baldigen Neustart. Irgendwoher muss das Geld ja kommen.

Reichten die Soforthilfen zur Überbrückung aus?

Für Kleinunternehmen waren sie allenfalls eine sinnvolle und absolut notwendige finanzielle Hilfe, um voraussichtliche Liquiditätsengpässe durch die Schließung der Fahrschulunternehmen kurzfristig zu verhindern. In Anbetracht der gewaltigen Umsatzeinbußen reichen diese Mittel aber bei Weitem nicht aus, um die entstehenden Umsatzeinbußen auszugleichen. Dadurch bleibt vielen Fahrschulinhabern nur die Möglichkeit, durch aufgenommene Darlehen die schwierige wirtschaftliche Lage einigermaßen in den Griff zu bekommen. Die wirtschaftliche Situation wird vorerst weiterhin stark angespannt bleiben.

Stimmt es, dass viele Lkw-Fahrer zurzeit ohne gültige Fahrerlaubnis auf den Straßen unterwegs sind?

Für die Berufskraftfahrer, die regelmäßig zur Verlängerung ihrer Fahrerlaubnis alle fünf Jahre ihre 35-stündigen Weiterbildungen nachweisen müssen, gibt es inzwischen in NRW eine Ausnahmeregelung. Damit haben die Berufskraftfahrer weitere zwölf Monate Zeit, um diese Weiterbildungen zu absolvieren und ihre Fahrerlaubnis zu verlängern.

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Die Polizei drückt somit ein Auge zu?

Die Polizei ist über diese Verfahrensweise informiert. Schwierige Zeiten und Umstände erfordern großzügige Regelungen und bürgerfreundliche Entscheidungen.

Was hat Sie in den letzten Wochen besonders enttäuscht?

Erleben zu müssen, dass trotz der nicht zu unterschätzenden Infektionsgefahr Behördenfahrschulen teilweise weiterhin ihren Ausbildungsbetrieb aufrecht erhalten durften. Das war eine Ungleichbehandlung und ein Eingriff in den Wettbewerb.

Ist Online-Unterricht in Corona-Zeiten und allgemein in Zukunft angebracht?

Das Fahrlehrergesetz schreibt ausschließlich die persönliche Teilnahme des Fahrschülers von Präsenzunterricht in ortsfesten Gebäuden vor. Wissenschaftliche Studien belegen im Übrigen , dass der Lernerfolg von Onlineunterricht im Gegensatz zum Präsenzunterricht nur bei ca. 30 Prozent liegt. Insofern ist die momentane Möglichkeit, im Zuge einer Ausnahmeregelung Onlineunterricht rechtlich anzuerkennen, nur der momentanen Situation durch die Schließung der Fahrschulen geschuldet. Und bei dieser absoluten Ausnahme sollte es dann auch bleiben.

Hat die motorisierte Mobilität in Zeiten der Klimadebatte und Corona noch eine Zukunft?

Sie wird sich trotz Klimadebatte und Corona sicherlich weiterentwickeln und auch zukünftig zunehmend umweltfreundlicher werden. Gerade jetzt in dieser Zeit der Corona-Krise werden aber viele Menschen auch daran erinnert, Globalisierung ist zwar eine herausragende Errungenschaft der Menschheit mit vielen unschätzbaren Vorteilen, aber letztendlich bleibt das Wichtigste, die Gesundheit des Menschen.

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