Hagen. „Lichtblick am Ende des Tunnels.“ Bei Händlern, Gastronomen, Lehrern und Schülern wächst die Hoffnung auf eine Lockerung der strengen Auflagen.
Die Hoffnung auf eine Lockerung der strengen Auflagen wächst nach den Ankündigungen der Landesregierung bei Einzelhändlern, Gastronomen, Lehrern und Schülern. Diese Zeitung hat sich bei den Betroffenen in Südwestfalen umgehört. Fazit: Die Sehnsucht nach Normalität, nach der Zeit vor der Corona-Krise ist unermesslich groß. Sie sehen sich gewappnet. Aber es gibt auch Stimmen, die vor einem übereilten Schritt warnen.
Die Gastronomen
Jörg Honekamp, Pächter des in NRW höchstgelegenen Hotels und Restaurants am Kahlen Asten, freut sich über „die Zeichen aus Düsseldorf“. „Endlich ein Lichtblick am Ende des Tunnels“, so der 48-jährige Sauerländer, der es kaum erwarten kann, auch die Türen seines Big-Mountain-Restaurants mit 250 Sitzplätzen in Winterberg wieder zu öffnen. „In den letzten Wochen haben wir uns mit einem Lieferservice über Wasser gehalten.“ Das sei aber nur „ein Tropfen auf dem heißem Stein“. 38 Beschäftigte seien in Kurzarbeit und warteten darauf, „endlich wieder loszulegen“.
Ein Mindestabstand von zwei Metern könne garantiert werden, wenn nur jeder zweite Tisch im „Big Mountain“ zur Verfügung stünde. Schwieriger werde es, im Outdoorbereich am Kahlen Asten die Wanderer auf Abstand zu halten. „Da müssen wir schlicht auf die Eigenverantwortung der Gäste vertrauen.“
Man warte gespannt auf das Schreiben des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes (Dehoga), der die rechtlichen Vorgaben „allgemeinverständlich übersetzen will“. Ob es bald wieder so werden kann, wie vor der Corona-Krise? „Das ist ungewiss“, so Honekamp. Er fragt sich, wie lange es wohl dauert, bis die Gäste sich wieder in Restaurants trauen. „Und wie reagieren die Deutschen, wenn sie wieder Reisen dürfen? Fliegen sie dann erst einmal in die Ferne?“
Das befürchtet auch Renate Bange-Hennemann (55), Inhaberin des Hotels Hennemann in Eslohe-Cobbenrode: „Die Gäste, die im Mai kommen wollten, haben alle abgesagt.“ Das Hotel sei zu 50 Prozent belegt gewesen. Sie rechnet vor: „100 Euro Halbpension, 42 Betten, mal 30 Tage.“ Der Verlust für den Monat Mai betrage rund 60.000 Euro. Die Soforthilfe von 25.000 Euro habe aber geholfen. „Nur deshalb konnten wir die Mitarbeiter bezahlen.“ Eine Teilöffnung des Restaurants helfe nur bedingt weiter.
Dem Griechen Marios Pantelidis geht die Lockerung der Auflagen für Gastronomen viel zu schnell. Der 67-Jährige arbeitet im Familienbetrieb des Restaurants Olymp in Kreuztal. „Das Risiko für Gäste und Personal, sich mit dem Virus zu infizieren, ist doch nach wie vor viel zu groß.“
Gesundheit gehe vor Ökonomie. Sie überlegten, komplett auf Self-Service umzustellen und erst im September wieder zu öffnen. Die Dehoga berate sie zurzeit. „Unser Restaurant gibt es hier in Kreuztal seit 40 Jahren. Es kann sein, dass wir Konkurs anmelden müssen.“
Der Schulbetrieb
Für die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft ist klar, dass die Schulen nicht am 20. April 2020 wieder öffnen können. Das gehe nur, wenn Gesundheits- und Infektionsschutz für alle Beteiligten gewährleistet würden, heißt es in einer Mitteilung. „Aus unserer Sicht sind mindestens die Bereitstellung von ausreichend Waschbecken, Seife und Einmalhandtüchern, sowie Desinfektionsmittel und Toiletten mit entsprechender hygienischer Ausstattung zwingend“, so Ralf Radke, Vorsitzender der Landeselternschaft der integrierten Schulen in NRW.
Erforderlich seien eine mindestens tägliche Reinigung nach entsprechenden Standards des Infektionsschutzes, Regeln für regelmäßigen Luftaustausch sowie Schutzmasken für unsere Kinder und die Beschäftigten. Hierfür brauchen die einzelnen Schulen Hygienekonzepte in Abstimmung mit Schulaufsicht und Schulträger und unter Verantwortung des lokalen Gesundheitsamtes. Die Öffnung der Schulen stelle eine große organisatorische Herausforderungen dar.
Das weiß auch Robert Balzer aus Gevelsberg. Der 20-Jährige ist im Vorstand der Landesschülervertretung NRW. Er kritisiert, dass seit Schließung der Schulen ungleiche Bildungschancen bei Schülern zunähmen. Nicht alle Schüler hätten einen eigenen Computer zuhause, nicht alle stammten aus einem bildungsbürgerlichem Haus.
Er fordert, nicht nur Grundschüler und die Schüler der Sekundarstufe 1 bald den Besuch der Klassen wieder zu ermöglichen. „Denjenigen, die jetzt Abitur machen müssen, den fehlen zwei bis drei Wochen, die sind nicht gut vorbereitet.“ Er empfiehlt eine Rückkehr auf freiwilliger Basis. „Jeder sollte selbst entscheiden, ob er in der Klasse oder daheim lernt. Natürlich unter Berücksichtigung der Vorgaben des Robert Koch-Instituts.“ In den vielen Gesprächen mit Schülern sei außerdem deutlich geworden: „Nicht alle Schulen sind digital gut aufgestellt.“ Zu oft werde das in der Diskussion um Lockerung der Auflagen außer Acht gelassen.
Dr. Andreas Pallack (47) ist Schulleiter am Städtischen Franz-Stock-Gymnasium in Arnsberg. Die Schule bereite sich auf den Unterricht in den Klassenräumen vor. 80 Räume müssten in der Schule regelmäßig desinfiziert werden. „Wir warten nur auf eine entsprechende Mail der Bezirksregierung.“ Das Vertrauen in die Berater des Schulministeriums, in die Virologen, sei groß. Vor allem die Fünft- und Sechsklässler fehle der Unterricht vor Ort. „Gerade für die Jüngsten an unserer Schule ist die Bindung zum Klassenlehrer enorm wichtig. Wenn es erlaubt wird, können wir in zwei Wochen starten.“
Das würde auch Joline Wimmer gerne. Die 18-Jährige wird im nächsten Jahr das Abitur an der Gesamtschule in Menden machen. Stundenlang sitze sie seit Wochen am Computer in ihrem Zimmer. „Selbst in der Corona-Ferienzeit.“ Es fehlten ihr die Schulkameraden, der schnelle Austausch in der Pause, die Nachfrage in der Klasse. Viele ihrer Freunde falle es schwer, sich fern der Schule zu motivieren und diszipliniert zu arbeiten.
Die Einzelhändler
Die Corona-Krise hat auch Ladenbesitzer wie Evi Kissing vor große Herausforderungen gestellt. Sie ist Inhaberin des Kindermodelädchens „Engel & Rabauken“ in Menden. „Ich freue mich riesig, bald wieder öffnen zu dürfen.“ Die 9000-Euro-Soforthilfe reiche gerade so, um die Fixkosten für Miete etc. zu begleichen. Den Verlust der Saisonware, die die Sauerländerin mit 50.000 Euro beziffert, könne sie nur zum Teil ausgleichen, indem sie ihren treuen Kunden die Kinderkleider bis vor die Wohnungstür bringt.
400 Fotos mit Angeboten schicke sie täglich ihren Kunden. Ihr Laden sei 100 Quadratmeter groß. „Zwei, drei Kunden könne sie auf Abstand halten.“ Das sei kein Problem. „Ich bin Optimist“, sagt sie. Ob sie die Krise meistert, das entscheide sich am Ende des Jahres. „Aber wenn ich die langen Schlangen vor den Baumärkten sehe, dann weiß ich: die Menschen wollen raus und Geld ausgeben.“
Drei Modeboutiquen besitzt Anika Fricke. In Wetter, Herdecke und Witten. Sie liebt schwarzen Humor: „Wir hatten drei Wochen Zeit, Kraft und Energie zu schöpfen.“ Und wird gleich wieder ernst: Die Einzelhändler hätten in dieser Zeit verstanden, wie man sich in Zeiten von Corona verhält.
Sie wartet gespannt auf die Vorgaben aus Düsseldorf. „Morgen erfahren wir, was zu tun ist, ob wir mehr als eine Plexiglasscheibe an der Kasse und Abstandsregeln auferlegt bekommen.“ Im „Adelweiß“ in einem Fachwerkhaus in Herdecke habe man eine zweite Etage ausgebaut, um Platz zu schaffen. Und sie ist sich sicher: „Kommende Woche geht es wieder los.“ Auch der Stammkunden zuliebe, die sich nach sozialen Kontakten, nach Normalität sehnten.