Hagen. Seit Mitte März ist alles anders. Auch am Arbeitsmarkt. Die Zahl der Anträge auf Kurzarbeit ist in noch nie dagewesene Dimensionen gestiegen.

Von Jens Helmecke

Hagen. Selten dürften die aktuellen Arbeitslosenzahlen so wenig Aussagekraft gehabt haben wie heute. Der Arbeitsmarkt erlebt im März 2020 quasi über Nacht einen tiefen Einschnitt.

470.000 Anmeldungen bundesweit

Seit Inkrafttreten der von der Bundesregierung und den Ländern verordneten Corona-Sofortmaßnahmen, hat sich die Arbeitswelt grundlegend verändert. „470.000 Anmeldungen auf Kurzarbeit sind bis Samstag bundesweit eingegangen, darunter sehr, sehr viele aus dem Gastgewerbe und dem Handel“, sagt Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) am Dienstag in Berlin. Detlef Scheele, Chef der Bundesagentur für Arbeit (BA), ergänzt: „Eine solche Wendung wie in den vergangenen zweieinhalb Wochen hat es noch nie gegeben. Nicht in der Dimension und Geschwindigkeit!“ Zum Vergleich: In einem „normalen“ Monat des Jahres 2019 meldeten durchschnittlich 1300 Unternehmen Kurzarbeit an. In NRW sind es aktuell 96.000 Anträge.

Exakte Zahlen zu Betroffenen erst im Mai

Die Zahlen sind ab Mitte des Monats nicht nur explosionsartig in die Höhe geschnellt, sondern bereits deutlich höher als in der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008/09. Zudem sind nun ganz andere Branchen betroffen. Das macht eine Prognose umso schwieriger, wie viele Menschen letztlich von Kurzarbeit betroffen sein werden. „Seriös können wir das nicht sagen. Es werden aber deutlich mehr sein als in der Finanzkrise“, ist Heil sicher. Im Mai 2009 zählte die BA 1,4 Millionen Betroffene. Exakte Zahlen für März 2020 werden erst im Mai vorliegen, weil dann die konkreten Abrechnungen vorliegen.

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Arbeitslosenzahlen im März trügerisch

Die März-Arbeitslosenzahlen dieses Jahres spiegeln also ein trügerisches Bild. „Die Zahl der Arbeitslosen wird wieder zunehmen“, so Heil. Bundesagentur (BA) und Bundesregierung ziehen gerade alle Register. Die Kasse der BA ist prall gefüllt. 26 Milliarden Euro Rücklagen helfen, die Krise maximal abzufedern. Für Unternehmen entfallen bis zu 100 Prozent der Lohnkosten, denn sie müssen weder den Sozialversicherungsbeitrag für Arbeitgeber noch für den Arbeitnehmer bezahlen. Letzteres ruft Kritik von Gewerkschaftsseite hervor, weil Beschäftigte mit 60 oder 67 Prozent des durchschnittlichen Nettomonatslohns ohne Zulagen auskommen müssen, wenn dies tarifvertraglich nicht anders vereinbart ist - wie etwa in der Metall- und Elektroindustrie (80 Prozent) oder der Systemgastronomie (90 Prozent).

Arbeitsagenturen arbeiten auch am Wochenende

Um möglichst viele Unternehmen und Jobs zu sichern, kommt es beim Kurzarbeitergeld auf Tempo an. In Arbeitsagenturen und Jobcentern wird darauf bemerkenswert reagiert. „Wir haben sofort Manpower verschoben“, sagt Ulrich Brauer von der Hagener Arbeitsagentur. Mitarbeiter aus Bereichen werden geschult und kümmern sich um die Antragsbearbeitung oder geben telefonisch Beratung. Der Bedarf ist riesig, da in der jetzigen Krise viele Antragsteller völlig unerfahren mit dem Instrument Kurzarbeit sind. „Es wird hier auch an Wochenenden und im Schichtdienst gearbeitet“, erklärt Brauer. Von 6 bis 22 Uhr kümmern sich die Behördenbeschäftigten darum, Anträge abzuarbeiten.

Bezirk Meschede-Soest bisher am meisten Firmen betroffen

Ähnlich wie in Siegen. Ebenso in Iserlohn. „Für März sind bis vergangen Freitag für den gesamten Märkischen Kreis knapp 4.500 Anzeigen zu Kurzarbeit eingegangen“, erklärt Sandra Pawlas, Chefin der Arbeitsagentur Iserlohn. Im gesamten Jahr 2009 waren es hier 1500 Anzeigen und 42.000 betroffene Beschäftigte. In Hagen und dem Ennepe-Ruhr-Kreis sind es aktuell 2100. (2009: Knapp 1.300 Betriebe/ 34.500 Beschäftigte). Im Bezirk Siegen (mit Olpe): Aktuell 4600 (2009: 1200 / 39.000 Beschäftigte). Im Bezirk Meschede-Soest: 5000 (1100/25.000).