Sprockhövel. Die Gedanken von Landwirt Dirk Gelbrich aus Sprockhövel kreisen um die Ernte. Der Einreisestopp für Helfer aus Osteuropa ist ein bitterer Schlag.
Sprockhövel. Für Dirk Gelbrich beginnt der Arbeitstag morgens um 6 Uhr. Nichts Besonderes. Gemeinsam mit seiner Frau geht es ans Melken. Aber seine Gedanken drehen sich seit Tagen um Erdbeeren.
130 Milchkühe stehen im Stall auf den Höhen von Gennebreck. Und noch einmal 120 Jungtiere. Ob sie in ein paar Jahren Milch für den Familienbetrieb hergeben – wer weiß? Der kühle, sonnige Morgen hat nicht schlecht begonnen für den 56-jährigen Landwirt. Voller Hoffnung. Bis die bittere Nachricht eintrifft: „Einreisestopp für Saisonarbeiter aus Osteuropa“.
Saisongeschäft sichert Existenz
Gelbrich mag nicht jammern. Aber die Anordnung von Bundesinnenminister Seehofer ist wirklich schlecht für ihn. Neben Milchviehwirtschaft trägt das Saisongeschäft mit Erdbeeren einen Gutteil zum Geschäft seiner Familie bei. Allein schaffen sie das nicht. Neben dem Ehepaar Gelbrich packt Sohn Marius mit an. Dirk Gelbrichs Eltern leben auf dem Hof. Beide über 80 Jahre alt und gesundheitlich angeschlagen. Seit Jahren hilft die Familie Varga in den Erdbeeren in Gennebreck. „Ich diesem Jahr wäre es die 33. Erdbeerernte auf unserem Hof“, sinniert der Landwirt beim Blick über die Felder. Wäre. Die Entscheidung aus Berlin lässt ihn an einer guten Ernte zweifeln.
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Die fünfköpfige Familie Varga aus Ostrumänien ist für ihn Gold wert. „Nicht, dass man mich falsch versteht. Ich freue mich über die Hilfsbereitschaft der Menschen, die bei der Ernte einspringen wollen“, erklärt Gelbrich. Aber: Während Vargas jeden Handgriff kennen, in der kurzen Saison von morgens bis abends ackern, „bräuchte ich sechs bis sieben neue Helfer, um einen von ihnen zu ersetzen, weil die meisten weniger arbeiten wollen oder dürfen. Und wie soll ich Neuen etwas zeigen bei zwei Meter Sicherheitsabstand?“
Keine Spur romantisch
Vielleicht ginge es. Der Landwirt hat aber schon einmal schlechte Erfahrungen gemacht mit Erntehelfern, die vom Jobcenter geschickt wurden und gar keine Erntehelfer sein wollten. „Gearbeitet haben die kaum. Vielleicht ist es anders mit denen, die helfen wollen.“ Romantisch darf man es sich nicht vorstellen. Ernte ist kein Sonntagsausflug. „Wer morgens um 6 Uhr in der Schafskälte für den Mindestlohn Erdbeeren pflückt, muss das Geld verdammt nötig haben“, versichert Gelbrich. Wie Vargas. Für die Familie aus einem Landstrich noch hinter den Karpaten, ist es das einzige geregelte Einkommen im Jahr.
Dirk Gelbrich mag nicht jammern. Aber seine Stimme verrät seine große Sorge. Das mit dem Anlernen und Anmelden, also dem vielen bürokratischen Kram, ist das eine. Das andere ist die Sorge vor dem Virus. Statt einer vertrauten Familie, die auf dem Hof wohnt, würde ein Kommen und Gehen von Fremden herrschen. Die Vargas würde Gelbrich, so sie kommen, auf das Virus testen lassen. Das wäre sicher – für seine Eltern, aber auch für ihn selbst, für seine Frau und seinen Sohn. Wird einer von ihnen angesteckt, steht der Betrieb still.
Imagewandel tut gut
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Die Chancen auf Erntehelfer aus dem Osten stehen seit Mittwoch ziemlich schlecht. Während die Spargelbauern genau jetzt Hilfskräfte brauchen, hat er noch etwas Luft. Ende April beginnen die Arbeiten für die Erdbeersaison. Die frühen, teuren Sorten ernten. Die Setzlinge für 2021 einbringen. Zäune aufstellen, Felder zum Selberpflücken abgrenzen. Dirk Gelbrichs Gedanken kreisen weiter um Erdbeeren und wie die Saison noch zu retten sein könnte. Was ihn in der Coronakrise ein wenig tröstet: „Vor einem Jahr war der Bauer noch an allem schuld. Jetzt ist nicht mehr alles verkehrt, was wir tun. Das Bild wandelt sich. Ich freue mich, dass so viele Leute helfen wollen!“ Für einen Moment hellt sich seine Miene auf. Begrüßung der Kühe im lichtdurchfluteten Stall mit einem „guten Morgen“. Schwanzwedeln und Wiederkäuen. Der Hof Gelbrich in Gennebreck sind nicht nur Erdbeeren. Aber bei gerade wieder wegen Exportstopps einbrechenden Milchpreisen wird das Saisongeschäft existenziell. Nicht nur für die Landwirte, glaubt Gelbrich: „Wenn es mit den Helfern nicht funktioniert, fallen wir im Sommer in ein Ernährungsloch.“ Verdammtes Virus.
Die Helferseite
Der Einreisestopp für Saisonarbeiter aus Osteuropa gilt bis auf weiteres. Für Obst-, Gemüse- und Weinbauern „ein harter Schlag“, kommentiert Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverbandes die Entscheidung.
Der Landwirtschaftsverband Westfalen-Lippe (WLV) hat eine Seite eingerichtet, auf der Landwirte und Helfer sich als suchend melden können. Hier steht, für wen es sich lohnt:
www.wlv.de/erntehelfer/index.php