Eppan/Lennestadt. Die gebürtige Sauerländerin Katharina Trettl lebt seit Jahren in Südtirol. Ein Gespräch über die Lage in Italien und die Sorgen der Menschen

Als in Deutschland noch Corona-Partys gefeiert wurden und dem Coronavirus, diesem unsichtbaren Feind, noch halbherzig begegnet wurde, hat Katharina Trettl schon aus Südtirol bei den Eltern und Großeltern im Sauerland angerufen und ihnen ins Gewissen geredet: "Haltet bloß Abstand zu anderen Menschen und geht nirgendwo hin", so die Botschaft der 36-Jährigen.

Und als der geliebte Opa - wie so viele Bundesbürger - anfangs den Ernst der Lage noch nicht ganz erkannt hatte, hat sie mit ihm geschimpft, wie sie sagt, und eine Videobotschaft ihrer Kinder (4 und 6 Jahre alt) geschickt. "Pass auf Dich auf. Wir wollen Dich noch lange haben." Katharina Trettl lebt seit zwölf Jahren in Italien. Sie weiß, wovon sie spricht. In keinem Land der Welt sind so viele Menschen an dem Coronavirus gestorben.

Vormittags Hausaufgaben

Es ist Tag 19, seitdem die Schulen und Kindergärten in Italien geschlossen haben. Katharina Trettl sitzt wie an jedem Vormittag mit ihren beiden Töchtern beim gemeinsamen Lernen. Ihre "Große" ist in der 1. Klasse, die Lehrer schicken regelmäßig Hausaufgaben- und Lernblätter per E-Mail.

Nachmittags geht es zum Spielen und zum Versorgen der Tiere in den Garten. "Zum Glück haben wir ein großes Grundstück", sagt die Mutter von der Weinstraße im Südtiroler Süden. "Wenn ich daran denke, dass in Städten Familien mit zwei Kindern und Hund in einer Zwei-Zimmer-Wohnung leben..." Die Regierung hatte am Wochenende verkündet, dass alle nicht lebensnotwendigen Betriebe schließen müssen - damit weniger Menschen der Gefahr ausgesetzt sind, sich auf dem Weg zur Arbeit anzustecken.

Mundschutze für soziale Einrichtungen genäht

Am Wochenende hat die 36-Jährige, aufgewachsen in Lennestadt-Grevenbrück, Mundschutze genäht. Sie sind für soziale Einrichtungen bestimmt. "Uns geht es gut. Wir haben keine Symptome", sagt sie und erzählt von Freundinnen, die im Gesundheitsbereich arbeiten und schon längst an der Belastungsgrenze angekommen sind. "Der Tagesablauf von Ärzten und Pflegepersonal in Krankenhäusern ist seit Wochen gleich: Arbeiten, schlafen, arbeiten."

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Viele hätten schon lange nicht mehr ihre Familien gesehen - "und wenn doch: ohne Umarmung, weil sie nicht ausschließen können, das Coronavirus in sich zu tragen. Das ist eine riesige psychische Belastung." In Südtirol, ergänzt Katharina Trettl, müssten Klinik-Ärzte zum Glück noch nicht wie in der Lombardei angesichts zu weniger Beatmungsgeräte über Leben und Tod entscheiden.

Fernseh-Berichte aus Deutschland gesehen

"Vielleicht wäre es nicht so dramatisch in Italien, wenn wir schon früher eine Ausgangssperre gehabt hätten", sagt die Wahl-Südtirolerin, aus deren Stimme der Akzent ihrer neuen Heimat herauszuhören ist. Sie hat Fernseh-Berichte aus Deutschland gesehen und nur noch den Kopf geschüttelt. "Hat denn niemand aus der Situation in Italien gelernt?", fragt sie und meint das aus ihrer Sicht lange Zaudern bei der Frage von Ausgangseinschränkungen, Menschenansammlungen oder das Klagen über in diesen Tagen so bedeutungslose Dinge wie den Ausfall von Fußballspielen.

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Und sie hat Bundesbürger gesehen, die Hamsterkäufe machen. "Geht es noch? frage ich mich. Haben die es nicht verstanden?" In Italien habe es an einem einzigen Tag Hamsterkäufe gegeben, am Tag der Verkündung der Ausgangssperre - allerdings nur Obst und Gemüse, kein Toilettenpapier. "Und wenn mein Mann in diesen Tagen auf dem Weg zur Firma in den Supermarkt geht, kann er alles mitbringen, was auf dem Einkaufszettel steht."

Große Solidarität im Land

Die Menschen in ihrem Land seien sehr solidarisch, sagt die gebürtige Sauerländerin. "Es wird auf den nächsten geschaut. Man sagt sich: Zusammen schaffen wir das." Zwar drückten die täglich neuen Horrorzahlen zu Corona-Todesfällen die Stimmung, "gleichzeitig bleibt Optimismus, dass es irgendwann besser wird."

Katharinas Tochter hat während des Telefonats mit dem Reporter ein Bild gemalt. Der Regenbogen ist in diesen Tagen in Italien das Symbol dafür, dass alles gut wird.
Katharinas Tochter hat während des Telefonats mit dem Reporter ein Bild gemalt. Der Regenbogen ist in diesen Tagen in Italien das Symbol dafür, dass alles gut wird. © Privat

Während sie mit dem Reporter telefoniert, malt ihre sechsjährige Tochter ein Bild. Es geht kurz darauf per E-Mail nach Westfalen. Auf dem Bild ist ein Regenbogen zu sehen, "der in ganz Italien derzeit das Symbol dafür ist, dass alles gut wird", wie Katharina Trettl erklärt. Ihre "Große" hat folgende Worte auf ihre Zeichnung geschrieben: "Alles wird gut - Andrà tutto bene!"

Ein Brief an den Opa

Noch muss Katharina Trettls Familie auf dem eigenen Grundstück verharren. "Meine beiden Töchter verkraften die Einschränkungen gut, auch wenn sie ab und an sagen, gerne mal wieder mit ihren Freundinnen spielen zu wollen." Es sei ein Segen, über moderne Kommunikationsmittel (Sicht-)Kontakt zu Freunden und Verwandte halten zu können: "Meine Große schreibt ihrem Opa jeden Tag einen Brief. Ich schicke den dann per WhatsApp ins Sauerland." Das am Sonntag verkündete Kontaktverbot in Deutschland sieht sie positiv: "Meine Eltern und Großeltern sind über 60 und gehören zur Risikogruppe. Ich liebe sie und will sie wiedersehen."