Medebach/Siegen. Hausärzte sind derzeit großen Belastungen ausgesetzt. Sie müssen verunsicherte Patienten beruhigen, gleichzeitig machen sie sich selbst Sorgen.

Es kommen weniger Patienten als sonst in die Sauerlandpraxis in Medebach. Vorsorge-, Routine- und Kontrolluntersuchungen sind erst einmal verschoben. "Dass es aber ruhiger ist als an normalen Sprechstunden-Tagen, kann ich nicht bestätigen", sagt Hausarzt Tim-Henning Förster. "Das Telefon klingelt permanent."

Die Menschen wollen Rezepte und Krankschreibungen, die in Absprache mit der Kassenärztlichen Vereinigung nicht in der Praxis abgeholt werden müssen, sondern per Post verschickt werden. "Wir haben in der vergangenen Woche von Mittwoch bis Freitag in der vergangenen Woche mehr Briefe versandt als im ganzen letzten Jahr zusammen", so Förster.

Durch eine kleine Schleuse in die Praxis

Wer die Filialen der Sauerlandpraxis in Medebach, Hallenberg und Winterberg betreten will, muss jetzt durch eine kleine Schleuse vor dem Eingang treten. Ein Arzt in Schutzkleidung checkt dort, ob Personen mit Grippesymptomen in die Sprechstunde wollen. Sie werden durch einen Extraeingang in einen separaten Raum geführt.

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Im normalen Wartezimmer darf derzeit immer nur eine Person Platz nehmen - "den Rest verteilen wir sofort auf die Sprechzimmer." Als weitere Sicherheitsmaßnahme hat man aus den sechs Ärzten und 13 medizinischen Fachangestellten Teams gebildet, die man voneinander fernhält. Es bedarf nicht der Erwähnung, dass der jahrhundertelang bewährte ärztliche Händedruck bei der Begrüßung von Patienten im Corona-Zeitalter entfällt.

Die Menschen haben den Ernst der Lage erkannt

Auch wenn man vor den Praxen schon einmal die üblichen Sätze von Unbelehrbaren höre ("ich war immer gesund, also werde ich auch durch Corona nicht krank"), hätte der allergrößte Teil der Patienten den Ernst der Lage erkannt, sagt Förster: "Die Menschen halten Abstand und beachten Hygiene-Vorgaben." Was sie alle eint: "die Angst und die Verunsicherung in der Corona-Krise."

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Er sei in diesen Tagen fast mehr Psychologe als Arzt, sagt Tim-Henning Förster. Der Allgemeinmediziner bekommt mit, dass Beschäftigte mit einem mulmigen Gefühl zur Arbeit fahren. "Wenn sie mir erzählen, dass im Betrieb noch nicht einmal ausreichend Seife vorhanden ist, kann ich nur den Kopf schütteln." Die Vorstellung, sich am Arbeitsplatz mit dem Virus zu infizieren, belaste viele, sagt der Mediziner. "Ich habe nicht den Eindruck, dass in diesen Tagen das ,Faul-Fieber' bei Krankmeldungen eine Rolle spielt."

Beruhigend auf die Patienten einwirken

Auch ein Hausarzt ist in Corona-Zeiten großen Belastungen ausgesetzt. Er muss auf seine Patienten beruhigend einwirken, gleichzeitig macht er sich selbst Sorgen: um seine Familie, um seine Patienten, sein Team und um sich selbst. Was ist, wenn im Zuge einer rapiden Verbreitung des Coronavirus der Katastrophenfall ausgerufen wird und andere Instanzen über ihn verfügen können? Er schlafe seit Tagen schlecht, sagt der dreifache Familienvater, er werde mitten in der Nacht wach, und diese Gedanken gingen ihm nicht mehr aus dem Kopf. "Ja, ich habe Muffe davor. Aber ich würde mich als Arzt dieser Aufgabe stellen. Ich werde nicht wegrennen."

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Martin Mansfeld (55) glaubt nicht, dass Hausärzte im Notfall in Krankenhäuser wechseln müssen. "Das wird und kann es nicht geben", sagt der Allgemeinmediziner aus Siegen, der wie Förster von immer knapper werdenden Schutzmaterialien in Praxen spricht und auch Patienten-Anrufe fast rund um die Uhr bestätigt. "Wir haben den Auftrag zur primären medizinischen Versorgung der Bevölkerung."

Arzt sitzt in der ersten Reihe

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    Mansfeld ist seit 25 Jahren Hausarzt. Die aktuelle Situation treibt auch ihn um: "Natürlich bin ich selbst ängstlich. In meiner Praxis sitze ich in der ersten Reihe", sagt der Vater von zwei Kindern. Dennoch sei es seine Aufgabe, den Patienten gegenüber Ruhe und Sicherheit auszustrahlen, so der Siegener Mediziner, der 2. Vorsitzender des Bezirks Süd im Hausärzteverband Westfalen-Lippe ist. So könne man auch Panikreaktionen von Patienten begegnen, die derzeit Medikamente hamstern wollten.

    Als Hausarzt benötige man Empathie und ein gutes Gehör, findet Mansfeld. In diesen Tagen zeige sich, welcher Wert sein Berufsstand im Leben eines höchst beunruhigten Menschen habe. "Die Leute brauchen den persönlichen Kontakt zu uns", erteilt er Überlegungen aus der Gesundheitspolitik zur Telemedizin eine Absage: "Eine Hotline kann keinen Arzt ersetzen."