Soest/Wuppertal. Die Idee klingt gut. Ein geschlossener Kreislauf zur Eigenversorgung mit frischem Fisch und Gemüse. Das FH-Projekt Aquaponik zeigt, wie es geht.

Von Rudi Pistilli

Rolf Morgenstern und Sophia Kahl teilen eine Idee: Sie setzen in Zeiten von Fridays for Future und des Strebens nach Nachhaltigkeit auf Urban Farming. Dazu gehört auch Aquaponik, ein Verfahren, das Techniken der Aufzucht von Fischen in Aquakultur und der Kultivierung von Nutzpflanzen mittels Hydrokultur in einem geschlossenen Kreislauf verbindet. Bei ihrer Suche, wie wirtschaftlich tragfähige Systeme aussehen könnten, arbeiten der Forscher und die Produktdesignerin oft Hand in Hand.

Auf Morgensterns Jacke steht in gelben Lettern „Die Urbanisten“. So nennt sich ein Verein, der immer mehr Bürger davon überzeugt, den eigenen Lebensraum in der Stadt ökologischer zu gestalten. Der 50-jährige Chemieingenieur ist wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Fachhochschule Südwestfalen und Spezialist für Verfahrenstechnik. Er steht im Forschungsgewächshaus auf dem Soester Campus vor mannshohen Fischbassins und erklärt, wie Aquaponik funktioniert: „Aus den Hinterlassenschaften der Fische wird Nitrat erzeugt, daraus Düngung für Obst und Gemüse. Die Kombination aus Aqua- und Hydrokultur soll die Umwelt schonen und Anbaufläche sparen.“

Konzepte und Forschung

An der Universität Rostock gibt es einen Lehrstuhl für Aquakultur. Auf dem Campus wird in einem speziellen Fischglashaus geforscht, wie Fische ressourcenschonend auf Landwirtschaftsflächen produziert werden können.

Sechs Millionen Euro gab die EU im Februar aus, damit Experten in Deutschland, Spanien, Belgien und China in großflächigen Versuchsanlagen die Wirtschaftlichkeit von Aquaponik testen können. Davon profitiert auch das neueste Projekt der FH Soest: Auf einer Brachfläche der ehemaligen Kokerei Hansa in Dortmund-Huckarde soll eine produktiv-grüne Infrastruktur entstehen. Dazu gehören zwei 300 Quadratmeter große Aquaponik-Gewächshäuser, die 2021 in Betrieb gehen sollen.

Ein Aquaponik-Projekt gibt es auch im Naturschutzzentrum Arche Noah in Menden, das in einem früheren Freibad entstanden ist.

2015 ging das Projekt an der Fachhochschule Soest an den Start. Fünf Jahre später sei ein eindeutiges Fazit schwierig, so Morgenstern. „Die Gewinnmargen sind schmal. Und nur wenige sind bereit, für einen Kilo Fisch aus dem Supermarkt 30 statt 6 Euro auszugeben“, informiert der Chemieingenieur. Größtes Problem aber seien die Flächenkosten in den Städten. „5000 Quadratmeter braucht man, damit es sich rechnet.“ Also alles nur Utopie?

„Aquaponik bedeutet lokale Herkunft, besondere Frische und kurze Wege. Es ist nicht die Zukunft der Landwirtschaft, sondern ein Bestandteil, um das Leben in den Städten lebenswerter zu gestalten“, betont Morgenstern. Der gebürtige Duisburger sieht mögliche Einsatzgebiete von großen Anlagen auf den Industriebrachen des Ruhrgebiets. Wer es mit Nachhaltigkeit wirklich ernst meine, der sei auch bereit, zu investieren. Hilfreich könnte dabei sein, Urban Farming als Brückenkopf für umliegende Landwirte zu etablieren.

Ein Berliner Start-up

Das Berliner Start-up ECF Farmsystems wird oft erwähnt, wenn es um ökonomisch erfolgreich betriebene Aquaponik geht. Seinen „Hauptstadtbarsch“ und „Hauptstadtbasilikum“ verkauft es in mehr als 100 Supermärkten. Morgenstern hält davon nicht viel. Er bezweifelt, dass ECF echte Aquaponik betreibt. Weil die Nährstoffe der Fische für die Tomaten nicht ausreichten, müssten sie nachdüngen. „Sie haben gar kein Kreislaufsystem mehr.“

Aquaponik
Aquaponik © nn | NN

In Deutschland gibt es laut Morgenstern bisher nur wenige Netzwerke, die die Entwicklungen in der Aquaponik vorantreiben. Darunter auch der Wuppertaler Verein „Aufbruch am Arrenberg“, der mit der Fachhochschule Südwestfalen zusammenarbeitet. Die Wuppertaler haben es sich zum Ziel gesetzt, mit einem ganzen Stadtteil bis 2030 CO₂-neutral zu werden. Auch mit Hilfe von Aquaponik.

„Unsere Farm-Box steht in der Utopiastadt im Stadtteil Elberfeld“, schildert Sophia Kahl, die Projektentwicklerin des Vereins, die mit 20 weiteren im Team Daten für die Fachhochschule sammelt. Als Basis für die Farm-Box dient ein sechs mal zweieinhalb Meter großer Schiffscontainer. Darauf angedockt ist das Gewächshaus.

„Zurzeit befinden sich im Container keine Afrikanischen Buntbarsche“, teilt die 30-Jährige mit. „Wir haben sie bei einer Abschiedsfeier vor dem Winter verspeist, da wir über kein Heizsystem verfügen.“ Im April soll es wieder losgehen.

Feuer und Flamme für eine Idee

Bisher, berichtet Sophia Kahl, hätten sie gute Erfahrungen gemacht: „Wir sparen eben nicht nur Transportkosten.“ Wirtschaftlich, verrät sie, sei es allerdings nicht. Fast 60.000 Euro steckten in der Farm-Box. Das eigene Basilikum, die Tomaten und die 30 Barsche, das passe nicht nur gut zusammen, es schmecke auch hervorragend. „Aber wir wollen mehr.“ Zurzeit lote man aus, wie groß die Anlage sein müsste, um das ganzes Stadtquartier mit frischem Gemüse und Fisch zu versorgen. „Direkt vor der Haustür, zum Greifen nah.“ Sophia Kahl äußert’s und ist sofort wieder Feuer und Flamme für Aquaponik.