Hagen. Der Sauerländische Gebirgsverein ist entsetzt, dass die rechtsextremistische Identitäre Bewegung ein Wochenende in Plettenberg abgehalten hat.

Wenn einer die Wanderhütten im Gebiet des Sauerländischen Gebirgsvereins (SGV) aus dem Eff-Eff kennt, dann ist das Manfred Küchler. „So etwas hat es bei uns noch nicht gegeben“, sagt der Hauptfachwart für Heime und Hütten im SGV und Vorsitzender der Abteilung Hordel-Bochum, „das hätte ich sonst erfahren.“ Der 69-Jährige spricht das „Aktivistenwochenende“ von Mitgliedern der vom Verfassungsschutz beobachteten und als rechtsextremistisch eingestuften Identitären Bewegung (IB) am letzten Januar-Wochenende im Sauerland an – in der von der SGV-Abteilung Hordel-Bochum betriebenen Paul-Berge-Hütte in Plettenberg.

38 Sekunden langes Youtube-Video

Das Treffen wurde jetzt durch ein 38 Sekunden langes Video bekannt, das die IB NRW bei Youtube verbreitet. Wie die Gruppierung per Twitter mitteilte, habe man „ein erfolgreiches Aktivistenwochenende“ abgehalten. Wörtlich: „Neben einem gut strukturierten Bildungsprogramm gab es sportliche Ertüchtigung und samstags zum Abschluss einen unterhaltsamen Abend in geselliger Runde.“ Beobachter der rechtsextremistischen Szene sprechen von „Wehrsportübungen“.

Im Video – untermalt mit gefälliger Hintergrundmusik – sind junge Männer zu sehen, die einem Referenten in einem Raum zuhören und in einem Waldstück, unter anderem in der Dunkelheit – Dehn- und Lockerungsübungen sowie ein Boxtraining absolvieren. „Man erkennt unsere Paul-Berge-Hütte eindeutig“, sagt Manfred Küchler.

SGV-Hütte zwischen den Plettenberger Ortsteilen Ohle und Selscheid

Die unbewirtschaftete Hütte hat 22 Betten, einen Duschraum, einen Waschraum und einen Aufenthaltsraum für 45 Personen. Sie liegt im Jeutmecketal zwischen den Plettenberger Ortsteilen Ohle und Selscheid. Verlässt man die Kreisstraße, ist man auch schon in dem Weg mit zwei Häusern und eben jener Hütte. Rundherum: Wald. Viel Wald. In Bewertungen auf der Internetseite gruppenhaus.de, auf der Wanderhütten im ganzen Bundesgebiet gebucht werden können, wird die idyllische Lage „ohne Ablenkung von außen“ gerühmt. Handys haben hier keinen Empfang.

Auch Nicht-SGV-Mitglieder können die Hütte mit Selbstverpflegung „und fließend warmem Wasser in allen Zimmern“ in dem Portal buchen. Manfred Küchlers Sohn betreut für die Paul-Berge-Hütte die Abwicklung im weltweiten Netz. „Ein Mann hat mit seinem Namen und seiner Email-Adresse die Belegungsanfrage gestellt, anschließend die Miete (10 bis 15 Euro pro Person plus Energiekostenpauschale von 1 Euro pro Person) überwiesen und wie im Mietvertrag vereinbart zum verabredeten Zeitpunkt den Schlüssel bei unserer Vor-Ort-Betreuerin in Empfang genommen“, schildert Manfred Küchler. „Er war zu dem Zeitpunkt alleine. Die anderen trafen wohl nach und nach ein.“

Angeblicher Freundeskreis wollte sich zu „schönem Wochenende“ treffen

Der Mann habe gesagt, dass sich ein Freundeskreis zu einem schönen Wochenende treffen wolle. Auf der Meldeliste hätten 22 Namen von Teilnehmern gestanden. „Wenn wir gewusst hätten, wem wir da unsere Hütte zur Verfügung stellen, wäre der Mietvertrag niemals zustanden gekommen, sagt Küchler. Seine Abteilung - wie der Gesamtvorstand des SGV mit Thomas Gemke aus Balve, Landrat des Märkischen Kreises, an der Spitze – hat sich mittlerweile ausdrücklich von der Identitären Bewegung distanziert. Die IB war am Sonntag telefonisch nicht erreichbar.

Dem Rechtsextremismusexperten Stefan Lauer von der Amadeu-Antonio-Stiftung zufolge sind sogenannte „Aktivistenwochenenden“ bei der Identitären Bewegung durchaus üblich: „Sie sind eine Mischung aus Vorträgen und Wehrsportübungen – auch wenn Letzteres im IB-Vokabular nicht vorkommt.“ Aber die „Körperertüchtigung“ mit Begriffen wie Angriff, Kampf oder Selbstverteidigung sei ein Teil dieser Bewegung.

Identitäre Bewegung: Gewaltfreiheit angezweifelt

Die IB behaupte zwar immer, für Gewaltfreiheit zu sein, so Lauer weiter. Aber sie gehöre zu den Akteuren, die den Weltuntergang an die Wand malten – „mit Aussprüchen wie: ,Wir sind die letzte Generation, die jetzt noch aktiv sein kann’.“ In Nachbarländern wie Österreich und Frankreich seien schon IB-Mitglieder mit gewalttätigen Aktionen aufgefallen. „Auch in Halle, wo bis vor kurzem ein ,identitäres Hausprojekt’ existierte, kam es zu Gewalt.“

„Aktivistenwochenenden“ sind nach Beobachtung des Rechtsextremismusexperten „eine Art Kaderschmiede“. „Um daran teilzunehmen, muss man in der Bewegung akzeptiert sein. Man kann nicht einfach so teilnehmen.

Aktivistenwochenenden eher im ländlichen Raum

Die Wochenenden fänden eher im ländlichen Raum statt, weil man dort unbeobachteter sei. „Zudem ist es auch rechtsextreme Taktik, in (kleineren) Orten präsent zu sein, an denen es nicht mehr so viele Angebote für junge Leute gibt. Hier kann man – so deren Denken – junge Leute einfacher zum Mitmachen gewinnen.“

Dass die Vermieter der Paul-Berge-Hütte in Plettenberg bei der Buchung nichts bemerkt haben, ist für Lauer nicht verwunderlich: „Die IB ist ein sehr undurchsichtiges Gebilde, es lassen sich Zusammenhänge nicht immer eindeutig der IB zuordnen.“

Teil der „Neuen Rechten“

Lauer beschreibt die IB als eine rechtsextreme Gruppierung, die in Deutschland vom Verfassungsschutz beobachtet werde und laut Verfassungsschutzbericht 2019 etwa 500 Mitglieder habe. „Sie ist Teil der „Neuen Rechten“, die nach außen – fernab des Bilds von Springerstiefel tragenden Aktivisten – vermeintlich intellektuell, smart und harmlos daherkommt.“ Schaue man aber auf die Inhalte, werde schnell klar, dass man nahe dem sei, was die NPD früher propagiert habe: „Deutschland den Deutschen.“

Insgesamt aber ist die IB nach Beobachtung der Amadeu-Antonio-Stiftung innerhalb der rechten Szene eher auf dem absteigenden Ast. Stefan Lauer: „Es ist nicht so, wie gerne von Mitgliedern dargestellt, dass es sich um einen Zusammenschluss von jungen Leuten aus der Mitte der Gesellschaft handelt.“

Personal aus dem gesamten rechten Milieu

Ihr Personal rekrutiere sich aus dem gesamten rechten Milieu, beispielsweise aus der Jugendorganisation der NPD, aus Kameradschaften oder aus Burschenschaften. „Auch wenn bei der AfD ein Nichtvereinbarkeits-Beschluss vorliegt, gibt es Verbindungen zur IB – insbesondere auf kommunalpolitischer Ebene.“

Der SGV Hordel-Bochum hat über eine Strafanzeige gegen die unerwünschten Mieter nachgedacht, so Vorsitzender Küchler. „Beim Staatsschutz sagte man uns, dass wir nichts machen können. Es liege keine Straftat vor.“ Das bestätigt der Staatsschutz im Hagener Polizeipräsidium: „Eine strafrechtliche Relevanz wurde nicht festgestellt.“

Juristische Möglichkeiten offenhalten

Für die Zukunft wollen sich die Wanderfreunde aber juristische Möglichkeiten offenhalten: „Wir werden in die Nutzungsbedingungen schreiben, dass Bildaufnahmen auf dem Grundstück nicht veröffentlicht werden dürfen. Bei Verstößen können wir dagegen vorgehen.“