Hagen/Dortmund. Der Fall in Düsseldorf erregte Aufsehen. Mobbing gegen Lehrkräfte ist an der Tagesordnung, sagt Inka Schmidtchen, Gewerkschafts-Justiziarin.

Anfang der Woche hatte das Düsseldorfer Max-Planck-Gymnasium für Aufsehen gesorgt: An der Schule waren nach mehreren Schmähungen gegen Lehrer in sozialen Medien zwei Klassenfahrten der 9. Jahrgangsstufe abgesagt worden.

Zudem erstattete eine Lehrkraft Anzeige. Die Staatsanwaltschaft ermittelt. Inka Schmidtchen ist Justiziarin beim Verband Erziehung und Bildung (VEB) in NRW und damit mit der Wahrung gesetzlicher Rechte von über 24.000 Mitgliedern aus ganz Nordrhein-Westfalen befasst. Fälle von Cyber-Mobbing gegen Lehrer, sagt sie, sind an der Tagesordnung.

Ist der Fall in Düsseldorf ein Einzelfall oder nur die Spitze des Eisbergs?

Das ist kein Einzelfall. Dass Schüler gegen Lehrer vorgehen, ist leider ein tagtägliches Problem an deutschen Schulen. Vor allem das Cyber-Mobbing hat zugenommen. Die Schüler machen Videos von ihren Lehrern oder fertigen Tonmitschnitte an. Dann werden beleidigende oder verunglimpfende Untertitel dazu verfasst und veröffentlicht: in Whats-App-Gruppen, bei Instagram oder Facebook.

Welchen Tonfall dürfen wir uns dabei vorstellen?

Es geht los mit Lästereien und geht über in Beleidigungen. H...sohn, Schlampe, Nazi – alles, was man sich an massiven Beleidigungen vorstellen kann, ist dabei und geht bis hin zu Drohungen. Es kommt zu abendlichen Drohanrufen von Eltern und Schülern bei den Lehrkräften. In Stuttgart gab es zuletzt einen Fall, in dem ein 14-Jähriger in einem Gruppenchat über seine Schulleiterin sagte, dass sie sich abstechen solle. Die Schule verhängte einen 15-tägigen Unterrichtsausschluss, gegen den der Schüler Rechtsmittel einlegte, weil es ja privat sei, was er da schreibe.

Gab es bereits ein Urteil dazu?

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Ja, das Gericht konnte seiner Argumentation nicht folgen, weil er Persönlichkeitsrechte verletzt hatte.

Wie gelangt das Wissen aus Whats-App-Gruppen denn an die Lehrer oder Ermittler?

Der Lehrer selbst darf ein Handy zwar konfiszieren, aber nicht benutzen und die Inhalte von Nachrichten lesen. Manchmal melden sich Personen, die dem Gruppenchat angehören, dass dort Mobbing stattfindet. Manchmal ist es aber auch so, dass Lehrpersonal einen Verdacht hegt über strafrechtlich relevante Vorgänge in Gruppen. In diesem Fall kann die Polizei eingeschaltet werden und die wiederum darf die Inhalte dann prüfen.

Hat diese Art von Mobbing zugenommen?

Ich mache diesen Job jetzt seit elf Jahren ich habe klar den Eindruck, dass das zugenommen hat. Das liegt natürlich auch daran, dass es die modernen Kommunikationsmittel zulassen. Früher hat man sich angebrüllt und gestritten, heute werden diese Dinge in den Sozialen Medien ausgetragen und Lehrer vorgeführt und diffamiert, manchmal aus der Anonymität heraus. Dinge, die die Schüler sonst nicht sagen würden, sagen sie dort umso mutiger.

Inka Schmidtchen, Justiziarin beim Verband Erziehung und Bildung (VEB) in NRW.  
Inka Schmidtchen, Justiziarin beim Verband Erziehung und Bildung (VEB) in NRW.   © Frauke Schumann Fotografie

In welchem Alter sind die Kinder, die Lehrer angehen?

Wir haben die Erfahrung gemacht, dass schon im Grundschulalter Lehrkräfte beschimpft werden. Dies dann allerdings nicht so oft über elektronische Kommunikationsmittel. Das Cyber-Mobbing findet nach unserer Erfahrung dann statt, wenn auch die Aktivitäten auf Plattformen wie Facebook beginnen oder so etwas wie Whatsapp genutzt wird. Das ist sehr unterschiedlich und eher abhängig von dem Umfeld.

Was macht es mit Lehrern, wenn sie Mobbing ausgesetzt sind?

Das ist natürlich personenabhängig. Es ist ja auch manchmal nicht so leicht, die Dinge richtig einzuschätzen. Das Wort „Bitch“ (deutsch: Miststück) gehört zum Jargon vieler Jugendlicher und ist auch im Bezug auf eine Lehrerin nicht zwingend bösartig gemeint. Aber natürlich gibt es Lehrer, die Bedrohungen und Beleidigungen in starkem Maße ausgesetzt sind und darüber psychische Erkrankungen erleiden, die Burnout-Syndrome zeigen oder Angstzustände bekommen.

Was muss unternommen werden, um solche Auswüchse zu unterbinden?

Lehrkräfte müssen gut geschult werden. Sie sollten wissen, dass sie in solchen Fällen agieren, also handeln sollten. Sie sollten wissen, welche Maßnahmen ihnen zur Verfügung stehen. Und sie sollten wissen, wohin sie sich wenden können: an den schulpsychologischen Dienst, an die Landespräventionsstelle gegen Gewalt - und so schnell wie möglich auch an uns. Oft ist es so, dass wir fragen müssen: Warum melden Sie sich erst jetzt?

Woran liegt das?

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Einige schämen sich, was wirklich ein Irrsinn ist. Ein Opfer ist nie schuld. Aber in vielen steckt der Gedanke: Ich bin doch Pädagoge, das ist mein Job, ich kann damit umgehen. Je früher wir in Kenntnis sind, desto früher können wir konkrete Hilfen anbieten.

Muss mit dem Thema offensiver umgegangen werden?

Das Beispiel in Düsseldorf zeigt, wie es gehen kann. Da hat die Schulleitung Flagge gezeigt und hat eine wirkungsstarke schulische Maßnahme getroffen, nämlich die Absage der Klassenfahrten.

Es ist darüber diskutiert worden, ob diese Kollektivstrafe angemessen war.

Ich kann das abschließend nicht einschätzen, ich vermute aber, dass es nicht zum ersten Mal zu solchen Zwischenfällen gekommen ist. Für eine Klassenfahrt braucht es eine besonders vertrauensvolle Atmosphäre zwischen Lehrkraft und Schülern. Wenn die stark eingetrübt ist, kann es durchaus sinnvoll sein, die Fahrt abzusagen.