Hagen/Arnsberg. Immer öfter werden Gerichtsvollzieher Opfer von Gewalt. Wie gefährlich sein Beruf ist, weiß Frank Neuhaus aus Arnsberg. Was er schon erlebt hat.
Für einen Kölner Vollstreckungsbeamten(47) endet ein Hausbesuch kurz vor Weihnachten tödlich. Der 60-jährige Bewohner ersticht ihn mit einem Messer. In dieser Woche wurde er beigesetzt. Frank Neuhaus (50) weiß, wie gefährlich es sein kann, für Gläubiger Geld einzutreiben. Der Arnsberger ist Vorsitzender des Deutschen Gerichtsvollzieher-Bundes NRW und seit 20 Jahren als Gerichtsvollzieher tätig.
Auch die Zahlen zeigen, dass er und seine Kollegen immer öfter Opfer von Beleidigungen, Drohungen und gewalttätigen Übergriffen werden: Insgesamt registriert das NRW-Justizministerium 288 Fälle für das Jahr 2018 – ein Anstieg von 5,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Doch nach Neuhaus’ Ansicht tut Justizminister Peter Biesenbach dagegen zu wenig.
Was macht die Nachricht vom tödlichen Übergriff auf einen Ihrer Kollegen in Köln mit Ihnen?
Frank Neuhaus: Zum einen machen mich solche Vorfälle betroffen und traurig. Ich denke an die Kolleginnen und Kollegen und deren Familien. Da stelle ich mir schon morgens, wenn ich losfahre, die Frage: Was ist eigentlich, wenn du heute nicht mehr nach Hause kommst? Es macht mich aber auch wütend, weil ich weiß, dass einige dieser Übergriffe zu vermeiden sind, wenn Gerichtsvollzieher auf bessere Schutzmechanismen zurückgreifen könnten. Hier wird seitens der Politik zu viel angekündigt, aber nichts Konkretes umgesetzt. Uns wurde zum Beispiel gerade erst vom NRW-Justizministerium verboten, eine blendende Taschenlampe mitzuführen. Die angreifenden Schuldner könnten allergische Reaktionen zeigen. Da kann man nur mit dem Kopf schütteln.
Zu wenig Schutz durch die Polizei
Was fordern Sie konkret?
Dass Gerichtsvollzieher einfacher als heute die Polizei zur Hilfe holen können. Mir haben schon Polizisten gesagt, wenn sie hören, bei wem ich einen Hausbesuch mache, dass sie da nur bewaffnet und mit vier Streifenwagen hinfahren würden. Gleichzeitig lehnt die Polizei aber Polizeischutz ab, obwohl der Schuldner zum Beispiel schon wegen Raubs, schwerer Körperverletzung und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte vorbestraft ist. Die Polizei hat Angst, dass sie von den etwa 1000 Gerichtsvollziehern in NRW 25 Mal am Tag angefordert wird und dafür haben die Beamten natürlich keine Zeit, aber wir wollen das ja auch nicht. Weshalb das auch nur in seltenen Fällen vorkommt. Meine Kollegen machen da durch kluge Kommunikation einen Superjob. Aber wenn es zu einem Übergriff kommt, muss der zur Anzeige gebracht und die Täter müssen entsprechend bestraft werden. Wenn es tatsächlich eine Null-Toleranz-Strategie gibt, muss der NRW-Justizminister Peter Biesenbach auch dafür sorgen, dass diese umgesetzt wird.
Auch im Sauerland ist Vorsicht ein „ständiger Begleiter“
Wie weit weg sind die Geschehnisse in Köln und anderen Großstädten? Was haben Sie bisher erlebt?
Wenn es emotional wird, etwa bei Wohnungsräumungen, ist überall Vorsicht geboten – egal ob im Sauerland, in Dortmund oder Köln-Nippes. Ich habe schon die ganze Palette der Beschimpfungen gehört. Sowas wie „Idiot“ überhöre ich einfach. Verletzt worden bin ich zum Glück noch nicht. Einmal haben mich zwei Herren aus der Wohnung gedrängt und ich wäre fast gestürzt. Vor ein paar Jahren hat ein Schuldner einen Staubsauger das Treppenhaus hinuntergeworfen, der hat mich knapp verfehlt. Ich habe den Mann vorher nie als aggressiv erlebt, aber in dem Moment schien ihm klar zu werden, dass er alles verliert. In solchen Momenten gilt dann „,Safety First“, abbrechen und die Situation verlassen. Vorsicht ist ein ständiger Begleiter.
Auch interessant
Gefährderdatei zum Schutz der Gerichtsvollzieher gefordert
Aber Gerichtsvollzieher können doch bestimmt auch herausfinden, welche Gefahr von einem Schuldner ausgeht?
Nein. Da müssen wir selbst drauf kommen bzw. es muss bereits etwas vorgefallen sein wie eine Bedrohung. Nur das Bauchgefühl allein reicht nicht aus. Wir fordern daher, dass wir Einsicht in die behördlichen Register nehmen können, etwa in die staatsanwaltschaftlichen Register, das Bundeszentralregister oder die kommunalen Register. In anderen Ländern wie Belgien machen die Kollegen das immer. Das muss auch in Deutschland möglich sein. Auch fordern wir den Aufbau einer Gefährderdatei. Hier sollten alle gewalttätigen Übergriffe eingetragen werden. Man kann dann schnell sehen, ob ein Schuldner schon mal aggressiv gegenüber öffentlichen Bediensteten geworden ist. Der Minister sagt uns aber: geht nicht aus Datenschutzgründen. Hier ist der Datenschutz dann Täterschutz. Das darf nicht sein.
Auch interessant
Mehr Aggressionen und weniger Respekt gegenüber dem Öffentlichen Dienst
Empfinden Sie Ihren Beruf heute als gefährlich?
Er ist auf jeden Fall gefährlicher geworden, weil die Hemmschwelle niedriger ist und mehr Aggressionen da sind. Als ich vor 20 Jahren angefangen habe, war das nicht so. Durch die sozialen Medien ist es viel einfacher, jemanden zu beleidigen – und das wird auch gegenüber dem Öffentlichen Dienst zum Ausdruck gebracht. Früher gab es mehr Respekt. Wenn selbst Rettungssanitäter angegriffen werden, läuft etwas gehörig falsch. Wer Angst hat, kann unseren Beruf nicht ausüben.
Auch interessant
Das klingt recht düster. Gibt es auch positive Begegnungen oder Schicksale, die Sie besonders bewegen?
Es gibt immer wieder Schicksale, die mir nahe gehen. Der Schuldner, der von schwerer Krankheit gezeichnet jeden Tag einen kleinen Job weitermacht, damit er die Raten bei mir leisten kann. Oder die Rentnerin, die nicht zum Amt gehen will und sich die Raten vom Munde abspart. Auch sind immer wieder Unternehmer dabei, die mit ihrem Handwerksbetrieb pleite gehen, weil ein großer Kunde nicht gezahlt hat. Traurig: Man hat gute Arbeit abgeliefert. Dann wird man sitzen gelassen und muss Insolvenz anmelden. Da hängen auch immer weitere Arbeitsplätze dran. Natürlich habe ich auch Stammkunden, da war ich schon bei den Großeltern, bei den Eltern und jetzt sind die Kinder selbst Schuldner. Da ist man schon fast Teil der Familie. Besonders schön ist es, wenn man nach jahrelanger Ratenzahlung zum letzten Mal zu einem Schuldner fährt. Ich habe in einem solchen Fall nach Jahren den Schuldner wieder getroffen. Er hat mir dann gesagt: „Danke, Herr Neuhaus, ohne sie hätte ich das nicht geschafft.“