Berlin/Hagen. Können künftig immer Organe entnommen werden, wenn es keinen Widerspruch gibt? So positionieren sich die Abgeordneten aus Südwestfalen.

Vor der Bundestagsentscheidung zur Neuregelung der Organspende am Donnerstag zeichnet sich zumindest bei den Abgeordneten in der Region eine Mehrheit gegen die von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) und einer Gruppe weiterer Abgeordneter aus verschiedenen Fraktionen favorisierte Widerspruchslösung ab.

Die sieht vor, dass jeder als Organspender gilt, der dem nicht widerspricht. Ein anderer Antrag – ebenfalls fraktionsübergreifend – lehnt dies dagegen ab und will stattdessen Bürger besser informieren. Nach einer Umfrage der WESTFALENPOST ergibt sich bei den Abgeordneten in der Region folgendes Bild.

Für die Widerspruchslösung: Matthias Heider (CDU, Olpe/Märkischer Kreis), Dirk Wiese (Hochsauerlandkreis), Nezahat Baradari (SPD, Olpe/Märkischer Kreis).

Gegen die Widerspruchslösung: Patrick Sensburg (CDU, Hochsauerlandkreis), Dagmar Freitag (SPD, Märkischer Kreis), René Röspel (SPD, Hagen/Ennepe-Ruhr-Kreis), Volkmar Klein (CDU, Siegen-Wittgenstein), Ralf Kapschack (SPD, EN-Kreis), Johannes Vogel (FDP, Olpe/Märkischer Kreis), Carl-Julius Cronenberg (FDP, HSK).

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Enthaltung: Katrin Helling-Plahr (FDP, Hagen/Ennepe-Ruhr-Kreis).

Keine Angaben: Die Linken-Angeordnete Sylvia Gabelmann aus Siegen war am Mittwoch nicht erreichbar.

So begründen die Abgeordneten ihre Entscheidung

Dirk Wiese (SPD, Hochsauerlandkreis): „Jede und jeder kann einmal selbst in die Situation kommen, dass man auf eine Organspende angewiesen ist. Und da finde ich es richtig, sich auch selbst dafür bereit zu erklären. Der Vorschlag von Jens Spahn und Karl Lauterbach ist für mich richtig. Er bewirkt, dass man sich aktiv im Leben damit auseinandersetzen muss. Er verpflichtet aber niemanden, da man widersprechen kann. Die Alternative würde zu keinen wesentlichen Veränderungen führen. Ich werde daher am Donnerstag für die Widerspruchslösung stimmen.“

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Johannes Vogel (FDP, Märkischer Kreis/Olpe): „Ich werde den Vorschlag zur Widerspruchslösung von Jens Spahn ablehnen. Ich bin selber Organspender und wünsche mir, dass sich jeder Mensch einmal ausführlich mit dem Thema befasst. Schweigen kann aber nicht als Zustimmung gedeutet werden. Das Wort Spende bedeutet, dass eine positive Entscheidung zugrunde liegt. Das wäre beim Vorschlag von Jens Spahn nicht der Fall. Daher werde ich dem überfraktionellen Vorschlag zur Entscheidungslösung zustimmen.“

Matthias Heider (CDU, Olpe/Märkischer Kreis): „Ich werde die von Bundesgesundheitsminister Spahn vorgeschlagene doppelte Widerspruchslösung unterstützen. Tausende von Menschen warten in Deutschland verzweifelt auf eine Organspende – und es ist unsere mitmenschliche Pflicht, alles zu unternehmen, um deren Leben zu retten. Durch die doppelte Widerspruchslösung wird jede Bürgerin und jeder Bürger angehalten, sich mit dem Thema Organspende auseinanderzusetzen und zu entscheiden, ob später eine Organspende geleistet werden soll. Das Recht, diese Entscheidung völlig eigenständig zu treffen, besteht fort. Es wird also ein aktives Tun jedes Einzelnen angereizt – im Dienste einer guten und wichtigen Sache.“

Patrick Sensburg (CDU, Hochsauerlandkreis): „Als Motorradfahrer bin ich persönlich schon seit langem mit einem Organspendeausweis unterwegs und bin deshalb unserem Bundesgesundheitsminister Jens Spahn sehr dankbar dafür, dass er dieses Thema mit großem persönlichen Einsatz auf die Tagesordnung gebracht hat. Dennoch kann ich seinen Vorschlag einer Widerspruchslösung nicht unterstützen, da meiner Meinung nach Schweigen nicht einfach als Zustimmung gewertet werden kann. Selbst beim Surfen im Internet müssen wir unser Einverständnis zur Verarbeitung unserer Daten ausdrücklich erteilen. Da kann eine so schwerwiegende Entscheidung wie eine Organspende nach meinem Empfinden nicht ohne ausdrückliche Zustimmung des Spenders erfolgen. Ich neige daher momentan eher dazu, dem Gegenvorschlag für eine Verbesserung der Spendenbereitschaft zuzustimmen. Hier können wir noch viel an Werbung machen, was bislang noch gar nicht angepackt wurde.“

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Volkmar Klein (CDU, Siegen-Wittgenstein): „Einer Einführung der so genannten Widerspruchslösung werde ich nicht zustimmen. Die gute Absicht, die Anzahl gespendeter Organe zu erhöhen, lässt sich auch anders erreichen. Einige Maßnahmen zum Abbau organisatorischer Hürden in den Kliniken haben wir ja bereits im letzten Jahr beschlossen, die Auswirkungen sind hier aber noch gar nicht sichtbar. Die Widerspruchslösung würde die Verfügbarkeit des menschlichen Körpers für die Gesellschaft zum Normalfall machen, dem man erst aktiv widersprechen müsste. Für mich wäre das ein Stück Verstaatlichung des Menschen, in jedem Fall würde das Wort Organ“spende“ damit ad absurdum geführt.Die Würde des Menschen muss unantastbar bleiben, auch über den Tod hinaus. Daher halte ich eine positive Entscheidung für eine Organspende für zwingend erforderlich.“

Nezahat Baradari (SPD, Märkischer Kreis/Olpe): „Jeden Tag warten rund 9500 Menschen in Deutschland auf ein Spenderorgan. Wir müssen sogar Organe aus anderen europäischen Ländern importieren. Die vielen Aufklärungskampagnen der letzten Jahre haben zu keiner Verbesserung der Situation geführt, obwohl die deutsche Bevölkerung der Organspende gegenüber mehrheitlich positiv eingestellt ist. Im

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Alltag haben Hausärzte und -ärztinnen nicht die nötige Zeit, um für eine umfassende Aufklärung über Leben und Tod sowie die Organspende zu sorgen. An jedem Tag kann jeder von uns durch einen Virusinfekt oder durch einen Unfall eine Organspende benötigen. In so einem Falle, wäre ich persönlich froh, ein Organ zu bekommen. Daher bin ich für die doppelte Widerspruchslösung, mit der die Zahl der Organspenden erhöht werden kann. Gleichzeitig gibt sie den Menschen die Möglichkeit, sich aktiv gegen eine Spende entscheiden. Diesen Spagat leistet nur der Gesetzesvorschlag zur Widerspruchslösung der Gruppe um Thomas Oppermann und Gesundheitsminister Spahn. Daher werde ich diesem zustimmen.“

Ralf Kapschak (SPD, Ennepe-Ruhr-Kreis): „Ich werde für das Gesetz zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende stimmen und nicht für die so genannte doppelte Widerspruchslösung. Es gibt nichts Wichtigeres als die körperliche Unversehrtheit eines jeden Menschen. Daher ist für mich auch bei diesem Thema die Zustimmung zwingend notwendig. Ziel muss es außerdem sein, dass sich die Menschen viel mehr mit dem Thema befassen, dass sie darüber informiert werden und sie die Chance erhalten, sich damit sachlich auseinanderzusetzen. Dies soll beispielsweise beim Hausarzt und auf Ausweisstellen möglich sein. Bei der doppelten Widerspruchslösung werden jedoch Menschen übergangen, die sich mit der Organspende nicht auseinandersetzen können oder wollen. Sie – oft die Schwächsten in der Gesellschaft – müssen geschützt werden.„Obdachlose, psychisch Kranke und andere Menschen, die sich aus verschiedenen Gründen unter Umständen nicht mit der Organspende befassen, dürfen nicht einfach zu Organspendern erklärt werden, obwohl sie dem nicht zugestimmt haben.“

Dagmar Freitag (SPD, Märkischer Kreis I): „Ich habe mich nach vielen intensiven Gesprächen entschieden, für den Gesetzentwurf zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft bei der Organspende zu stimmen. Vorab: Ich besitze seit mehr als 20 Jahren einen Organspendeausweis und bin auch bei der DKMS registriert. Unbestritten gibt es gute und nachvollziehbare Begründungen für beide Gesetzentwürfe und ich respektiere ausdrücklich jede Stimme für die Widerspruchslösung. Letztlich habe ich mich von folgenden Argumenten bei meiner Entscheidung leiten lassen: In unserem Grundgesetz steht: „ Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Das muss nach meinem Verständnis auch für den sterbenden oder toten Menschen gelten. Spenden sind grundsätzlich etwas Freiwilliges. Was für Geld- oder Sachspenden gilt, muss erst recht für den menschlichen Körper gelten. Schweigen ist nicht gleichbedeutend mit Zustimmung. Der Gesetzentwurf zur Stärkung der Entscheidungsbereitschaft sieht wesentliche Verbesserungen in der Aufklärung der Bevölkerung und der Dokumentation der individuellen Entscheidungen vor. Es wird in der Diskussion oft übersehen, dass der Mangel an Spende-Organen in Deutschland ganz wesentlich auf strukturelle Defizite in den Krankenhäusern zurückzuführen ist. Für eine Erhöhung der Spendebereitschaft sind also zwei Dinge unverzichtbar: die schnelle Verbesserung der Strukturen und das Vertrauen der Menschen in eine Organspende. Und am Ende eines Informations- und Aufklärungsprozesses steht die Entscheidung des Einzelnen für oder eben auch gegen eine Organspende. Beides gilt es zu respektieren.

René Röspel (SPD, Hagen/EN-Kreis II): „Nach vielen Diskussionen und Anhörungen ist für mich deutlich geworden, dass das Kernproblem darin besteht, dass das bereits existierende Potenzial für Spenderorgane in Deutschland viel zu schlecht genutzt wird. Um das zu verändern, gibt es bereits erste Maßnahmen wie die Änderung des Transplantationsgesetzes in 2019. Dennoch wird viel Hoffnung in die Einführung einer Widerspruchslösung gesetzt, die es in anderen Ländern gibt. Ich halte diesen Weg für falsch. Es widerspricht nicht nur unserem Rechtssystem, von einem Menschen ein Einverständnis anzunehmen, nur weil er nicht ausdrücklich widersprochen hat. Ich halte die Widerspruchslösung sogar für kontraproduktiv. Ich sehe die Gefahr, dass das – nach Skandalen glücklicherweise wieder ansteigende – Vertrauen wieder gestört wird, wenn der erste Fall bekannt wird, beim dem der Widerspruch eines Menschen bei der Organentnahme fälschlicherweise angenommen wurde. Ich habe deshalb - wie das meine Aufgabe als Abgeordneter ist – nach reiflicher Überlegung und Abwägung Position bezogen und unterstütze die Entscheidungslösung., die Menschen besser dabei unterstützen will, der Bereitschaft zur Organspende zuzustimmen.

Katrin Helling-Plahr (FDP/Hagen): „Täglich sterben Menschen, weil es nicht genug Spenderorgane gibt. Es ist daher wichtig, dass der Bundestag nun über eine Reform der Organspende entscheidet, wenngleich ich keinen der vorliegenden Vorschläge unterstützen kann. Der eine verliert sich in einer unverhältnismäßigen Maximalforderung, der andere zielt darauf ab, dass alles mehr oder weniger beim Alten bleibt. Die Widerspruchslösung von Gesundheitsminister Jens Spahn setzt die Spendebereitschaft der Bürger quasi voraus: Wenn jemand nicht proaktiv zu Lebzeiten ,Nein’ sagt, wird dies als Zustimmung zur Organentnahme gewertet. Der alternative Vorschlag will primär das Beratungs- und Informationsangebot – im Ergebnis aber nur marginal – verbessern. Ich ganz persönlich kann der Idee einer Widerspruchslösung zwar viel abgewinnen, doch gerade bei der Organspende bedarf es besonderer Sensibilität. Das Interesse der Menschen, die auf eine Organspende angewiesen sind, muss gegen das Selbstbestimmungsrecht möglicher Spender abgewogen werden. Bevor wir mit der Brechstange vorgehen, sollten wir darauf hinarbeiten, dass jeder seine Entscheidung überhaupt dokumentiert. Sinnvoll finde ich eine verbindliche Entscheidungslösung, die Bürger verpflichtet, bei einem Behördengang anzugeben, ob sie Organspender sein möchten oder nicht.“

Carl-Julius Cronenberg (FDP/Hochsauerland): „Persönlich bin ich überzeugt, dass die Entscheidungslösung langfristig ein besseres Ergebnis erreichen wird, weil die Widerspruchslösung erhebliche Nachteile und Risiken birgt. Mein Körper gehört nicht dem Staat, auch nicht nach meinem Tod. Deshalb muss der Staat mich fragen, ob ich zum Wohle der Gemeinschaft meine Organe zur Spende freigebe und nicht umgekehrt, dass ich dem Staat mitteilen muss, wenn ich aus welchem Grund auch immer für eine Spende nicht zur Verfügung stehe. Ein solcher Grund könnte ein Missbrauchsfall sein, den man nie ganz ausschließen kann. Sollte jemals nur der Verdacht auftreten, dass Organe vor dem tatsächlichen Hirntod entnommen wurden, wird die Widerspruchslösung bei weitem mehr diskreditiert als die Entscheidungslösung. Vielmehr kommt es darauf an, Hemmschwellen abzubauen und richtige Anreize zu setzen. Eine Hemmschwelle in Deutschland ist häufig die fehlende Rechtssicherheit darüber, was der erklärte Wille des Verstorbenen tatsächlich ist. Hier hilft eine digitale Erstellung, Speicherung und Aktualisierung des Spenderausweises, zu dem alle Ärzte im Bedarfsfall Zugriff bekommen. Ich bin überzeugt, dass die Entscheidungslösung das mildere Mittel ist, um das gesellschaftspolitisch ebenso wichtige wie dringliche Ziel „mehr Organspenden“ zu erreichen.