Berlin. Vor 50 Jahren sind Pocken im Sauerland ausgebrochen. Julia Sasse vom Robert-Koch-Institut erklärt, wie man so eine Infektionskrankheit ausrottet.
Dr. Julia Sasse ist Stellvertretende Leiterin der Informationsstelle des Bundes für Biologische Gefahren und Spezielle Pathogene am Robert Koch Institut in Berlin. Die Biologin ist Spezialistin für Bio-Terror und hat sich deshalb nicht nur mit Anthrax und Rizin, sondern auch mit den Pocken befasst.
Wie ist es gelungen, die Pocken auszurotten?
Julia Sasse Um eine Infektionskrankheit auszuschalten, ist es erforderlich, dass drei Voraussetzungen zusammenkommen. Erstens: Die Krankheit befällt nur Menschen. Das ist bei den Pocken der Fall. Tiere erkranken nicht daran und übertragen sie nicht. Zweitens muss man einen wirksamen Impfstoff haben. Drittens braucht es die Bereitschaft der Menschen, sich impfen zu lassen. Offiziell als ausgerottet galt die Krankheit im Jahr 1980. Der letzte „natürliche“ Infizierte war 1977 der Somalier Ali Maow Maalin.
Was heißt „natürlich“?
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Bei einem Laborunfall in Birmingham wurde im August 1978 eine junge Frau infiziert, die an den Pocken verstarb. Sie hatte selbst nie mit Pocken gearbeitet. Vermutlich war es ähnlich wie in Meschede zu einer Übertragung durch Luftzug gekommen. Sie steckte ihre Mutter an, die die Krankheit überlebte.
In Deutschland wurde erstmal weiter geimpft…
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Die DDR hat die Pflichtimpfung 1980 eingestellt, in der Bundesrepublik wurde 1976 das Reichsimpfgesetz von 1874 außer Kraft gesetzt und die verpflichtende Erstimpfung von Kindern eingestellt. Die Zweitimpfung gab es noch bis 1983. Bei der gab es auch so gut wie keine Komplikationen. Bei der Erstimpfung durchaus. Das war die gefährlichste Impfung, die wir hatten. Die würde heute wohl nicht mehr zugelassen. Auf eine Million Geimpfte kamen zwei Todesfälle – angesichts von 30 Prozent Todesfällen bei einer Pockeninfektion war das allerdings das weitaus kleinere Übel.
Warum entstand eine so große Narbe bei der Pockenimpfung?
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Weil ein Lebendimpfstoff verwendet wurde: Kuhpocken, die an der Impfstelle eine kleine „Pocke“ bilden. Die Pusteln und Narben, die bei älteren Menschen Kennzeichen der Impfung sind, hatten Pocken-Überlebende am ganzen Körper. Entwickelt hat die Impfung der englische Landarzt Edward Jenner. Er hatte davon gehört, dass Melkerinnen, die sich mit Kuhpocken infiziert hatten, gewöhnlich nicht an den gefährlichen Pocken erkrankten. 1896 infizierte er einen achtjährigen Jungen mit Kuhpocken und sechs Wochen später mit den Pocken. Der Junge war immun.
Gibt es denn weitere Infektionskrankheiten, die vor der Ausrottung stehen?
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Bei Polio war man 2003 schon fast so weit, obwohl es schwieriger als bei den Pocken ist, da nicht jeder Infizierte erkrankt. Nachdem die Zahlen zwischenzeitlich wieder zugenommen hatten, sieht es jetzt wieder gut aus, es gibt aktuell nur noch in Afghanistan und Pakistan Fälle. Das liegt häufig an Kriegen und Bürgerkriegen, die Impfungen in bestimmten Regionen fast unmöglich machen. Daher muss auch in Deutschland so lange weitergeimpft werden, bis die Krankheit ausgerottet ist. Wie schnell eine Ausbreitung gehen kann, zeigt zum Beispiel ein Ausbruch 2010 in Tadschikistan mit mehreren hundert Polio-Erkrankungen. Das Virus breitete sich sogar bis nach Moskau aus.
Und was ist mit den Masern?
Prinzipiell sind die Voraussetzungen gut. Die Krankheit befällt nur Menschen, und wir haben einen wirksamen Impfstoff. Nur ist die Bereitschaft, sich impfen zu lassen, optimierbar.
Gibt es heutzutage noch Pockenvirenstämme? Wenn ja, warum?
Alle Staaten wurden aufgefordert, ihre Virenstämme zu vernichten oder sie an eines der beiden Labore in Atlanta oder Nowosibirsk zu schicken. Dort wurden in den letzten Jahren nach Zustimmung durch die Weltgesundheitsorganisation ausschließlich Experimente zu drei definierten Zwecken mit „lebenden“ Pocken-Viren durchgeführt. 1.) Zur Absicherung der diagnostischen Erkennung von Variola-Viren; 2.) zur Untersuchung der Wirksamkeit neuer Impfstoffe; 3.) zur Untersuchung der Wirksamkeit von antiviralen Substanzen zur Behandlung.
Ist es nicht trotzdem gefährlich, dass es die Viren noch gibt?
Eine Zerstörung der Bestände würde das Risiko des Wiederauftretens nicht wesentlich erhöhen. Denn die Bestände werden gut bewacht. Dennoch ist nicht ausgeschlossen, dass noch irgendwo in einem Kühlschrank Pockenviren lagern, die vergessen wurden, wie sich 2014 in den USA gezeigt hat. Und 2017 stellten Kanadische Forscher das ebenfalls ausgerottete Pferdepockenvirus im Labor her. Allerdings wäre die Vernichtung der Pockenstämme ein symbolischer Akt, der die Ächtung von biologischen Waffen unterstriche.