Hagen. Mehmet Daimagüler, gebürtiger Siegerländer, war Nebenklageanwalt im NSU-Prozess und ist zur Zielscheibe von Hass und rechter Hetze geworden.
Mehmet Daimagüler (51) wurde als Nebenklageanwalt im Münchner NSU-Prozess bundesweit bekannt. Weil der im Siegerland aufgewachsene Jurist offen gegen Rassismus eintritt und regelmäßig Opfer von politisch motivierter Gewalt vertritt, ist er zur Zielscheibe von Hass und rechter Hetze geworden. Die Anfeindungen reichen bis zu Morddrohungen.
Vor einem Jahr ist der NSU-Prozess zu Ende gegangen. Sind die verbalen Übergriffe weniger geworden?
Es ist zwar ruhiger geworden, die Qualität hat sich aber verändert. Sie ist bedrohlicher geworden.
Das bedeutet, dass Sie auch weiterhin Morddrohungen erhalten?
Ja, vor allem, wenn ich in den Medien auftauche. Anschließend liegt schon einmal eine Morddrohung unter der Tür, da werde ich aufgefordert, innerhalb von drei Wochen Deutschland zu verlassen – ansonsten würde man mich umbringen –, und da wird mir vermittelt, dass ich mit einer Klaviersaite (Gussstahl- oder Kupferdraht, die Red.) erdrosselt würde. Alles, was die menschliche Fantasie hergibt. Ich habe mir nicht die Mühe gemacht und die Bedrohungen und Beleidigungen zusammengezählt, die ich per Post, per E-Mail oder in sozialen Netzwerken erhalten habe. Es müssten so 1500 bis 1600 sein, schätze ich.
Was macht das mit Ihnen, wenn Ihnen nach dem Leben getrachtet wird?
Am Anfang war das schon sehr belastend. Ich realisierte irgendwann, dass ich ständig Wut im Bauch hatte und reizbarer und dünnhäutig wurde. Ich habe mir dann professionelle Hilfe gesucht. Mit dieser Unterstützung habe ich realisiert, dass es beim Hass mancher Menschen nicht um mich geht. Ich bin nur ein Symbol oder eine Projektionsfläche für das Fremde, das Andere oder was auch immer diese Briefeschreiber in mir sehen wollen.
Haben Sie eine Ahnung, was die Briefeschreiber antreibt?
Ich weiß nicht, was das für Menschen sind. Es muss viel Selbsthass im Spiel sein, wenn man einen Menschen töten will, den man nicht kennt, dessen Meinung aber einem nicht passt.
Verfolgt man die Inhalte sozialer Netzwerke, hat man den Eindruck, dass Hass immer offener geäußert wird. Ist Hass gesellschaftsfähig geworden?
Die Barrieren sind niedriger geworden, Tabus sind gefallen. Es gibt eine sprachliche wie gesellschaftliche Verrohung. Morddrohungen werden nach wie vor anonym ausgesprochen, aber bei Beleidigungen finden sich immer öfter, fast wie selbstverständlich, Klarnamen.
Sie haben in der Vergangenheit Strafanzeigen und -anträge gestellt. Wie haben die Behörden reagiert?
Da ist nichts herausgekommen. Ich kann mich noch daran erinnern, dass ich in einer Polizeidienststelle in Berlin den Hinweis erhielt, dass ich mich nicht so radikal äußern sollte. Seitdem aber rechtsextreme Drohbriefe mit der Unterschrift „NSU 2.0“ in Verbindung zu Polizisten gebracht wurden, ist es besser geworden. In meinem Fall ist jetzt beispielsweise der Staatsschutz in NRW eingeschaltet. Die Beamten ermitteln nach meinem Eindruck sehr sorgfältig.
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Was muss die Gesellschaft aus Ihrer Sicht tun? Eine Wertediskussion führen?
Ja natürlich. Früher war gesellschaftlicher Grundkonsens, dass wir mit der Geschichte des Nationalsozialismus gebrochen und unsere Lehren gezogen haben. Heute bestreiten Menschen in E-Mails den Holocaust, werden Sinti und Rom verächtlich gemacht. Als habe man nichts gelernt aus den massenhaften Ermordungen. Wir erleben eine Enttabuisierung. Immer mehr Menschen kommunizieren das, was sie womöglich schon immer geglaubt haben. Man traut sich jetzt.
Viele nutzen bei ihren Äußerungen die vermeintliche Anonymität des Internet aus. Welche Rolle spielt das weltweite Netz?
Das Internet ist ein Brandbeschleuniger. Ich werde Meinungsfreiheit immer verteidigen. Aber ein Aufruf zum Mord ist keine Meinungsfreiheit, sondern kriminelles Handeln. Das Problem ist, dass die Internet-Riesen nicht alles gegen Hetze im Netz tun, was sie tun könnten.
Nach dem Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke gab es unsägliche Kommentare in Internet-Foren und in sozialen Netzwerken. Hat der Mord die Sicherheitsbehörden für politisch motivierte Gewalt sensibilisiert?
Ich habe den Eindruck, dass Sicherheitsbehörden wie dem Bundesamt für Verfassungsschutz zum ersten Mal die ganze Dimension rechtsextremistischer Bedrohung sichtbar wurde. Bemerkenswert spät. Man muss sehen, welche konkreten Maßnahmen daraus folgen.
Auch Politiker der AfD haben sich zum Fall Lübcke geäußert. Wie beurteilen Sie deren Verhalten?
Die AfD hat sich an der Hetze gegen Lübcke beteiligt und sich nach dessen Tod nicht davon distanziert. Das negative NS-Erbe wird von Brandstiftern in der Partei verharmlost. Das ermuntert viele Menschen, die gleichen Töne einzuschlagen.
Sie haben immer die Demokratie in Deutschland gelobt. Haben Sie mittlerweile Zweifel?
Nein, überhaupt nicht. Deutschland ist ein gutes Land. Ich glaube total daran. Ich bekomme so viele E-Mails von ganz normalen Menschen, die meinen Mandanten und mir ihre Solidarität ausdrücken. Es gibt so viele Initiativen, die ihre Stimme erheben. Ich nehme zum Beispiel in Siegen an Veranstaltungen von „Schule ohne Rassismus“ teil und bin beeindruckt. Viele Menschen realisieren, dass die Demokratie verletzlich ist und eine offene Gesellschaft kein Naturgesetz ist, sondern auf der Bereitschaft basiert, dafür einzutreten.
Noch einmal zu Ihnen persönlich: Wie weit wird Ihr Alltag von den Anfeindungen geprägt?
Ich möchte mich nicht abschotten, rede mit Freunden oder mit meinen Geschwistern im Siegerland. Das baut mich auf. Aber ich stelle mir schon die Frage, ob es richtig ist, was ich tue. Ich muss aufpassen, dass mich das negative Karma durch den Hass anderer auf mich nicht zu sehr prägt, mich jenen Menschen immer ähnlicher macht, die mich hassen. Ich habe nur ein Leben. Und dieses eine Leben möchte ich nicht mit Wut oder Hass im Herzen vergeuden, sondern mit Liebe und Zuversicht.