Iserlohn. Nach der Messerattacke in Iserlohn wurden Augenzeugen von Notfallseelsorgern betreut. Die Reaktionen auf so eine Tat können heftig ausfallen.
Während Polizei und Staatsanwaltschaft in den kommenden Tagen versuchen, die Hintergründe der Bluttat am Iserlohner Stadtbahnhof zu klären, müssen die zahlreichen Zeugen irgendwie versuchen, das Geschehen zu verarbeiten.
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Gudrun Siebert gehörte am Samstagnachmittag zum siebenköpfigen Notfallseelsorge-Team und erlebte viele „traumatisierte Menschen“, wie sie sagt. Ihr Team habe die „neutralen Räume“ der angrenzenden Volkshochschule – „abseits einer möglicherweise gaffenden Menge“ – nutzen können. Dort hätten sich etwa 20 Menschen eingefunden. „Wir waren für sie da und haben ihnen die Möglichkeit gegeben, ihre Gefühle von innen nach außen zu lassen und das Unfassbare in Worte zu fassen.“
Blockade durch Gespräche lösen
Jeder Mensch reagiere anders auf ein solch traumatisches Erlebnis, so die ehrenamtliche Notfallseelsorgerin im Evangelischen Kirchenkreis Iserlohn, im Hauptberuf Klinikseelsorgerin in der Lungenklinik Hemer. „Manche schluchzen und zittern am ganzen Körper, andere sind so in sich gekehrt, dass sie kein Wort herausbringen.“
Diese Blockade zu lösen, sei in Hinblick auf die Verarbeitung sehr wichtig: „Menschen, die eine solche Tat aus nächster Nähe gesehen haben, bekommen die Bilder nicht aus dem Kopf, wenn sie das Ganze in sich hinein fressen. Mehr noch: Sie werden krank.“ Also müssten sie reden, reden und nochmals reden. Mit dem sozialen Umfeld, mit Notfallseelsorgern, mit Opferschutzbeauftragten der Polizei oder mit den Experten in Traumaambulanzen oder psychologischen Beratungsstellen.
Weltbild gerät aus den Fugen
Pfarrer Frank Rüter ist ebenfalls Notfallseelsorger im Evangelischen Kirchenkreis Iserlohn und beschreibt anschaulich, wie es den Zeugen am Bahnhof ergangen sein muss: „Sie haben Freizeit, womöglich deshalb Glücksgefühle. Von einer Sekunde auf die nächste passiert ein schlimmes Ereignis, und ihr Weltbild gerät aus den Fugen.“ Notfallseelsorger könnten diese Menschen unmittelbar nach dem Erlebten auffangen, ein Gefühl von Sicherheit geben. Ihnen vermitteln, dass die plötzlichen Reaktionen des Körpers – Schweißausbrüche, Panikattacken, Erstarrung, Schreikrämpfe zum Beispiel – in solchen Situationen gar nicht so unnormal sind, wie man denkt.
Wichtig sei es, möglichst schnell wieder den Weg in den Alltag zu finden, sagt Rüter. Mit Hilfe vieler Gespräche: „Wer ein funktionierendes soziales Umfeld hat, hat gute Voraussetzungen, ein traumatisches Erlebnis schnell zu verarbeiten.“ Bisweilen helfe auch ein symbolischer Akt wie die Teilnahme an einer Gedenkfeier oder das Aufstellen einer Kerze am Ort des Geschehens: „Viele können danach loslassen und wieder nach vorne schauen.“