Dortmund/Menden. Wie bleibt der Mensch fit zum eingreifen, wenn die Maschinen 99 Prozent übernommen haben? Das untersucht der Techniksoziologe Johannes Weyer.
Die Forschung rund um das autonome Fahren läuft auf Hochtouren. Dabei geht es vordringlich um die Technik. Aber wo bleibt dabei der Mensch? Was wird seine Aufgabe sein? Wie passt er sich ein? Oder die Technik sich ihm an? Mit diesen Fragen beschäftigt sich Johannes Weyer, Professor für Techniksoziologie an der TU Dortmund.
Wann kann ich mich im Auto für ein Schläfchen hinlegen?
Johannes Weyer In näherer Zukunft nicht. In zehn Jahren wird es auch Fahrzeuge geben, in denen wir ausschließlich Passagiere sind, aber nur auf bestimmten Korridoren. Dafür müssen auch die Straßen entsprechend ausgestattet sein. Aber im Jahr 2040 wird hochautomatisiertes Fahren die Regel sein.
Was heißt das?
Das Bremsen, Beschleunigen und Lenken wird in erster Linie vom Fahrzeug selbst erledigt. Diverse Notfallsysteme sind in Betrieb. Aber der menschliche Fahrer wird noch eine Funktion haben.
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Es geht also um den Ausbau schon vorhandener Assistenzsysteme?
Richtig. Das ist nicht völlig neu. Wir haben immer schon versucht, uns das Leben bequem zu machen und Aufgaben an Maschinen zu delegieren. Selbst wenn ich eine Waschmaschine benutze, gebe ich Kontrolle ab. Und auch die trifft inzwischen selbstständig Entscheidungen. Sie könnte die eingefüllten Stoffe analysieren und die Temperatur festlegen.
Ist Autofahren nicht doch etwas anderes?
Natürlich. Da gibt uns heute das Navi Empfehlungen, denen wir folgen können oder auch nicht. Das ist ein Unterschied zu Eingriffen, bei denen wir gar nicht mehr gefragt werden. Noch kann ich Assistenzsysteme aber deaktivieren – oder?Aber warum sollte ich ein Notbremssystem deaktivieren? Da will ich gar nicht eingreifen.
Nehmen wir den Flugverkehr zum Vergleich: Da steuert das System automatisch. Die Piloten können es aber abschalten und selbst navigieren.
Der Straßenverkehr ist aber komplexer als der Flugverkehr, weil so viele andere Fahrzeuge ohne entsprechende Technik unterwegs sind.
Wie die smarte Technik unser Leben steuert
Joachim Weyer ist 1956 in Idar-Oberstein geboren, in Wuppertal aufgewachsen und lebt heute in Menden. Er hat in Marburg studiert und promoviert und sich an der Uni Bielefeld habilitiert. Seit 2002 ist er Professor für Techniksoziologie an der TU Dortmund.
In einem aktuell vom Bundesverkehrsministerium geförderten Projekt erforscht er gemeinsam mit Prof. Torsten Bertram die Aufgabenverteilung und –übergabe zwischen Mensch und Maschine beim autonomen Fahren.
Mit der Frage, wie smarte Technik unser Leben steuert, beschäftigt sich auch das jüngste Buch von Johannes Weyer: Die Echtzeitgesellschaft. Campus Verlag. 194 Seiten. 24,95 Euro.
Der Fahrer soll in Zukunft aber ähnlich agieren wie heute ein Pilot, also nur noch beobachten und im Notfall einspringen?
Die Automatik regelt 99 Prozent aller Situationen. Aber in einem Prozent der Fälle muss ich eingreifen. Dann muss ich innerhalb von wenigen Sekunden die Situation verstehen und handeln können. Das könnte schwierig werden aus dem Halbschlaf heraus.
Es fragt sich allerdings, was daran denn attraktiv sein soll: Wir sind gezwungen, wach zu bleiben, sollen aber zugleich auf den Fahrspaß verzichten?
Attraktiv ist, dass wir wesentlich weniger Unfälle haben werden. Doch ich sehe noch ein Problem: Wer mit digitalen Systemen groß geworden ist, hat eventuell die manuellen Fertigkeiten gar nicht mehr, um einzugreifen. Das müsste wieder trainiert werden. Gleiches gilt für Systemverständnis: Der Fahrer muss wissen: In welchem Modus bin ich gerade? Gleichzeitig sollte das Assistenzsystem erkennen, mit was für einem Fahrertyp es zu tun hat und eine entsprechende Ansprache wählen.
Kann man auch Aufmerksamkeit trainieren?
Monotonie ist ein Riesenproblem. Manuelle Tätigkeiten halten ja auch wach. Ein Trick ist normalerweise: Reden. Aber Lkw-Fahrer sind allein. Das alles wird uns künftig stärker beschäftigen: Wie können die Assistenzsysteme die Menschen dabei unterstützen, sicher und selbstbewusst am Steuer zu sitzen?
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Und was ist mit den ethischen Problemen?
Dieses Dilemma, das immer angeführt wird – das System muss entscheiden, ob es in einer Notsituation eine alte Frau oder ein Kind umfährt – ist absurd. Ein autonomes Auto kann keine moralische Entscheidung treffen. Es wird bremsen. Die Autos werden überhaupt sehr defensiv fahren.
Sehen Sie autonomes Fahren auch als Lösung für die Verkehrsinfrastruktur im ländlichen Raum, wo heute selten Busse fahren und häufig fast leer sind?
Da bin ich mir nicht sicher. Prinzipiell wäre es schön, wenn autonome Shuttle-Fahrzeuge etwa das Ruhrgebiet und das Sauerland besser verbinden würden. Aber möchte ich als Frau nachts mitfahren? Da ist der Fahrer wohl doch wichtig.
Ist es nicht auch irritierend, dass wir nicht verstehen, wie technische Systeme zu ihren Entscheidungen kommen?
Das ändert sich gerade. Maschinen lernen, ihre Entscheidungen zu begründen. Ich frage mich eher, wie ähnlich sie uns werden dürfen, wie weit wir das zulassen wollen. Das betrifft auch die Kommunikation mit dem autonomen Auto: Wie signalisiert es dem Fußgänger, dass er über die Straße gehen kann? Wie lernt es, was er vorhat? Das ist alles sehr spannend, und das betrifft nicht nur die Ingenieure, sondern dabei müssen auch wir Soziologen mitreden.