Hagen. Fußball-Klubs und Kommunen könnten wegen eines Mikroplastikverbots zu sündhaft teuren Sanierungen gezwungen sein. Die wichtigsten Antworten.
Erst vor drei Wochen ist der Bau des neuen, vereinseigenen Kunstrasenplatzes des BC Eslohe vollendet worden. Kostenpunkt: 370.000 Euro. Ein Schmuckstück, findet Roland Keggenhoff, Sportlicher Leiter des Fußball-Bezirksligisten aus dem Sauerland. Ein „schönes Kulturgut“, wie es Vereinslegende Gerd Nieswand im Vorfeld der Sanierung des alten Platzes aus dem Jahr 2003 ausdrückte.
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Jetzt steht ein dickes Fragezeichen hinter dem „Kulturgut“. Im Zuge eines in der Europäischen Union diskutierten Mikroplastik-Verbots steht im Raum, dass das auf Kunstrasenplätzen verwendete Gummigranulat ab 2022 verboten wird. Bundessportminister Horst Seehofer schaltete sich jetzt mit dem Vorschlag einer sechsjährigen Übergangsregelung ein. Die Vereine sind verunsichert. Ein Überblick:
Was ist das Problem?
Nach Berechnungen des Fraunhofer-Instituts für Umwelt-, Sicherheits- und Energietechnik stehen „Verwehungen von künstlichen Sport- und Spielplätzen“ auf Platz 5 der Quellen für die Mikroplastik-Verbreitung in Deutschland. Das eingesetzte Kunststoff-Granulat, das den künstlichen Halmen Halt geben soll, wird so aufgewirbelt, dass 11.000 Tonnen Mikroplastik von Fußballplätzen in die Umwelt gelangten, heißt es. Der Kunstrasenplatzhersteller Polytan weist diese „nachweislich völlig falschen Zahlen“ vehement zurück. Der Firma zufolge besteht ein Kunstrasen aus einer elastischen Tragschicht, dem Rasenteppich und dem sogenannten Infill. Diese Befüllung des Rasenteppichs könne aus Sand, einem Sand-Kork-Gemisch und einem Sand-Granulat-Gemisch bestehen.
Wie reagieren Sportverbände?
Laut Deutschem Fußball-Bund (DFB) gibt es hierzulande mehr als 6000 Kunstrasenplätze. Nach den jüngsten Berichten über ein mögliches Gummigranulat-Verbot ist die Verunsicherung bei den Vereinen „sehr groß“, wie Wilfried Busch, Geschäftsführer des Fußball- und Leichtathletikverbandes Westfalen, bestätigt. Keiner der Beteiligten verwehre sich mit Blick auf die Umwelt einer Diskussion um Kunststoff-Granulate. „Auch wenn eine fundierte wissenschaftliche Analyse bislang fehlt.“
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Busch verweist auf das von der NRW-Landesregierung verabschiedete 300-Millionen-Euro-Paket zur Sportstätten-Sanierung. „Kunstrasenplätze mit verwendetem Granulat“ sind nicht berücksichtigt. Dennoch: „Es wäre fatal“, sagt Busch, „wenn sich die Vorstellung eines Verbots bereits ab 2022 durchsetzen würde.“ Aus seiner Sicht hätten Kommunen (meist Eigentümer der Plätze), Vereine und die Industrie mit einer Fristverlängerung von sechs Jahren „einen vernünftigen Planungshorizont“.
Wie reagieren Vereine?
Roland Keggenhoff vom BC Eslohe hat in der Endphase des Platz-Baus erstmals von der EU-weiten Diskussion um Kunstrasenplätze gehört. „Ich habe das zunächst nicht ganz ernst genommen.“ Das hat sich mittlerweile geändert. „Wenn ich sehe, wie viel Reifenabrieb von den Straßen in die Umwelt gelangt, frage ich mich, ob es mit der Betrachtung von Sportplätzen nicht übertrieben wird.“ Keggenhoff spricht von einer „Katastrophe“ für Vereine, sollte eine Umrüstung zur Pflicht werden. „Wie sollen die Vereine einen solchen Kraftakt - womöglich im sechsstelligen Euro-Bereich - stemmen?“ Gleiches gelte für die notorisch klammen Kommunen. „Hier sind aus meiner Sicht auch das Land und der Bund in der Pflicht, die Kosten aufzufangen.“
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Vor dem Bau des neuen Esloher Kunstrasenplatzes wurde nach Angaben von Keggenhoff das alte Rasen-Material zunächst abgetragen und dann einer Verbrennungsanlage zugeführt. Die dabei entstehende Wärme sollte zur Stromerzeugung genutzt werden.
„Kork kann sich schnell zersetzen“
Bauingenieur Keggenhoff sieht bei einem Granulat-Verbot auch Probleme technischer Art: Es einfach durch ein anderes Material zu ersetzen, sei nicht des Rätsels Lösung. „Wir haben mit Granulat insbesondere in Hinblick auf die Langlebigkeit sehr gute Erfahrungen gemacht. Kork als Alternative ist nicht optimal - das organische Material kann sich schnell zersetzen.“
Nachwuchs-Fußballer bevorzugen Verein mit Kunstrasen
Der einzige vereinseigene Kunstrasenplatz im Hagener Stadtgebiet ist im Besitz des TSV Fichte Hagen. „Wir haben erst vor einigen Wochen eine Intensivreinigung machen lassen“, sagt Vereinschef Reinhard Flormann. Kostenpunkt: 5000 Euro. Flormann ist ein Verfechter des Kunstrasens: „Auf staubiger oder matschiger Asche will keiner mehr spielen. Und bei Naturrasen hat man viele witterungsbedingte Ausfalltage oder muss auf einem aufgewühlten Untergrund spielen.“
Zudem entschieden sich immer häufiger Nachwuchs-Fußballer, nur bei einem Verein mit Kunstrasen zu trainieren. Flormann sieht im Falle eines Granulat-Verbots auch schwere Zeiten auf die Kommunen zuzukommen. „Ich fürchte, dass dann für neue Plätze vorgesehene Gelder erst einmal in die Sanierung alter verwendet werden müssen.“
Wie reagieren Kommunen?
Karsten-Thilo Raab, Leiter des Servicezentrums Sport der Stadt Hagen, warnt davor, den „zweiten Schritt vor dem ersten zu gehen“. Noch gebe es keine Entscheidung über ein Granulat-Verbot in der EU („ob es zum Beispiel für alle Plätze oder nur für neue gelten würde“): Bis November hätten die Mitgliedsländer Zeit, ihre Stellungnahmen abzugeben. Aber: „Angesichts von 6000 Kunstrasenplätzen in Deutschland hätte eine Umrüstungs-Verordnung massive Auswirkungen. Um all das zu stemmen, könnte sich selbst eine Übergangszeit von sechs Jahren als kleines Zeitfenster herausstellen.“
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Nach Raabs Angaben kostet der Bau eines neuen Kunstrasenplatzes bis zu einer Million Euro. Der Unterbau halte 45 Jahre, der Belag, das eigentliche Rasenstück mit den künstlichen Halmen und dem Füllmittel bei guter Pflege bis zu 15 Jahre.
Der Deutsche Städte- und Gemeindebund hat am Montag finanzielle Hilfen von Bund und Ländern gefordert. Die Umrüstung eines Platzes schlage mit bis zu 200.000 Euro zu Buche.
Was sagt die Politik?
Der heimische CDU-Europaabgeordnete Peter Liese hat am Montag auf die Notwendigkeit eines Kompromisses hingewiesen. Zwar müsste man langfristig das Granulat auf Sportplätzen „durch weniger problematische Substanzen“ ersetzen. „Auf der anderen Seite darf man die Sportvereine jetzt nicht überfordern.“ Daher sei es ratsam, das Granulat für eine gewisse Übergangszeit weiter nutzen zu können - „damit sich die Sportvereine um Alternativen bemühen können“.