Wilnsdorf. . Senioren zwischen 67 und 85 Jahren haben sich für ein aktives Leben auf dem Bauernhof im Siegerland entschieden. Die Nachfrage ist überwältigend.
Inmitten blühender Obstwiesen leben, morgens und abends Schafe, Kühe und Hühner versorgen, bei der Milchverarbeitung mithelfen, in ständigem Austausch mit Mensch, Tier und der Natur sein – für viele Senioren ein Traum. Für Katharina Herbort ist er auf dem Birkenhof in Wilnsdorf in Erfüllung gegangen. Die 69-Jährige ist aus Österreich als sogenannte Altersgärtnerin ins Siegerland gezogen. „Ich wollte im Alter nicht allein in meinem Haus sitzen“, erzählt sie. Ein Altenheim kam für die ehemalige Radioonkologin nicht infrage.
Aktives Leben auf dem Bauernhof
Aufmerksam geworden ist Katharina Herbort durch eine Anzeige auf dieses „wunderbare Projekt mit dem Namen Altersgarten“. Seit 2012 wohnt sie in einer 55 Quadratmeter großen Wohnung, kümmert sich unter anderem um die Zwergesel Liesel und Felicitas. Sie ist eine von zehn weiteren Altersgärtnern auf dem Birkenhof. Die Senioren zwischen 67 und 85 Jahren haben sich für ein aktives Leben auf dem Bauernhof entschieden.
Sie haben Haus, Freunde und Nachbarn zurückgelassen, um Früchte zu ernten, Zäune zu reparieren und im Hofladen auszuhelfen. Alles freiwillig, so wie jeder körperlich in der Lage ist. „Erwachsen ist daraus“, sagt Katharina Herbort, „eine Gemeinschaft, die sich gegenseitig hilft und in der es aber auch die Möglichkeit gibt, sich jederzeit zurückzuziehen.“
„Alle fühlen sich gebraucht“
Mit dabei ist Hanna Behrendt. Sie ist mit 85 Jahren die älteste. Die gebürtige Ostpreußin backt Kuchen für Feste und ist für ihre kreativ gestalteten Blumensträuße bekannt. „Alle fühlen sich gebraucht“, sagt der ehemalige Werkstoffprüfer Fred Möller (69), der vom Niederrhein ins Siegerland und dann nach Wilnsdorf gezogen ist und zeitweise in der Milchverarbeitung geholfen hat.
In Dänemark und Holland gibt es Hunderte solcher Höfe, die Senioren beherbergen. In Deutschland ist das Konzept, das unter dem Oberbegriff „Green Care“ läuft, noch neu. Bundesweit sind es derzeit 20 landwirtschaftliche Betriebe mit solch einem Angebot.
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Dass die Zahl bisher so gering ist, hat für Bernhard Rüb von der Landwirtschaftskammer NRW einen simplen Grund: „Es braucht Mut und Durchhaltevermögen.“ Es reiche nicht, ein paar leerstehende Zimmer in Seniorenwohnungen umzufunktionieren. „Gesetzliche Bestimmungen müssen bedacht, Investitionen getätigt werden.“ Wohnprojekte wie der Altersgarten seien aber „eine tolle Idee“, ein Geschäftsmodell, bei dem es viele Gewinner geben könne.
Resonanz war überwältigend
Gegründet wurde der Verein „Landwirtschaftliche Gemeinschaft Siegerland“ 1992. Landwirtin Frauke Jungclaussen (50): „Es gab zwei Aspekte, die vor 16 Jahren zur Idee des Altersgartens geführt haben. Zum einen wollten wir mit Senioren leben und arbeiten, die noch rüstig sind. Zum anderen sollte dieses Modell auch als Altersvorsorge für die Landwirte dienen, die auf dem Hof keine Eigentümer sind, dann aber im Alter mietfrei wohnen könnten.“
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Ein Haus mit acht Mietwohnungen (50 bis 85 Quadratmeter) wurden auf dem Hochplateau gebaut. Barrierefrei, ausgestattet mit einem Aufzug. Von Balkonen und Terrassen können die Senioren über Wiesen in die Ferne blicken. Die Häuser der drei Landwirtsfamilien liegen in der Nachbarschaft. Per Anzeigen wurde nach Kandidaten für den Altersgarten gesucht. Die Resonanz war überwältigend. Menschen aus dem ganzen deutschsprachigen Raum meldeten sich. Noch immer ist das Interesse groß.
Unter den ersten Altersgärtnern, die 2012 Wohnungen bezogen, waren auch die Gründungsmitglieder Waltraud (70) und Günter Ulber (74). Die Lehrerin und der Industriekaufmann im Ruhestand haben aktiv die Projektbetreuung begleitet. Ganz nebenbei sorgt sich der gebürtige Schlesier um die Obstbaumpflege und Wildbirnen, führt Reparaturarbeiten durch und macht Hofladen-Ausfahrten. Waltraud Ulber bringt Schülern in der hofeigenen Lernwerkstatt bei, wie aus Korn Brot wird. Zitat zweier Ehepaare: „Als die drei Kinderzimmer leer waren, wussten wir, dass wir unser Haus verkaufen werden. Wir leben nun ein anderes, erfülltes Leben im Alter.“
Der Reichtum dieses Lebens
Von dieser besonderen Gemeinschaft scheinen alle zu profitieren: Durch die Mieten werden die Baukosten getilgt, die Senioren bleiben durch ihren Einsatz länger fit und die Tiere bekommen mehr Zuwendung.
Am Gatter reckt ein Schaf seinen Hals, um aus der Hand eines Seniors Futter zu erhaschen. Ein Lächeln. Der Reichtum dieses Lebens liegt manchmal in banalen Begebenheiten: der Umgang mit den Tieren, das Obst essen, das man selbst gepflückt hat. Landluft. Die Stille am Abend. „Das macht glücklich“, berichtet Edith Spindler (67), die früher Finanz- und Lohnbuchhalterin in Wetzlar war. Wie sie sich auf dem Hof einbringt, das liegt auf der Hand.