Hagen. . Heiner Monheim ist Verkehrswissenschaftler. Im Interview spricht er über Potenziale des Radverkehrs, über Elektrobusse und digitales Trampen.

Alle Welt redet über die Verkehrswende, aber es wird weiter Auto gefahren – gerade auf dem Land. Wir sprachen mit dem Verkehrswissenschaftler Prof. Heiner Monheim über Chancen und ­Probleme des Verkehrs auf dem Land.

Herr Professor, diese Zeitung erscheint in einem Gebiet mit wenig Schienen und wenig Radverkehr, auch wegen der vielen Berge. Verkehr ist vor allem Autoverkehr. Ein schwieriges Terrain für die Verkehrswende, oder?

Prof. Heiner Monheim: Was den Radverkehr betrifft, möchte ich gleich widersprechen. Wir hatten schon früher auf dem Land immer überdurchschnittliche Fahrradanteile. Das ist in den 60er, 70er Jahre rückläufig gewesen, aber seit der Fahrradtourismus boomt, ist der Radverkehr im ländlichen Raum wieder auf dem Vormarsch, besonders, seitdem es Pedelecs gibt.

Es gibt mit diesen Rädern ja praktisch keine Berge mehr, man legt einen Schalter um und fährt überall hin ohne zu schwitzen. Da sehe ich sehr viel Potenzial. Übrigens auch im Wirtschaftsverkehr.

Was ist mit der Infrastruktur?

Auf dem Land gibt es viele land- und forstwirtschaftliche Wege, die sind autoarm, die kann man hervorragend für den Radverkehr nutzen. Bei klassifizierten Wegen – Kreisstraßen, Landes- und Bundesstraßen – haben wir einen großen Nachholbedarf an Fahrradinfrastruktur. Leider erlaubt der Bund keine Lösungen, wie wir sie aus dem Innerortsbereich kennen: Markierte Radwege, egal ob Mehrzweckstreifen, Angebotsstreifen, wie auch immer sie heißen.

Das ist völlig absurd, in der ganzen Schweiz haben fast alle kantonalen und Bundesstraßen solche markierten Radverkehrsanlagen, das funktioniert sehr gut, in Deutschland ist es trotz einiger positiver Modellversuche in Nordrhein-Westfalen nicht möglich. Wer zur Arbeit pendelt, will aber meist auf den kürzesten Wegen fahren, das sind meist solche Straßen. Generell würde ich sagen, der ländliche Radverkehr hat großes Potenzial, das kann noch deutlich zulegen. Im Sieger- und Sauerland sieht es aber noch düster aus, aber das kann man ändern.

Was kann der öffentliche Verkehr leisten?

Wir haben einige kleinstädtische Stadtbussysteme, da fahren nicht mehr die großen Stadtbusse, sondern Midi-Busse, moderne Fahrzeuge, drei Türen, Niederflur, von früh bis spät im Takt. Mit solchen Systemen haben wir in einigen Städten große Erfolge, in Lemgo ist man von 90.000 Fahrgästen auf 1,9 Millionen gekommen. Aber solche Systeme sind leider nie flächendeckend ausgebaut worden.

Deswegen ist öffentlicher Busverkehr auf dem Land heute meistens Schülerverkehr, und aufgrund der immer größeren Schulzentren benötigt man da große Busse, Jumbo-Technologie, die sie sonst abseits der breiten Hauptverkehrsstraßen vielfach gar nicht einsetzen können. Wir benötigen für das Land differenzierte Bussysteme, kleine ­Dorfbusse, aber auch Schnellbusse, die auch mal auf der Autobahn fahren.

Neu hinzu kommen jetzt bald Mikrobusse, die autonom fahren. Der größte Kostenblock beim ­öffentlichen Busverkehr sind die Personalkosten. Wenn sie ­selbstfahrende Roboterbusse einsetzen, können sie den ländlichen Raum komplett mit einem öffentlichen ­Bussystem erschließen.


Welche Bedeutung hat die Digitalisierung?

Wenn früher, nach dem Zweiten Weltkrieg, jemand auf dem Land mit dem Auto in die Kreisstadt fuhr, war der Wagen immer voll. Wir hatten damals Besetzungsgrade von 3,5 im ländlichen Pkw, heute liegen wir bei 1,1 - jeder sitzt allein in seinem Auto.

Mit digitalen Mitnahmeplattformen – internetbasiert und regional – bekommen wir die Autos wieder voller. Auch Oma und Opa haben inzwischen ja ein Smartphone. Solches High-Tech-Trampen böte die Chance, dass in vielen ländlichen Haushalten nur noch ein statt drei Autos stehen, wir kämen weg von der Übermotorisierung. Wir haben einfach zu viele Autos. Städte und Dörfer ersticken im Blech. Das können wir ändern, wenn wir wollen.

Sehen Sie den Willen?

Ja, es ändert sich was. VW sagt jetzt: Weniger Autos sind ­besser als mehr Autos. Und VW sagt: die Zukunft fährt elektrisch. Das sind aber noch zarte Pflänzchen.

Was sagen Sie zu den Problemen der Bahn?

Verspätungen und Ausfälle gibt es vor allem im Fernverkehr. Im Nahverkehr sind die Bahnen teilweise sehr erfolgreich. Je touristischer eine Region ist, desto erfolgreicher können die Bahnen sein, weil sie nicht nur Pendler durch die Gegend kutschieren. Der Deutschlandtakt ist ein ganz zentraler Hebel für die Verkehrswende, die Bundesregierung ist dazu endlich bereit. Sehr viel Nachholbedarf haben wir bei der Reaktivierung von Strecken.

Im Güterverkehr hat sich die Bahn vor 30 Jahren aus dem Stückguttransport verabschiedet, der ist inzwischen explodiert. Ich habe in der Uckermark ein Projekt mit Gütertransport in Bussen aufgezogen, das ist sehr erfolgreich. In ganz Skandinavien fährt jeder Bus auch Stückgut durch die Gegend.

Wie schätzen Sie Elektroautos ein?

Bevor wir über Elektroautos reden, müssen wir über Elektrobusse reden. Deutschland hat die Zukunft der Elektrobusse leider total verschlafen. Der Hype um die Elektromobilität hatte nur Pkw im Auge, die waren lange nicht marktfähig.

Es gibt keine Projekte zu Straßenbahnen, wir haben einen Riesen-Rückstand bei der Elektrifizierung von Schienenstrecken. Wir diskutieren bei Elektro­mobilität immer nur über Autos. Aber der Stau ist doch nicht schöner, wenn da Elektroautos drin stehen.