Hagen/Lennestadt. . Die „Fridays for Future“-Bewegung wächst: Jugendliche kämpfen für den Klimaschutz. Die Kritik am „Blaumachen“ macht die Demo-Teilnehmer wütend.

Sie sind engagiert, sie können die globalen Zusammenhänge erklären, die zur Erderwärmung führen, sie kennen das technisch Sinnvolle, um den Klimawandel zu verlangsamen: Victoria Hangen (18), Idina Schwarzer (17) und Nils Ullrich (18) sind drei von 2000 Schülern, die am Freitag in Hagen für den Klimaschutz demonstrierten. Die Jugendlichen sind wütend auf Politiker wie Christian Lindner, der in einem Interview gefordert hatte, den Klimaschutz Profis zu überlassen und den Protest nicht in die Schulzeit zu legen. Diese Zeitung hat sich mit den drei Schülern nach der Demo getroffen. Ihre Antworten auf die Vorwürfe überraschen selbst 68er, die seit Jahrzehnten bemängeln, dass die Generationen nach ihnen immer unpolitischer geworden sind.

Kein Blaumacher, sondern Taktgeber

Nils Ullrich vom Fichte-Gymnasium Hagen
Nils Ullrich vom Fichte-Gymnasium Hagen

Nils Ullrich (18), Schüler des Fichte-Gymnasiums, ist erst seit dem vergangenen Monat bei der Fridays-for-Future-Bewegung mit dabei. Mit Formulierungen wie „das ist cool“ oder „ein riesen Ding“ gibt sich der Hagener nicht zufrieden. Aussagen von Politikern wie Lindner schadeten der Bewegung, sagt er. Sie lenkten vom eigentlichen Thema ab: „Mittlerweile geht es offenbar nur noch darum, ob Schüler während des Unterrichts demonstrieren dürfen.“ Für ihn ein merkwürdiges Verhalten. „Meine Generation wurde dafür kritisiert, unpolitisch zu sein. Jetzt sind wir es – und wieder ist es nicht richtig.“

Wichtig sei es, so Ullrich, Aufmerksamkeit zu erzeugen: „Wenn wir in unserer Freizeit protestieren, ist diese nicht so groß.“ Natürlich gebe es auch Schüler, die die Demos nutzten, um „blau zu machen“. „Dieser Kreis ist aber klein und wird immer kleiner.“ Laut Ullrich brauchte es den Impuls aus Schweden, um die Welle auszulösen. Der 18-Jährige ist sich bewusst, dass die Aktionen nicht reichen werden, um nachhaltig etwas zu verändern. „Aber wir sind die nächste Generation, die wählen darf.“ Der Druck auf die Politiker steige. „Die Diskussionen verändern den Blick, sensibilisieren für das Thema.“ Die Entwicklung sei bei fast jedem Schüler, der mitlaufe, offensichtlich.

Stolz, die Stimme zu erheben

Victoria Hangen 
Victoria Hangen  © Rudi Pistili

Victoria Hangen (18), ebenfalls vom Fichte-Gymnasium: „Wir erheben unsere Stimmen. Und wir haben bereits etwas erreicht.“ Lindners Äußerungen findet sie respektlos. „Ja, unverschämt.“ Und daran werde sie sich noch lange erinnern. Der FDP-Chef habe recht, wenn er behaupte, die Schüler seien zu jung und unerfahren angesichts der komplexen Probleme. Aber Politiker hätten über Jahrzehnte viel über Klimaschutz geredet und zu wenig getan. Die Demonstrationen hätten sie bestärkt, noch mehr auf die Umwelt zu achten, sich selbst zu optimieren: „Das fängt beim Sortieren des Mülls an und endet in fast allen Lebensbereichen.“ Sie habe sich schon vor „Fridays for Future“ für die Umwelt interessiert. Zurzeit verinnerliche sie die Thematik. „Es lässt mich nicht mehr los.“

Immer noch erfahre sie Beleidigungen von Mitschülern, die nicht verstehen, warum sie sich selbst in ihrer Freizeit für den Klimaschutz engagiert, statt einfach nur Spaß zu haben. Sie sei stolz darauf, trotzdem weiter ihre Stimme zu erheben. „Wir wollen nicht wie die 68er die Gesellschaft auf den Kopf stellen, sondern haben uns nur ein Ziel gesetzt: Natur zu erhalten und ein Leben auf diesen Planeten für unsere Nachkommen zu ermöglichen. Viele Politiker, die an der Macht sind, sind 68er. Jetzt, wo sie nachhaltig gestalten könnten, tun sie es nicht. Also müssen wir etwas tun.“

Feuer und Flamme für die Bewegung

Idina Schwarzer vom Christian-Rohlfs-Gymnasium
Idina Schwarzer vom Christian-Rohlfs-Gymnasium

Idina Schwarzer (17) vom Christian-Rohlfs-Gymnasium ist seit dem 25. Januar „aktiv dabei“. Sie war auch bei der Großdemo in ­Berlin. Die Schüler dürften, so die 17-Jährige, nicht zulassen, dass die Kritik an den Aktionen während der Unterrichtszeit vom eigentlichen Ziel ablenke. Deswegen sollte weiter in dieser Zeit demonstriert werden. Idina Schwarzer kann, wie die anderen anwesenden ­Jugendlichen, den Klimawandel ­erklären, kennt Studien, Analysen und Modelle. In der WhatsApp-Ortsgruppe Hagen wirke sie mit, damit die Flamme der Bewegung wachse. Sie sehe genau hin, welche Politiker was sagen. Die Erfahrungen, die sie derzeit bei Schulkooperationen und Workshops rund um das Thema mache, nehme sie mit in ihr weiteres Leben. „Die Demos werden mir die Kraft geben, mich auch nach der Schulzeit für den Klimaschutz einzusetzen.“

Protestieren? Nur in der Freizeit!

Birgitta Pieters, Leiterin des Gymnasiums in Lennestadt, erreichen wir telefonisch. An ihrer Schule haben heute 80 der 679 Schüler den Unterricht verlassen, um zu protestieren. „Die Veranstaltung fand zwischen 7.40 Uhr und 9.10 Uhr statt.“ Für die Schüler sei es politischer Unterricht nur an einem anderen Ort gewesen. Sie kann der Argumentation von Lindner folgen: „Unterrichtsausfall wird es deswegen bei uns nicht mehr geben. Wer protestieren will, der kann das in seiner Freizeit tun.“