Hagen. . Die Demografie-Ampel der Universität Siegen macht die Kommunen in NRW vergleichbar. Ergebnis: Die Menschen ziehen nicht immer nur in die Stadt.

Frank Luschei wäre nicht Wissenschaftler, wenn er an Sagen und Mythen glauben würde. Der Diplom-Psychologe, der an der Universität Siegen forscht, hält sich lieber an Daten und Fakten. Und die Botschaft, die er nach seiner jüngsten Studie zu verkünden hat, ist eine, die in Südwestfalen durchaus Mut macht: „Es gibt keinen Automatismus, nach dem die Menschen vom Land in die Stadt flüchten. Das ist ein Mythos“, sagt er: „Ja, es gibt kleine Kommunen die ausbluten. Aber dass sie chancenlos wären, ist nicht richtig.“

Seine Argumentation stützt sich auf seine neueste Arbeit. Luschei hat eine Demografie-Ampel ­entwickelt. Damit lassen sich die wichtigsten Faktoren aller 396 Kommunen in Nordrhein-Westfalen vergleichen und einordnen. ­Ergebnis: Selbst benachbarte Kommunen haben mitunter völlig unterschiedliche Voraussetzungen. Beispiel im Kreis Siegen-Wittgenstein: Das in prächtigem Grün strahlende Bad Berleburg und das tiefrote Bad Laasphe.

Bad Berleburg liegt gut

Weiteres Ergebnis: Auch die kleinen Orte können eine positive Entwicklung nehmen. Siehe Bad Berleburg mit knapp 20.000 Einwohnern. Noch besser sind die Zahlen für Augustdorf mit etwa 10.000 Einwohnern und Bad Lippspringe mit knapp 16.000 Einwohnern – beides Kommunen in der Region Ostwestfalen-Lippe.

„Es ist wichtig, die entscheidenden Kennzahlen des demografischen Wandels der eigenen Gemeinde einzuordnen und mit anderen vergleichen zu können“, sagt Luschei. In den meisten Städten hat man das bereits getan. In Menden zum Beispiel.

Junge Leute ziehen weg

Thomas Höddinghaus arbeitet bei der Stadt Menden. 2013 verfasste er einen Demografie-Bericht, nutzte externe Prognosen für einen Blick in die Zukunft bis 2030. Seine Ergebnisse decken sich mit denen der neuen Studie: Alarmstufe Rot. „Viele junge Leute ziehen – zum Beispiel für die Ausbildung – weg. Der Unterschied zu manch anderer Stadt: Sie kommen nicht wieder.“ Es ziehen mehr Leute weg als zu („Wanderungssaldo“), die Geburtenrate ist niedriger als die Sterberate („natürliches Saldo“). Der Anteil der unter Zehnjährigen ist gering, der Anteil der Frauen im Alter zwischen 15 und 49 auch nicht übermäßig groß.

Wanderungssaldo umdrehen

All diese Faktoren berücksichtigte Luschei für seine Berechnungen. Dabei erzählt jede Stadt ihre eigene Geschichte. Allgemeine Erkenntnis aber: „Die Bedeutung der Zu- und Fortgezogenen ist wichtiger als die der Neugeborenen und Verstorbenen.“ Heißt: Ziel muss sein, den Wanderungssaldo umzudrehen durch die Steigerung der Attraktivität. Themen: ein gut ausgebautes Kommunikationsnetz, Gesundheitssystem, hohe Lebensqualität, gepflegtes Ortsbild. Viele Orte gerade auf dem Land kranken daran, dass die jungen Menschen nicht bleiben wollen.

Erndtebrück im Kreis Siegen zum Beispiel. „Im Ergebnis aller Indikatoren gibt es in Nordrhein-Westfalen kaum eine Stadt oder Gemeinde, die mehr Einwohner verliert“, sagt Luschei. „Wir wollen Veränderungsprozesse in den Kommunen anstoßen.“

Jung kauft alt

Große und kleine Projekte gibt es fast überall. In Menden hat man eines namens „jung kauft alt“ ins Leben gerufen. Dabei werden junge Familien beim Kauf einer Bestandsimmobilie finanziell unterstützt. Ein Gewerbegebiet soll bald entstehen, um Unternehmen und Arbeitsplätze anzusiedeln. Das Ruhrgebiet ist nah genug, um den Nachwuchs abspenstig zu machen, aber zu weit weg, um von Menden aus dorthin zu pendeln.

Die Sogwirkung der Stadt ist kein Mythos, aber man kann ihr begegnen. „Wir haben die Hoffnung auf eine Trendwende“, sagt Thomas Höddinghaus. So richtig weiß man aber nicht, wie der Nachsatz zu verstehen ist: „Wir sind nicht allein.“