Olpe. . Im ADAC-Verkehrssicherheitszentrum in Olpe können Senioren testen, ob sie noch gut genug Auto fahren können. Ein Besuch.

21 Jahre hat sich Helmut Rinsches Opel Ascona auf dem Asphalt gehalten. Noch heute schwärmt der 79-jährige Rentner davon, wie er mit seinem silbernen Flitzer regelmäßig in den Urlaub in die Schweiz fuhr. „Das war ein wunderbares Auto, und nicht ein Fleckchen Rost hatte der“, erinnert sich Rinsche. Was sein Ascona allerdings hatte, waren 190.000 Kilometer auf dem Tacho und Wasser im Motor. Rinsches Flitzer wanderte im Jahr 2018 in die Schrottpresse. Nun fährt der 79-Jährige einen Opel Meriva, einen Mini-Van, ausgestattet mit moderner Technik. Und Rinsche ist ehrlich zu sich selbst: „Ich bin einfach nicht mehr der Jüngste. Das neue Auto habe ich nicht so im Griff, wie ich es will.“

Im deutschen Straßenverkehr sind so viele Senioren unterwegs wie noch nie. Eine Folge des demografischen Wandels. Daten des Statistischen Bundesamtes belegen: Mit dem Alter steigt die Gefahr, einen Autounfall zu verursachen. Über 64-jährige Fahrer trugen oft die Hauptschuld, wenn sie in einen Unfall verwickelt waren (67 Prozent). Bei den über 75-Jährigen waren es sogar 75 Prozent. Die Statistiken führen zur Frage: Wann ist man zu alt zum Autofahren?

Wer nimmt am Training teil?

Im ADAC-Verkehrssicherheitszentrum in Olpe könnte man darauf eine Antwort finden. Helmut Rinsche hat 1957 seinen Führerschein gemacht, aber 62 Jahre später ist er hier nochmal Fahrschüler. Der viereinhalbstündige Kurs kostet etwas mehr als eine Tankfüllung und soll ihm beibringen, im Straßenverkehr die richtigen Entscheidungen zu treffen. Vor allem in Gefahrensituationen.

Rinsche und neun weitere Senioren sitzen in einem Besprechungsraum, als Fahrlehrer Michael Scheffel sich in den Stuhl fallen lässt. Der ehemalige Polizeibeamte leitet seit 20 Jahren Fahrtrainings, und zu Beginn eines Kurses fragt er stets: „Warum seid ihr heute hier?“

Von der Polizei „gejagt“

Ein paar Meter weiter von Helmut Rinsche sitzt Charlotte Frettlöh. Es dauert nicht lange, bis die 84-Jährige sich in Rage redet. In der City-Galerie in Siegen habe sie ein parkendes Auto touchiert und sei dann einfach weitergefahren. Fahrerflucht. Die Polizei habe sie „gejagt wie eine Schwerverbrecherin“. Vor Gericht wurde sie bestraft, den Führerschein musste sie für ein halbes Jahr abgeben. „Obwohl ich 63 Jahre lang unfallfrei war“, ärgert sich Frettlöh. Der Staatsanwalt habe ihr geraten, den Führerschein dauerhaft abzugeben. „Das ist diskriminierend“, schimpft die Seniorin. Immerhin müsse sie einkaufen, zur Post, zum Amt, zum Arzt. „Ohne Auto geht es nicht“, sagt sie.

Karl-Josef Steinhoff (79) ist seit einiger Zeit Witwer. Der Rentner besucht immer noch gerne seine Kinder. „Die beiden leben in Bonn und in Frankfurt. Ich weiß nicht, wie lange ich die Autofahrten dorthin noch schaffe“, erzählt Steinhoff und zuckt mit den Schultern.

Kommunikation über Funk

Wenig später wird auf dem Fußballfeld-großen Übungsplatz des ADAC über Walkie-Talkies kommunziert. Kursleiter Scheffel versucht den Senioren die Anspannung zu nehmen. „Gaaaanz locker und flockig“, rauscht es durchs Funkgerät. Zuerst wird geklärt, wie man richtig sitzt und das Lenkrad sicher in den Händen hält. So mancher Senior sitzt zu nah am Steuer, andere zu weit weg. „Kommt es zu einem Unfall, kann die richtige Position über den Verletzungsgrad des Autofahrers entscheiden“, erklärt Michael Scheffel.

Wenig später geht es ans Eingemachte: Vollbremsung üben – und gleichzeitig das Auto nach links lenken. Als Helmut Rinsche das Autofahren lernte, war das noch nicht möglich. Entweder wurde gebremst oder gelenkt. Das Antiblockiersystem ermöglicht es heute, dass ein Hindernis während des Bremsens umkurvt werden kann. Trotzdem tun sich Rinsche und Co. damit schwer. Entweder sie bremsen oder sie lenken.

Kritisiert wird niemand

Doch sie alle machen Fortschritte, auch später bei Übungen auf glatter Fahrbahn. Fahrtrainer Scheffel gibt zwischendurch Feedback. „Ich kritisiere nicht, das wäre abschreckend. Ich gebe Anreize, was man besser machen kann“, sagt er. Die Senioren sollen vor allem eines lernen: Dass ihr Bauchgefühl und ihre Erfahrung nicht immer mit den Straßenverkehrsregeln im Einklang sind. Sollte jemand Scheffels Meinung nach ungeeignet sein für den Straßenverkehr, so vermittelt er das vorsichtig unter vier Augen. Zum Beispiel wenn jemand bei den Übungen sehr überfordert ist oder äußerst langsam reagiert.

Entziehen kann Michael Scheffel die Fahrerlaubnis sowieso niemandem. Wer den Führerschein einmal erworben hat, kann ihn bis ans Ende seiner Tage behalten – solange man nicht zu viele Punkte in Flensburg sammelt und keinen schweren Unfall verursacht. Ungeachtet der Bedenken von Unfallforschern setzt die Politik weiter auf Eigenverantwortung. „Einen Verkehrstest für Senioren wird es mit mir nicht geben“, sagte Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) am Mittwoch.

„Schaffe ich das noch?“

Ist das die richtige Entscheidung? Helmut Rinsche hat Zweifel. Ab einem gewissen Punkt sollte jeder ein Fahrsicherheitstraining machen, sagt er. „Man muss sich ehrlich fragen: Schaffe ich das noch? Sind meine Reaktionen noch scharf genug?“ Rinsche bejaht diese Fragen heute für sich. Er fährt weiter Auto. Sehr gerne sogar. Auch wenn es sich nicht mehr so gut anfühlt wie im Opel Ascona.