Bestwig. . Noch in diesem Jahr soll die Verlängerung der A 46 bei Bestwig fertiggestellt werden. Auf 115 Meter hohen Säulen thront die Brücke über dem Tal.
Ach, der Urgroßvater. Der hat hier schon gestanden, sagt Niklas Puls. Hat hier schon gestanden und Benzin verkauft. „392 Liter im Jahr, mit der Handpumpe gefördert.“ An guten Tagen braucht es für diese Menge heute keine Stunde. Gute Tage gibt’s viele. Immer dann, wenn die Menschen in ihren Autos auf Winterberg zurollen, sich durch Bestwig schleppen. Treibstoff brauchen. Kaffee. Zigaretten, Brötchen.
Niklas Puls (27) und sein Geschäftspartner Alexander Brüggemann (26) haben alles da in ihrer Tankstelle am Ortseingang. Familienbetrieb seit mehr als 100 Jahren. „Wenn es schneit, ist es, als wenn jemand einen Knopf drückt und alle fahren los nach Winterberg. Dann geht’s richtig ab“, schwärmt Brüggemann und blickt durch die großen Fenster hinaus auf die Bundesstraße 7. Der schnellste Weg nach Winterberg. Nicht mehr lange.
Epochales Ereignis
Noch in diesem Jahr soll die Verlängerung der Autobahn 46 fertiggestellt werden. Ein 5,6 Kilometer langes Teilstück, mehr als 100 Millionen Euro teuer. Auf 115 Meter hohen Säulen thront es über dem Tal. Es war und ist eines der anspruchsvollsten Brückenbauprojekte der vergangenen Jahre in Deutschland.
Der Weg führt bald bis Olsberg und weiter nach Winterberg. Nicht mehr durch die Gemeinde Bestwig mit ihren Ortschaften Velmede und Nuttlar. „Ohne zu übertreiben, ist das für die Gemeinde ein epochales Ereignis“, sagt Ralf Péus, Bürgermeister von Bestwig. „Damit wird sich vieles ändern - und es ist völlig klar, dass dies neben großen Chancen auch Risiken mit sich bringt.“
Es gibt jene, die diesen Tag schon lange herbeiwünschen. Kaum einer länger als Rudolf Heinemann, ein freundlicher Herr, Mitte 70, früherer Kommunalpolitiker. Er wohnt an der B 7. Die Gemeinde hat 10.000 Einwohner, an manchen Tagen fahren 23.000 Autos hindurch.
Bettenwechsel, Blechlawine
Das Haus ist sein Elternhaus, erbaut 1935. Ein, zwei Jahre später kam die Straße. „Die haben sie uns direkt vor die Nase gebaut.“ Er erinnert sich, wie er als Jugendlicher auf der vereisten Fahrbahn Schlittschuh lief. Heute kommt er mit dem Auto kaum aus seiner Ausfahrt raus, vor allem nicht nach links Richtung Meschede. Freitags ist es besonders schlimm. Weiß jeder im Ort. Bettenwechsel in Winterberg. Blechlawine in Bestwig. Etliche Minuten stehen sie manchmal dort. Fahren dann rechts und wenden. Das Arbeitszimmer der Heinemanns liegt fast am Asphalt. Lkw und Autos dröhnen vorbei. Es gab Zuschüsse für Lärmschutzfenster. Ohne wär’s schwer. „Wer es nicht gewohnt ist, würde wohl verrückt werden.“ Die Fassade hat er mehrfach mit einem Hochdruckreiniger bearbeitet. Aber so oft wie er müsste, hält es der Putz nicht aus. Seine Frau Dorothee verteufelt den Kampf gegen den Schmutz an den Fenstern: Sie sehen schnell wieder aus wie vorher. „Es ist schon belastend“, sagt Herr Heinemann, „endlich, endlich kommt die Autobahn. Wir sind froh.“
Die Zwei von der Tankstelle sind sich nicht einig, wie das demnächst wird. „Man kann nur hoffen, dass es so weitergeht wie bisher“, sagt Niklas Puls. Er ist der Zuversichtliche. „Wir haben viele Stammkunden. Jeden zweiten Kunden kenne ich mit Namen.“ Heißt: Die kommen auch in Zukunft. Beide wissen, dass es drei Tankstellen auf nicht einmal zwei Kilometern Strecke gibt. Es waren mal vier. Aber der Erste hat schon aufgegeben. Zu gering schien ihm die Aussicht auf profitables Arbeiten. Der Verkehr soll sich halbieren, wenn die Autobahn erstmal da ist. „Ich weiß nicht, wer den Kampf gewinnt“, sagt Olaf Badelt.
Mehr Lebensqualität
Die Brille hat der 59-Jährige auf die tiefen Falten seiner Stirn geschoben. Er führt ein Autohaus, alles für den Lada. Das Büro liegt neben der Werkstatt, ein Gasofen sorgt mit glimmender Flamme für Wärme. „Die Autobahn bedeutet eine Verbesserung der Lebensqualität“, sagt Badelt, Vorsitzender der Werbegemeinschaft Bestwig, „aber die Einzelhändler müssen womöglich darunter leiden.“ Frittenbuden, Metzger, Tankstellen, Bäcker.
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„20 Prozent Umsatz verlieren wir bestimmt, das tut uns weh, klar“, sagt Peter Junker (43), Inhaber der Bäckerei Adolph. Die Oberarme sind tätowiert, Brownies heute im Angebot. In Meschede hat er gerade eine Filiale eröffnet. Den Standort Bestwig will er halten. „Ich bin sicher, dass wir uns einen großen Teil der 20 Prozent wiederholen können.“ Anderes Klientel, anderes Sortiment. Er ist optimistisch.
Selbst die großen Supermarktketten werden den Abfluss des Touristenstroms spüren. 30, 40 Prozent der Kunden, sagt Badelt, seien Holländer. Einkaufen ist in Deutschland günstiger. Sie machten die Autos auf der Hin- und Rückfahrt voll. „Die, die schon mal hier waren, fahren vielleicht auch in Zukunft die alte Strecke.“ Dürings Imbiss am Ortseingang wirbt mit Joppie Saus, holländischer Mayonnaise. Die Filiale ein paar Kilometer weiter ist dicht. Personalmangel. Fleischer Fischer und Elektro Sauerwald, sagt Badelt besorgt, suchen vergeblich Nachfolger. „Aber so schlimm wie in Freienohl wird es bei uns nicht werden. Die Autobahn hat den Geschäften den Todesstoß versetzt.“
Kundschaft geht verloren
In Etappen ist die A 46 ausgebaut worden. Was Bestwig noch bevorsteht, hat Freienohl – etwas weiter westlich gelegen – bereits hinter sich. Am Tag der Streckenfreigabe vor rund 20 Jahren haben sie im Ortskern ein Fest gefeiert: „Freienohl atmet auf“ war das Motto. „Der Verkehr war eine Quälerei. Jetzt ist es viel ruhiger“, sagt Heinz-Jürgen Lipke, Ortsvorsteher. „Manchmal zu ruhig.“ Er spricht von verloren gegangener Kundschaft. „Wir haben fünf, sechs leerstehende Ladenlokale. Das liegt nicht nur, aber auch an der A 46.“ Im Sommer ist ein Versicherungsbüro in den Ort gezogen, „Mitten in den Ort“, wiederholt Lipke. Er hat den Mitarbeitern am ersten Samstag eine Flasche Sekt in den Laden gebracht.
140 Jahre Familienbesitz
Im Gasthof Hester an der B 7 in Bestwig brennt am Freitagabend noch Licht. Bald wird es ausgehen. Zwei Jahre noch, sagt der Chef Ernst Hester (64), „dann ist Schicht.“ 140 Jahre Familienbesitz. Interessenten für die Nachfolge? Keine. „So ist es eben, in vielen Städten“, sagt er. Die Flamme der Kerze erstickt am eigenen Wachs. Natürlich kämen Touristen, sagt Hester, „aber übers Jahr machen sie den Braten nicht fett. Es gibt keine Alternative zu dieser Autobahn.“ Mit seiner Frau Martina wohnt er über dem Laden. „Ich sehe es mit einem lachenden und einem weinenden Auge“, sagt sie, tauscht die Kerze, zündet ein neues Licht.