Hagen/Siegen. . Der ADAC legt den Staubericht für 2018 vor. Die Verkehrsstörungen erreichen einen Rekord. Geld für Baumaßnahmen fehlt nicht. Aber etwas anderes.

Jürgen Steinbrecher weiß, wovon er spricht. In jeder Hinsicht. Aus Köln begibt sich der Professor der Universität Siegen zur Arbeit. Autobahn 4. Auch nicht immer ein Vergnügen. „Ich fahre ja gewissermaßen gegen den Strom. Aber was ich auf der Fahrt besonders in der Gegenrichtung manchmal sehe, das ist schon enorm“, sagt der Verkehrsforscher.

Die neuste Meldung zu seinem Thema hörte er gestern im Radio: Das Stauaufkommen in Nordrhein-Westfalen ist von 2017 auf 2018 erneut angewachsen. Wie der ADAC berichtet, hat es im vergangenen Jahr 264.000 Staus im bevölkerungsreichsten Bundesland gegeben. Gesamtlänge: 486.000 Kilometer. In Worten: vierhundertsechsundachtzigtausend. Ein Plus von 6,4 Prozent. Rekordzahlen.

Zehnmal um die Welt

Zur Veranschaulichung: Das ist ein Stau, der von der Erde bis zum Mond geht – und noch darüber hinaus. Oder ein Stau, der mehr als zehnmal um die Welt verläuft. Nirgendwo in Deutschland gibt es mehr Stau. Zum Vergleich: Mecklenburg-Vorpommern kommt auf gut 3000 Kilometer Stau.

„Um ehrlich zu sein, hat mich die Stau-Zunahme nicht so überrascht“, sagt Steinbrecher. Er hat zuletzt Forschungsarbeiten über die Autobahn 45 abgeschlossen, weiß, dass allein dort unzählige Brücken neu gebaut oder instandgesetzt werden mussten. Wie auch im Rest des Bundeslandes. „Die gesteigerte Bauaktivität führt natürlich auch zu einer gesteigerten Wahrscheinlichkeit eines Stauereignisses. Womöglich erklären sich auf diese Weise schon die fünf, sechs Prozent Zunahme."

Für all jene, die täglich im Stau stehen, weil sie über die A 1 in Richtung Köln müssen, über die A 45 in Richtung Dortmund, über die A 46 Richtung Düsseldorf, mag das kein Trost sein. „NRW ist als Super-Transitland einfach deutlich stärker betroffen als andere Bundesländer. Daran muss man sich gewöhnen“, sagt Steinbrecher: „Aber natürlich gibt es auch den oft formulierten Wunsch, die Infrastruktur so auszubauen, dass Staus seltener auftreten.“ Ein Wunsch, der schwer zu erfüllen ist. Schließlich schlängeln sich dicht an dicht tausende Kilometer Autobahn durch NRW. Teile des Kölner Rings sind bereits achtspurig ausgebaut. Linderung? Kaum in Sicht. „Wo soll das hinführen“, fragt sich auch der Experte der Uni Siegen.

Geld ist da

Dass es in der Planung Versäumnisse gegeben hat, haben die Verantwortlichen eingeräumt. Beleg dafür ist, dass die finanziellen Mittel für infrastrukturelle Maßnahmen seitens der Politik zuletzt deutlich erhöht worden sind. Bis zum Jahr 2030 stellt der Bund 20 Milliarden Euro für Baumaßnahmen an Autobahnen und Bundesstraßen in NRW zur Verfügung.

Geld ist also nicht mehr das große Problem. Dafür fehlen die, die es auf die Straße bringen. „Bau-Ingenieure werden überall gesucht. Bei mir rufen Firmen an, um zu fragen, wann der nächste Absolvent fertig wird. Meine Absolventen werden mir aus der Hand gerissen“, sagt Steinbrecher. Nicht nur Straßen-NRW sucht händeringend nach Bau-Ingenieuren. Und wenn es stimmt, was Jürgen Steinbrecher erzählt wurde, dann ließe sich derzeit kaum noch ein neues Brückenprojekt in angemessener Zeit zu Ende bringen – weil die auf Brückenbau spezialisierten Firmen völlig ausgelastet sind. Ein Weg aus der Staufalle scheint nicht in Sicht.

Mit der Bahn länger unterwegs

Auch nicht für den Autofahrer Jürgen Steinbrecher. Natürlich, er könnte wie so viele andere Menschen die Bahn nehmen. Bräuchte dann aber wie so viele andere Menschen mehr als doppelt so lang von Tür zu Tür. „Vielleicht“, sagt er, „sollten wir uns angewöhnen, nicht so weit weg von der Arbeit zu wohnen.“ Er wird nicht der einzige sein, der daran schon gedacht hat.