Wuppertal. . Wie gerecht ist die Energiewende? Die Uni Wuppertal stellt fest: Prinzipielle Zustimmung ist groß, aber Umsetzung wird kritisiert.
Der Eindruck täuscht. Hier eine Bürgerinitiative gegen einen Windpark, dort Industrieprotest gegen hohe Strompreise. Immer wieder. Aber die Mehrheit sieht es anders: 88 Prozent der Deutschen unterstützen die Energiewende. Das zeigte vor gut einem Jahr eine Repräsentativ-Umfrage für das Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS). Nur an der Umsetzung gibt es Kritik, insbesondere an fehlender Gerechtigkeit. Dazu hat das Institut für Demokratie- und Partizipationsforschung (IDPF) der Universität Wuppertal drei vertiefende Dialogveranstaltungen mit jeweils 50 zufällig ausgewählten Bürgern in Wuppertal, Potsdam und auf der Schwäbischen Alb veranstaltet. Wir sprachen darüber mit Prof. Hans J. Lietzmann.
Was sind die Ergebnisse der Bürgerdialoge?
Hans J. Lietzmann: In der Tendenz bestätigen sich die Aussagen der Umfrage. Es existiert eine hohe Bereitschaft, die Energiewende zu unterstützen, doch die Realisierung stößt auf Kritik. Die Bürger – wir hatten einen Querschnitt der Bevölkerung – legen Wert auf soziale und finanzielle Gerechtigkeit. Auch die Wohlhabenderen sind der Meinung, dass ärmere Verbraucher unterstützt werden sollten. Und die Befreiung energieintensiver Industrien von der EEG-Umlage stößt auf massive Kritik.
Ist denn ganz klar, was die Energiewende überhaupt ist?
Interessanterweise haben die Menschen völlig unterschiedliche Vorstellungen. Die einen denken daran, Geld zu sparen, andere haben die Ökologie im Blick, für manche steht der Ausstieg aus der Atomenergie oder Kohle im Zentrum.
Und alles stößt auf Zustimmung?
Zwei Drittel der Bürger sind für den Kohleausstieg, selbst in den betroffenen Bundesländern ist es die Mehrheit. Und die Atomenergie wird schon lange von einer großen Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt. Auch als die schwarz-gelbe Bundesregierung 2010 den unter Rot-Grün ausgehandelten Atomkonsens aufkündigte und die Laufzeiten der Atomkraftwerke verlängerte, war die Mehrheit der Wähler von Union und FDP dagegen. Das war es vor allem, das nach Fukushima 2011 den Atom-Ausstieg und die Energiewende notwendig machte.
Weil es auf Dauer nicht gegen die Mehrheit der Bevölkerung geht?
Es kommt natürlich darauf an, wie wichtig den Bürgern das Anliegen ist. Bei der Energiewende ist es sicher so, dass sie nur funktionieren kann, wenn sie angepasst wird an die Bereitschaft der Bevölkerung. die Maßnahmen mitzutragen.
Das Negativbeispiel ist Frankreich...
Die Proteste der Gelbwesten sind so heftig, weil bei der Erhöhung der Steuern auf Benzin und Diesel kein sozialer Ausgleich vorgesehen ist, weil davon insbesondere die Menschen außerhalb der großen Städte betroffen sind, die sich von der zentralistischen Politik aus Paris sowieso abgehängt fühlen.
Und was ist mit den Protesten gegen Windkraft oder gegen die hohen Strompreise bei uns?
Besonders laut ist die Industrie, die für ihre Interessen streitet. Und bei Bürgerinitiativen gegen Windparks handelt es sich um singuläre Gruppen. Wenn die eigene Gemeinde davon Vorteile hat, sieht es meist anders aus.
Und wie ist es mit den nötigen Hochspannungsleitungen von Nord nach Süd?
Ein klarer Fall von schlechtem Management. Der Netzagentur war eine richtige Bürgerbeteiligung zu aufwändig. Jetzt müssen die Leitungen größtenteils unter der Erde verlegt werden, was länger dauert und viel teurer ist.
Sie plädieren für mehr Bürgerbeteiligung?
Anders geht es nicht. Sozialer Wandel zeigt sich darin, dass die Menschen unmittelbar beteiligt werden wollen. Andernfalls halten sie Entscheidungen nicht mehr für legitim. Es gibt ein stark gewachsenes Misstrauen gegenüber Parlament und Regierung, Parteien, Gewerkschaften und Kirchen und stattdessen den Willen, die Dinge selbst zu organisieren. Das ist verständlich: Die Bürger sollen immer mehr selbst übernehmen, von Dienstleistungen bis zur sozialen Absicherung im Alter. Aber über die Umgehungsstraße entscheiden Experten? Das funktioniert nicht mehr.
Man glaubt nicht, dass andere mehr wissen?
In den 1950er Jahren waren 70 Prozent der Meinung, dass Politiker besondere Fähigkeiten bräuchten. Heute glauben das nur noch 25 Prozent. 75 Prozent sind der Meinung: Das kann jeder.
Hätte die Bürgerbeteiligung nicht am Anfang der Energiewende stehen sollen?
Am besten sogar noch vor dem Anfang. Aber hätte man mit der Energiewende noch viele Jahre warten sollen? Sicher nicht.