Dortmund/Meschede. . Ein Rettungssanitäter meldet Unregelmäßigkeiten bei der Bestückung der Fahrzeuge mit Medikamenten. Arbeitgeber mahnt ihn zweimal ab.

Als der Rettungssanitäter der Johanniter-Unfall-Hilfe in Dortmund 2017 für 30 Dienstjahre geehrt wurde, wünschte ihm der Regionalverband Östliches Ruhrgebiet auf dessen Internetseite „nur das Beste für die nächsten Jahre“. Die guten Wünsche haben sich nicht erfüllt. Sein Arbeitgeber hat den 58-Jährigen im Sommer zwei Mal abgemahnt, weil er angeblich einen 12-Stunden-Dienst um 9 bzw. 13 Minuten zu früh beendet hat. Der Mann aus dem Kreis Unna hat vor dem Arbeitsgericht Dortmund dagegen geklagt. „Man will ihn zum Schweigen bringen“, sagt seine Mescheder Anwältin Mélanie Scheuermann, „es ist eine Retourkutsche“. Ihr Mandant habe Unregelmäßigkeiten bei der Medikamenten-Bestückung in Rettungswagen, „insbesondere für Reanimationen“, an den Regionalvorstand schriftlich gemeldet. So sollen „häufig“ Medikamente wie das Beruhigungsmittel Dormicum und Adrenalin verschwunden bzw. durch abgelaufene ersetzt worden sein.

Randaspekt am Arbeitsgericht

Richterin Meike Kirchner erwähnt beim Gütetermin den in der Klageschrift verwendeten Begriff „Retourkutsche“. Die Medikamente in den Fahrzeugen sind nur ein Randaspekt am Arbeitsgericht, sie bergen aber große Sprengkraft, wie Mélanie Scheuermann weiß: „Ich stelle mir vor, ich hätte einen Unfall und erhielte abgelaufene Mittel.“

Prof. Dr. Mona Tawab vom Zentrallaboratorium Deutscher Apotheker sieht insbesondere das für Reanimationen genutzte Adrenalin als „kritische Substanz, weil es leicht oxidiert, wenn das Haltbarkeitsdatum überschritten ist“. Dann sei es nicht mehr wirksam: „Gerade bei einem Notfall wird jedes Mikrogramm benötigt, damit es voll wirken kann.“

Die Hinweise auf Unregelmäßigkeiten werden in der Klageschrift erwähnt. Mittlerweile haben weitere Johanniter der Anwältin schriftlich bestätigt, dass sie an unterschiedlichen Tagen das Fehlen bzw. das Vorhandensein abgelaufener Medikamente bemerkt haben. Die Schreiben liegen dieser Zeitung vor.

Nach Angaben von Martin Vollmer, Sprecher der Johanniter im Östlichen Ruhrgebiet, hat es „in der Vergangenheit einen Fall gegeben, bei dem ein Krankentransportwagen nicht entsprechend der internen Vorgaben bestückt war“. Man habe nicht identifizieren können, warum es einen Fehlbestand in „diesem einen Fall“ gegeben hat.

Anwältin Scheuermann zufolge hatte der Regionalvorstand ihrem Mandanten nach dessen schriftlichem Hinweis mitgeteilt, dass nicht überprüfbar sei, ob das Fahrzeug am Einsatzort immer ordnungsgemäß verschlossen sei. Und so womöglich Dieben von außen offen steht. Mélanie Scheuermann hält dies nicht für schlüssig: „Kein Dieb stellt dann abgelaufene Medikamente hin.“ Eigentlich müsste es das Interesse der Johanniter sein, so die Anwältin weiter, herauszufinden, „ob hier womöglich Insider tätig waren“. Sie hatte den Regionalvorstand aufgefordert, die Behörden einzuschalten. „Es ist keine Meldung an Polizei oder Staatsanwaltschaft gegangen“, so Johanniter-Sprecher Vollmer, „weil wir entsprechend unserer internen Recherchen nicht von einer Straftat ausgehen konnten.“

Die Johanniter im Östlichen Ruhrgebiet hatten zunächst eine Anfrage dieser Zeitung an die Berufsfeuerwehr Dortmund weiter geleitet. Der Grund einem Sprecher zufolge: „Es handelt sich um ein städtisches Fahrzeug der Berufsfeuerwehr Dortmund.“ Die Feuerwehr zeigte sich überrascht: Man stelle zwar den Johannitern Fahrzeuge bereit, so ein Sprecher, Bestückung und Kontrolle von Medikamenten liege aber im Verantwortungsbereich der Organisation, die ein solches Fahrzeug nutzt.

Mit Leib und Seele Johanniter

Beim Gütetermin schlossen der Rettungssanitäter, der nicht mit der Presse reden mag („ich will keine Schwierigkeiten“) und sein Arbeitgeber den Vergleich, die Abmahnungen zum 31. März 2019 aus der Personalakte zu entfernen. Er will bis zur Rente bleiben: „Ich bin Johanniter mit Leibe und Seele“, sagte er im Gerichtssaal. An der Feierstunde für Jubilare 2017 hatte er seiner Anwältin zufolge nicht teilgenommen – eine Einladung hatte ihn nicht erreicht. Die Urkunde zum 30-jährigen Dienstjubiläum lag in seinem Postfach.