Hagen/Balve. Die Stadträte in NRW sind zu alt und zu sehr von Männern dominiert. Ein Wissenschaftler fordert eine Frauen-Quote in kommunalen Parlamenten.

Die Kommunalparlamente in NRW sind überaltert und werden von Männern dominiert. Das geht aus einer Auswertung des WDR hervor, der die Zusammensetzung der Stadträte in allen Städten des Bundeslandes abgefragt hat. Demnach sind fast 89 Prozent der Politiker in den Räten älter als 40 Jahre. Nur ein Drittel sind weiblich. In Südwestfalen, und da vor allem im Sauerland, ist dieser Trend stärker ausgeprägt als in anderen Regionen.

Besonders unterrepräsentiert sind die Frauen beispielsweise im Balver Stadtrat. Dort sind unter den 32 Mitgliedern nur zwei Frauen. Überdurchschnittlich alt sind die Stadträte in Olpe, Medebach und Bestwig, wo jeweils 93 Prozent älter sind als 40. Spitzenreiter ist Finnentrop mit 94 Prozent Ü-40-Mitgliedern.

Erfahrungen nutzen und dabei die junge Generation nicht vergessen

„Wir müssen die Erfahrungen der Älteren nutzen, aber gleichzeitig auch die junge Generation mitnehmen“, sagt Marco Voge, 39-jähriger CDU-Landtagsabgeordneter aus Balve. Er ist Sprecher einer Enquete-Kommission, die sich derzeit im Landtag konstituiert, um Wege aufzeigen, wie in Nordrhein-Westfalen das Engagement der Bürger im politischen Prozess gefördert werden kann, um die Demokratie zu stärken.

Die Zusammensetzung der Stadträte berge die Gefahr, dass die Interessen von jüngeren Bürgern und Frauen nicht berücksichtigt werden, warnte der Politikwissenschaftler Prof. Dr. Lars Holtkamp von der Fernuni Hagen. „Ältere vermeiden möglicherweise Standortkonflikte bei Industrieansiedlungen, weil sie selbst keinen Job mehr brauchen“, sagte Holtkamp.

Politikwissenschaftler fordert Frauenquote in Kommunalparlamenten

Vorschläge für die Enquete-Kommission hat er auch: Erstens müsste man eine Frauenquote einführen. Zweitens müsse auch in NRW bei der Kommunalwahl das Kumulieren und Panaschieren eingeführt werden, damit der einzelne Wähler mehr Einflussmöglichkeiten hätte. Beim Kumulieren kann der Wähler einzelnen Kandidaten mehrere Stimmen geben, beim Panaschieren verteilt er seine Stimmen auf Kandidaten mehrerer Parteien. Drittens sollten die Räte ihre Arbeitsweise umstellen: „Dort herrscht häufig ein bürokratischer Arbeitsstil. Viele Leute würden sich bestimmt engagieren, wenn sie ein ganz konkretes Thema bearbeiten könnten, als tagelang Ratssitzungen vorzubereiten.“

Die Sorge ist in den Parlamenten angekommen, so mancher Politiker sieht sogar das gesamte System in Gefahr. „Wir stoßen in den gesellschaftspolitischen Debatten immer öfter auf fundamentale Gegensätze. Es wird sogar die Legitimation der Demokratie infrage gestellt“, sagt Marco Voge, CDU-Landtagsabgeordneter aus Balve. Dass vor allem ältere Männer in den Stadträten und in anderen Entscheidungsgremien sitzen, ist keine neue Entwicklung. Jüngere und Frauen sind krass unterrepräsentiert, vor allem im Sauerland.

Bogen weiter spannen: Vertreter aller Schichten sollen mitmachen

Das soll sich ändern. Voge ist Sprecher einer Enquete-Kommission, die sich gerade im NRW-Landtag bildet und einen etwas sperrigen Titel trägt: „Subsidiarität und Partizipation. Zur Stärkung der (parlamentarischen) Demokratie im föderalen System aus nordrhein-westfälischer Perspektive.“ Das schreit nach einer in eine Forderung gegossenen flapsigen Übersetzung: Wir müssen Eigenverantwortung und Teilhabe im politischen Prozess stärken, sonst geht alles den Bach runter. Alter und Geschlecht von Stadträten spielen zwar in der Kommission auch eine Rolle; sie will den Bogen aber weiter spannen: In einer Demokratie sollen sich schließlich nicht nur möglichst viele Bürger engagieren, sondern auch Vertreter aller Schichten und gesellschaftlich relevanter Gruppen.

Und eben auch Mitglieder möglichst vieler Generationen. Die betagten Kommunalparlamente seien nicht unbedingt darauf zurückzuführen, dass der Nachwuchs keinen Bock auf Politik habe, sagt Voge. „Junge Menschen engagieren sich auch heute noch vielfältig, zum Beispiel in Vereinen. Aber die Rahmenbedingungen haben sich verändert. Die Vielfalt der beruflichen Möglichkeiten ist heute größer, die Mobilität und die Digitalisierung bieten ganz andere Chancen als früher. Das behindert die Langfristigkeit des gesellschaftlichen Einsatzes.“

Videoschaltungen statt stundenlangen Ratssitzungen?

Klar, Lösungen kann er noch nicht bieten. Dafür ist die Kommission zuständig. Sie soll zunächst Daten sammeln und Experten anhören. Am Ende könnte sie dann zum Beispiel neuartige Beteiligungsmodelle vorschlagen. Vielleicht haben junge Menschen ja keine Lust, stundenlang im Stadtrat zu sitzen, vielleicht würden sie lieber über Videoschaltungen kommunizieren. Die Gedanken sind bekanntlich frei.

Voge hat keine Sorge, dass die Ergebnisse der Kommissionsarbeit am Ende ungehört in Aktenschränken verschwinden könnten. „Dafür ist das Thema zu wichtig.“ Und auf die lange Bank schieben möchte er auch nichts. „Wir wollen bis zum Sommer die ersten Handlungsempfehlungen präsentieren.“