Werl. . Joe Bausch, Deutschlands bekanntester Gefängnisarzt, geht Ende November in den Ruhestand. Soeben hat er ein neues Buch veröffentlicht.

Mit Schwung öffnet Deutschlands bekanntester Gefängnisarzt die Tür zu dem Altbau direkt an der Justizvollzugsanstalt (JVA) Werl und geht die Treppe hinauf zu seiner 180-Quadratmeter-Wohnung.

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Unter Joe Bausch (65) wohnt nach wie vor der Gefängnis-Geistliche. „In diesem Haus treffen Beichtgeheimnis und ärztliche Schweigepflicht aufeinander“, sagt der Arzt und Schauspieler mit dem Augenzwinkern, das er so gerne in sein Gesicht und in seine Worte bringt. Kein Augenzwinkern, als er von seinem JVA-Abschied erzählt. Am 30. November geht der gebürtige Westerwälder in den Ruhestand. Nach 32 Jahren in Werl. Bausch, dessen Buch „Gangsterblues“ in diesen Tagen erscheint, erzählt sachlich davon. Wenn einer, so scheint es, tiefenentspannt in eine neue Lebensphase geht, dann er.

Ein fortwährender Spagat

Bausch bittet an den großen Wohnzimmer-Tisch. In einer Ecke des Raumes steht ein Sprungbock, den er in einem Antiquitätenladen gekauft hat. „Ich war ein guter Turner“, sagt er. Eine Fähigkeit, die ihm im übertragenden Sinne in seinem Beruf zu Gute kam. Als Gefängnisarzt zu arbeiten, ist ein Spagat: „Ein Knast ist kein Sanatorium, hier leben gefährliche Leute.“

Man könne dort aber nur behandeln, wenn man keine Vorurteile hat und Patienten mit Empathie begegnet. Auf der einen Seite stehen in 32 Jahren 250 Beschwerden und Anzeigen von Insassen, mit denen sich Staatsanwälte befassen mussten. Auf der anderen Seite wurde er zum Arzt, dem die Gefangenen vertrauen – „aber ohne Kumpanei“. Schwerstverbrecher erzählten ihm ihre Geschichten. Bausch holt eine Karte, die am Kühlschrank hängt. Der Chef einer Mordkommission hat sie ihm geschickt. Darauf steht: „Man muss das Leben aushalten können.“

Wenig Wissen über das Knast-Leben

„Harte Geschichten“, die ihm erzählt wurden, schildert Bausch leicht verfremdet – damit niemand zu identifizieren ist – in seinem neuen Buch „Gangsterblues“. Er erzähle Geschichten, um den Blick für Gefängnis-Themen wie Alterskriminalität, Drogenabhängigkeit oder psychische Erkrankungen zu öffnen, sagt er. „In der Bevölkerung ist ein Knast eine Black Box. Die Leute haben wenig Vorstellungen.“

Joe Bausch hat am 30. November seinen letzten Arbeitstag in der JVA Werl.
Joe Bausch hat am 30. November seinen letzten Arbeitstag in der JVA Werl. © Ralf Rottmann

Vor sechs Jahren erschien Bauschs Erstlingswerk „Knast“. Ein Sachbuch über den Strafvollzug, kein Geschichten-Buch. Es stand sieben Monate in der Spiegel-Bestsellerliste, die Menschen hörten ihm bei mehr als 200 Lesungen zu. „Ein überwältigender Erfolg“, sagt der Autor.

Von seiner Küche und seinem Arbeitszimmer könnte Joe Bausch auf das JVA-Gelände spucken. Der Arbeitsweg von seiner Wohnung zum Gefängnistor ist kürzer als der Weg innerhalb der JVA zu seinem Dienstzimmer. „Ich hätte nie gedacht, dass ich 32 Jahre bleibe“, sagt Bausch und liefert gleich die Antwort, wie er dies geschafft hat: „Durchs Schauspielern und Schreiben gewann ich Abstand.“

Bestatter klingelten an der Haustür

Abstand zum Beispiel zu Bedrohungen. Vor Monaten klingelten Mitarbeiter eines Bestatters an seiner Haustür. Sie hatten den Auftrag, seine „sterbliche Hülle“ abzuholen. „Von so etwas oder von Drohanrufen habe ich mich nie beeindrucken lassen“, sagt Bausch, „aber es führte schon dazu, dass ich mich ein paar Tage anders umsah.“

Joe Bausch vor den Mauern der Justizvollzugsanstalt Werl.
Joe Bausch vor den Mauern der Justizvollzugsanstalt Werl. © Ralf Rottmann

Dennoch: Die 32 Jahre in Werl seien eine schöne Zeit gewesen, sagt Joe Bausch. Ein Job, den er weiter empfehlen könne. Einige Gefängnisse im Land suchen händeringend Ärzte. Bausch macht bei einer Kampagne für den Arztberuf im Strafvollzug mit. Warum fehlt es an Nachwuchs? Bausch nennt Gründe: „Der allgemeine Ärztemangel, das fehlende Ansehen in der Bevölkerung, das schwierige Patienten-Klientel, der verbesserungswürdige Verdienst.“

„Tatort“-Dreharbeiten

Der Hausherr schenkt am Wohnzimmer-Tisch ein Glas Wasser nach. Man merkt, dass er sich auf den Ruhestand freut: „Aus dem täglichen Müssen wird das tägliche Wollen.“ Was will er machen? „Ich weiß es noch nicht“, sagt der Vielbeschäftigte, „der Ruhestand kam über mich, obwohl ich schon lange den Termin kannte.“ In den nächsten vier Monaten wolle er sich entscheiden, wo er hinzieht. Bald beginnt der nächste „Tatort“-Dreh in Köln. Vielleicht nimmt er das Angebot wahr, bei einer Kreuzfahrt als Arzt zu arbeiten („ich hätte Zeit zum Nachdenken und Runterkommen“). Vielleicht übernimmt er als „Freischaffender“ Sprechstunden in einer Praxis auf Mallorca, in Berlin oder in einer JVA. Sicher will der „Tatort“-Pathologe die Schauspielerei ausbauen: Theater spielen, Filme drehen – am liebsten Bösewichte: „Ich hoffe, dass man mich die wieder spielen lässt, wenn ich nicht mehr die bösen Buben behandele.“ Ein markantes Gesicht dafür hat er. Regisseur Dominik Graf habe einst zu ihm gesagt: „Du hast eine Fresse, die vergisst man nicht.“ Bausch schmunzelt: „Mein Gesicht hat mir im Umgang mit Verbrechern geholfen.“

Premierenlesung in Unna

Die Premierenlesung für sein neues Buch „Gangsterblues. Harte Geschichten“ hält Joe Bausch am Sonntag, 14. Oktober, um 19 Uhr im Circus Travados in Unna.

Informationen unter:
mordamhellweg.de

Joe Bausch ist mit sich im Reinen. Aus seinem letzten Arbeitstag in Werl will er kein großes Aufheben machen. „Ich gehe, wie ich vor 32 Jahren gekommen bin“, sagt er und schaut rüber zur JVA: „Ich werde die Freiheit genießen.“