Paderborn. . Das Diözesanmuseum Paderborn zeigt, wie die Gotik nach Westfalen kommt

Plötzlich lernen die Engel das Lächeln. Eine neue Zeit bricht an, in der das Bibelwort zu Stein wird, der in den Himmel wächst. Die Gotik entsteht im 13. Jahrhundert aus vielen gesellschaftlichen und religiösen Umbrüchen. Bis heute faszinieren die Kathedralen, die jetzt gebaut werden. Das Diözesanmuseum Paderborn widmet der Epoche eine überwältigende Ausstellung, in der am Beispiel des Paderborner Doms die europäische Baukultur des 13. Jahrhunderts untersucht wird.

„Ausgehend von bahnbrechenden neuen Ideen aus Frankreich, erfasste die Baukultur der Gotik nicht nur die großen europäischen Städte, sondern auch die Transperipherie und schlug sich im Kleinen in allen Kunstgattungen nieder“, schildert Prof. Dr. Christoph Stiegemann, wie dieser Kulturtransfer in Richtung Rheinland und Westfalen funktioniert. Deshalb gibt es neben herausragenden Exponaten von Weltrang aus Pamplona, Paris, Essen und Mainz auch wunderbare, kaum bekannte Skulpturen aus den Kirchen der Region, zum Beispiel die Thronende Madonna aus St. Johannes Baptist in Hagen-Boele (um 1290), die durchaus selbstbewusst neben der berühmten Mainzer Fust­straßen-Madonna (um 1250) oder der bekannten Paderborner Imad-Madonna bestehen kann. Westfalen ist eben mitten in Europa.

Ausgeprägte Mimik

Das 13. Jahrhundert ist die Epoche der Marienverehrung. Die Madonnen-Skulpturen werden nun nach architektonischen Gesichtspunkten auf Throne gestellt. Gleichzeitig beseelen Bildhauer und Steinmetze ihre Arbeiten erstmals mit Gefühlen. Ausgeprägte Mimik und Gestik sollen Mitgefühl bei den Betrachtern, den Gläubigen, erwecken. „Das 13. Jahrhundert entdeckt die Schönheit der Welt und begreift sie als Spiegel des Göttlichen“, beschreibt Prof. Stiegemann diesen Impuls, der die Engel zum Lächeln bringt und den Teufeln das hämische Grinsen ins Gesicht meißelt. Das ist ein Prozess, der eine völlig neue Wirklichkeitserfahrung beschreibt. Eine Bildsprache entsteht, die es vorher nicht gegeben hat.

Die Engel und Teufel, die lebensgroßen Heiligen und Bischöfe sind aber nur ein Teil der Bewegung. Auch die Kirchen ducken sich nicht mehr bescheiden an die Erde, sie streben nun zum Himmel, sie öffnen ihre Mauern zu lichtdurchfluteten Maßwerkfenstern. Die Licht- und Raumerfahrung ändern sich radikal. Die Kathedrale wird zum Sinnbild für das himmlische Jerusalem und ihr Figurenwerk zum Gebet aus Stein.

Zwei Revolutionen müssen sich dafür vollziehen. Zum Einen wird die persönliche Andacht zum neuen Ausdruck von Frömmigkeit, und in dieser Andacht vollzieht sich die Begegnung mit dem Heiligen. Das zeigen eindrucksvolle Goldschmiede-Arbeiten wie das Heiliggrab-Reliquiar aus Pamplona. Solche Artefakte werden nun ebenfalls wie Bauwerke gestaltet, neben der monumentalen Gotik der Kathedrale steht die Mikrogotik des Kunsthandwerks.

Auf der anderen Seite kann sich diese neue Ästhetik nur deshalb so flächendeckend ausbreiten, weil es eine technologische Entwicklung gibt, die man durchaus als die Neuerung der Epoche schlechthin bezeichnen kann: die Architekturzeichnung. Das neue Medium revolutioniert innerhalb weniger Jahrzehnte sämtliche Planungs- und Bauverfahren. Nun wird es möglich, komplexe, geometrische. Architekturformen zu konzipieren, der Größe nach zu skalieren und auch in andere Kunstgattungen en miniature zu übertragen. Um das sichtbar zu machen, hat Paderborn eine mittelalterliche Bauhütte rekonstruiert und die berühmten Reimser Palimpseste als Leihgabe gewonnen. Sie stammen aus den Jahren um 1230 und sind die ältesten erhaltenen Architekturzeichnungen überhaupt.

Mitgefühl und Erhabenheit

Dieses Nebeneinander aus Mitgefühl und Erhabenheit, aus privater Andacht und jahrhunderteübergreifenden Bauvisionen macht die Gotik als Epoche bis heute so spannend, wie zahlreiche Mittelalterromane belegen. Auch die Ausstellung schafft den Spagat, das Gottvertrauen zu vermitteln, das jedes Kathedralbauprojekt braucht und dazu die tiefe, innige Frömmigkeit, die sich im Bild der lächelnden Engelsköpfe wieder findet.

Die Ausstellung ist vom 21. September bis 13. Januar zu sehen. www.dioezesanmuseum-paderborn.de