Hagen. . Auch in der Region werden Hilfebedürftige immer häufiger von ambulanten Betreuungsdiensten abgelehnt, weil die Fachkräfte fehlen.
Die ambulanten Pflegedienste in Nordrhein-Westfalen haben Alarm geschlagen: Immer häufiger müssen sie hilfebedürftige Menschen abweisen. Laut einer Umfrage der Freien Wohlfahrtspflege spricht im Durchschnitt jeder Dienst 10,5 Absagen pro Monat aus. Auch in Südwestfalen ist die Lage angespannt.
Die Zahlen
Aufnahmestopps auch in Pflegeheimen
Etwas besser als bei ambulanten Diensten ist die Lage in Seniorenheimen. Belegungsstopps aufgrund von Personalmangel hat es in Siegen-Wittgenstein und Olpe in diesem und im vergangenen Jahr nicht gegeben. Im HSK haben vier Heime freiwillig die Aufnahme gestoppt wegen Personalnot, im Ennepe-Ruhr-Kreis sind es zwei gewesen, auch im Kreis Soest hat es diese Fälle gegeben. Sieben weitere Heime im HSK unterliegen einem Aufnahmestopp, weil sie die Einzelzimmerquote nicht erfüllen.
Wer einen stationären Platz brauche, bekomme derzeit auch einen, „aber nicht immer den gewünschten“, heißt es aus dem Märkischen Kreis. Ob das so bleibt, scheint ungewiss. Der aktuelle Pflegebedarfsplan weist für den Kreis bis 2020 einen Bedarf von 5150 stationären Plätzen aus. Derzeit gibt es 4353; 128 sind geplant oder im Bau.
Im Jahr 2017 hat die „Heimaufsicht“ im Kreis Siegen-Wittgenstein eine Umfrage unter den Pflegediensten gestartet: 62 Prozent der Pflegedienste beteiligten sich an der Umfrage. Das Ergebnis: 670 Anfragen pflegebedürftiger Personen konnten nicht angenommen werden (Mehrfachnennungen möglich) – aufgrund mangelnder Personalkapazitäten. Annähernd 3000 Pflegebedürftige werden laut Pflegebedarfsplan des Kreises Siegen-Wittgenstein ambulant professionell gepflegt.
Die Diakonie Mark-Ruhr betreibt 18 Stationen in Hagen, dem Ennepe-Ruhr-Kreis und dem Märkischen Kreis. Allein im April dieses Jahres haben diese 18 Stationen 215 Absagen erteilen müssen. Das sei in anderen Monaten nicht anders, so ein Sprecher. Mehr als die Hälfte der Absagen gab es im Bereich Hauswirtschafts- und Betreuungsleistungen; 92 Absagen im Bereich Pflege.
Andernorts tut man sich mit Zahlen schwerer; eine Umfrage wie in Siegen-Wittgenstein gibt es nicht. Aber: Es gebe Dienste, die mehrfach pro Woche Patienten ablehnen müssten, erzählt auch Jochen Winter aus dem Ennepe-Ruhr-Kreis. Er ist dort Sprecher der freien Wohlfahrtspflege und Geschäftsführer der AWO.
Die Folgen
Die Folge ist, dass die Kurzzeitpflegeplätze im Ennepe-Ruhr-Kreis durch Hilfesuchende belegt werden müssen, die keinen Pflegedienst finden, berichtet Jochen Winter. Gedacht seien diese Plätze aber eigentlich für Patienten, die frisch aus dem Krankenhaus entlassen worden sind.
Man könne nicht mehr alle „Wünsche“ erfüllen, erzählt Karen Mendelin, Fachbereichsleiterin bei der Caritas in Brilon. „Manche Patienten wünschen drei Mal pro Tag Pflege, aber wir können nur einmal kommen“, schildert sie das Problem. Vor allem in Brilon, Olsberg und Marsberg sei die Lage angespannt. Im Dezember vergangenen Jahres kurz vor Weihnachten, als viele Patienten vor den Feiertagen aus den Krankenhäusern entlassen wurden, da musste Mendelin sogar einen Aufnahmestopps verhängen.
Wenn es um Alltagsbetreuung geht, also Hilfen im Haushalt, muss die Caritas-Sozialstation in Warstein fast täglich Absagen erteilen.
Dabei gibt es seit Inkrafttreten des Pflegestärkungsgesetzes eigentlich mehr Geld und Leistungen für alle Pflegebedürftigen, insbesondere aber Demenzkranke. „Doch die Patienten können dies gar nicht nutzen, weil sie nicht von einem Pflegedienst aufgenommen werden“, so Regine Clement von der Heimaufsicht im HSK.
Die Prognose
Es wird nicht besser. Im Hochsauerlandkreis ist die Zahl der Pflegebedürftigen zwischen den Jahren 2013 bis 2015 um 13 Prozent gewachsen, zitiert Karen Mendelin aus dem jüngsten Pflegebedarfsplan. „Die Zahl der Mitarbeiter konnte auch gesteigert werden – aber nicht gleichermaßen.“ Derzeit könnte sie auf den Sozialstationen neun Pflegefachkräfte anstellen – und ebenso viele Hauswirtschaftskräfte. Aber sie findet keine. „Zudem stehen wir vor einer Verrentungswelle“, fügt sie hinzu. Bis zum Jahr 2040, so die Prognose, wird die Zahl der über 80-Jährigen und potenziell Pflegebedürftigen um 43 Prozent zunehmen.
Die Auswege
Man versuche, die Pflegebedürftigen und die Angehörigen zu beraten, was stattdessen möglich sei, wenn der Pflegedienst nicht oder nicht so oft kommen kann wie gebraucht: Nachbarschaftshilfe zählt Karen Mendelin auf und Hausnotrufsysteme. „Der Kreis der Angehörigen ist der größte Pflegedienst, den wir haben“, ergänzt Regine Clement vom Hochsauerlandkreis.
In Teilen des Märkischen Kreises kennt man die Versorgungsengpässe ebenfalls. Dort setzt man nun darauf, Pflegedienste zu vernetzen, berichtet Kreissprecher Hendrik Klein: Die Dienste sprechen die Routen miteinander ab, teilen sich das Gebiet auf, so dass nicht jeder Dienst jeden Ort aufsuchen muss. Das spart Fahrtzeiten, auch wenn die Pflegebedürftigen vielleicht nicht bei ihrem Wunschdienst unterkommen. Die Zeiten, da man in Konkurrenz zueinander gestanden habe, so Jochen Winter aus dem EN-Kreis, seien vorbei.