Arnsberg. . Der erhobene Daumen ist Geschichte: Moderne Anhalter setzen auf Mitfahrerbänke. Der Selbsttest in Voßwinkel wird zur Geduldsprobe.
Selbstversuch als moderner Tramper. Das Ziel: die zweite Mitfahrerbank Deutschlands im Arnsberger Stadtteil Voßwinkel. Ein Schild zeigt an, wohin die Reise gehen kann. Nach Neheim. Das Ensemble sieht aus wie eine Bushaltestelle, ist aber keine. Wie lange muss ein Fremder dort warten?
Im 2450-Seelen-Dorf Voßwinkel ist man ohne Auto nicht festgefahren. Der Bus rollt werktags jede Stunde ins sieben Kilometer entfernte Neheim. Sonntags viermal. „So schlecht ist die Anbindung nicht“, sagt eine Seniorin beim Einsteigen in den öffentlichen Nahverkehr. Einziger Nachteil: Die Fahrt nach Neheim dauert mit dem Auto auf direktem Weg zehn Minuten. Der Bus braucht 25 Minuten, weil er umliegende Dörfer ansteuert.
Ein gutes Versteck
Die Mitfahrerbank steht 500 Meter von der Bushaltestelle entfernt. Sie liegt direkt an der Bundesstraße 7, die Voßwinkel durchtrennt. Starker Verkehr. Lkw auf Lkw brettert viel zu schnell durch den Ort. Ironie: Ihr Luftzug lässt die Hitze ertragen. Die Pkw in der kleinen Parkbucht in Fahrtrichtung Neheim nehmen den Autofahrern die Sicht auf den Anhalter. Die Bank erweist sich als gutes Versteck.
Der Blick schweift die B 7 entlang. Eine Deutschlandfahne hängt schlaff herab. Gleißende Sonne, 28 Grad. Rechts die seit Jahren geschlossene „Alte Hafen“-Gaststätte, wo das Pils noch 1,10 Euro kostete. Links ein altes Fachwerkhaus. Ausharren. Eine halbe Stunde vergeht. Das Sitzfleisch schmerzt. Zwei Autos fahren langsamer, Schritttempo, der Fremde wird in Augenschein genommen, das Gaspedal gedrückt. Wieder nichts. Vor Augen ein Film: Ein Pkw hält und wird gleich wieder von einem Siebentonner aus dem Blickwinkel geschoben. Gefühlter Schildbürgerstreich, diese Mitfahrerbank. Beine vertreten.
Gute Laune bei ehemaligen Landesliga-Spielern
Wie jeden Dienstag sitzen die alten Herren des TuS Voßwinkel vor dem Café Greve. Die ehemaligen Fußballspieler trinken Cappuccino, klönen, lachen. Zu ihrer Zeit, teilen die Rentner dem Fremden mit, habe man noch Landesliga gespielt. Stürmer, Linksaußen, Abwehrchef, alle bester Laune. Ein Seitenhieb auf die Jugend, die ja nur noch Kreisklassenfußball kicke. Sie erklären, warum der Fuchs im Ort allgegenwärtig ist. „Fuchs im Winkel, eben Voßwinkel“, sagt Gerhard Wolf (72). Die Mannschaft versteht sich blind: Alle Nachbardörfer hätten Tiernamen, uralte Spitznamen, berichten sie. Reihum nennt jeder einen: Müscheder Eulen, Herdringer Krähen, Bruchhausener Enten, Hüstener Kälber. Die Mitfahrerbank ist in ihrer Runde selten ein Thema.
Die Dorfkonferenz
Torwart Bernhard Zacharias (70): „Vor zwei Jahren saß da mal einer drauf.“ Mittelfeldstratege Wolf kann sich an eine Dorfkonferenz in der Schützenhalle erinnern: „Damals wurde uns mitgeteilt, dass die Idee der Mitfahrerbänke aus der Eifel stamme und dort gut angenommen würde.“ Kurt Schepp, der sich mit „der beste Libero des Sauerlandes“ vorstellt, hat noch nie jemanden darauf sitzen sehen. Alle finden die Idee gut. „Eigentlich möchte jeder Voßwinkler, der kein Auto besitzt, dort Platz nehmen, aber niemand will sich die Blöße geben“, so Bruno Senske.
Erneut auf der Mitfahrerbank. Dieses Mal mit Pralinen. „Forrest Gump“ ist gespannt, was die Zeit so bringt. In dem Hollywood-Film wartet der Titelheld eine Ewigkeit auf einer Bank. Kirsten Heimann beobachtet die Szene. Skeptischer Gesichtsausdruck. Sie betreibt den „Fisch spa“ nebenan und wartet auf den ersten Kunden, der sich zur Fisch-Pediküre angemeldet hat.
Erbarmen mit dem Mann auf der Bank
Susanne Hindemith hat Erbarmen mit dem Mann auf der Bank. Sie leistet ihm in der Pause Gesellschaft. Sie arbeitet im Friseurgeschäft Funke gleich hinter der Tramp-Station. Beim Blick in die zerflossene Schokoladenmasse in der Pralinenschachtel vergeht ihr allerdings der Appetit.
Anruf mit dem Smartphone beim Bezirksausschussvorsitzenden Andreas Sedlaczek. Er bestreitet die schlechte Lage der Mitfahrerbank, die seit 2015 Besuchern Platz biete. Er spricht lieber von einer überschaubaren Investition. Natürlich könnte alles besser sein. Leider habe Straßen NRW die Tempo-30-Zone wieder aufgehoben. Der 53-Jährige: „Wenn man es nicht versucht, dann kann man keine Ergebnisse erwarten.“
Bitte Einsteigen
Carla Stecken arbeitet in der Post. Endlich jemand, der einmal auf der Mitfahrerbank saß und mitgenommen wurde. „In den ersten Tagen, nachdem sie aufgestellt worden war, habe ich es einfach mal ausprobiert.“ Ein Bekannter habe gehalten und sie mitgenommen. „Einmal um den Block.“
Günther Jochheim ist ein mitfühlender Mensch. Mehrmals war der 77-Jährige auf der Strecke unterwegs. Er hält an, bittet um Einstieg. Auf der Fahrt Richtung Neheim verrät er, dass er gerne „einen Reporter der WESTFALENPOST“ mitnehmen würde. Im Café habe er mitbekommen, dass eine Geschichte über die Mitfahrerbank an der B7 geschrieben werden soll. Voßwinkel, so Jochheim, solle nicht im schlechten Licht erscheinen. Er selbst würde sich „nie da hinsetzen“ - und erst recht nicht Fremde mitnehmen. „Das ist heutzutage viel zu gefährlich.“