Hagen/Werdohl. Seit dem 1. August 2017 werden Kindererziehungszeiten für die Krankenversicherung der Rentner angerechnet. Den Betroffenen bringt das viel Geld.

Roswitha Luig konnte es kaum fassen. Eher zufällig stieß die Rentnerin aus Werdohl in einem Magazin ihrer Krankenkasse auf einen kleinen Artikel, der ihr richtig Geld einbringen sollte. Es ging dabei um eine Gesetzesänderung. Kindererziehungszeiten werden seit dem 1. August 2017 in der Krankenversicherung der Rentner (KVdR) angerechnet. Die Werdohlerin hatte davon noch nicht gehört – dabei betrifft sie die Gesetzesänderung direkt.

Vor zwei Jahren ist Roswitha Luig in Rente gegangen. Seitdem war sie „unfreiwillig freiwillig Versicherte“ in der gesetzlichen Krankenversicherung, wie sie es nennt. „Dabei war ich doch vorher fast immer pflichtversichert“, sagt die 66-Jährige, die im Schulverwaltungsamt gearbeitet hat, meist als geringfügig Beschäftigte. In die „Krankenversicherung der Rentner“ kam sie dennoch nicht. Für die Aufnahme in die KVdR gilt die sogenannte 9/10-Regel. Man muss in der zweiten Hälfte seines Erwerbslebens neun Zehntel der Zeit in der gesetzlichen Krankenversicherung pflicht-, freiwillig oder familienversichert gewesen sein.

Teurer Mindestbeitrag frist Rente auf

Roswitha Luig war während der Kindererziehung aber privat versichert, weil ihr Mann als Lehrer privat versichert war. Ihr fehlten zwei Jahre für die 9/10-Regelung. Das erfuhr sie kurz vor Rentenbeginn.

Die KVdR ist keine Krankenversicherung, sondern ein Status. Dabei ist man pflichtversichert in einer gesetzlichen Kasse seiner Wahl. Was Vorteile mit sich bringt. Einmal werden bei freiwillig Versicherten sämtliche Einkünfte zur Beitragsbemessung herangezogen, auch Zins- und Mieteinnahmen oder Privatrenten. In der KVdR werden beim Kassenbeitrag (aktuell 14,6 Prozent plus Zusatzbeitrag) neben der Rente nur weitere Versorgungsbezüge wie die Riester-Rente berücksichtigt.

Zweiter Nachteil der freiwilligen Versicherung: Es gilt ein Mindestbeitrag von derzeit 141,38 Euro. „Plus Zusatzbeitrag plus Pflegeversicherungsbeitrag“, rechnet Astrid Harmuth vor. Die Rentenberaterin aus Iserlohn weiß: Gerade bei Minirenten fressen diese Beiträge oft schon einen guten Teil der Rente auf. Freiwillig versichert als Rentner sind „nicht zuletzt viele Frauen“, sagt Harmuth. Frauen, die oft nicht durchgehend gearbeitet haben, die deshalb auch keine besonders hohe Rente beziehen; häufig Ehefrauen von Selbstständigen oder Beamten, die während Kindererziehungszeiten privat versichert waren. Wie Roswitha Luig.

Für die Werdohlerin wurde die freiwillige Versicherung richtig teuer: 344 Euro inklusive Pflegebeitrag musste sie bezahlen, bei gerade einmal gut 600 Euro Rente. Von der Rentenkasse gab es nur einen Zuschuss in Höhe von 38 Euro.

Tausende Betroffene

Die Änderung betrifft vermutlich viele Tausend Frauen. Allein die AOK Nordwest zählt nur in Westfalen-Lippe 10 000 freiwillig Versicherte mit Rentenbezug (neben 460 000 pflichtversicherten Rentnern). Im Einzelfall können mithilfe der Neuregelung sogar privat Krankenversicherte zurück in die gesetzliche Krankenversicherung.

Die 9/10-Regelung sollte einst Rosinenpickerei verhindern. Wer sich während der Arbeitszeit privat versichert hatte, sollte als Rentner nicht in die dann meist preiswertere gesetzliche Krankenversicherung zurückkehren dürfen. Aber weil die Regelung Frauen wie Roswitha Luig offensichtlich benachteiligt, wurde zum 1. August 2017 das Gesetz geändert. Seitdem werden Kinder angerechnet. Auch Stief- oder Pflegekinder. Und zwar mit drei Jahren pro Kind. Roswitha Luig, die drei Kinder großgezogen hat, profitierte also von der Neuerung. Inzwischen zahlt sie netto nur noch gut 60 Euro für Kranken- und Pflegeversicherung. Die Beiträge wurden rückwirkend zum 1. August 2017 geändert.

Rückwirkende Korrektur

Nur wusste Luig zunächst nichts von der Gesetzesänderung. „Die wenigsten wissen das“, sagt Christoph Schrage, Rentenberater aus Olpe. Die Krankenkassen müssen ihre Versicherten zwar informieren. Einige haben das zum Beispiel auch per Brief getan, weiß Schrage, etwa die AOK Nordwest. Aber es reicht auch eine Notiz in der Mitgliederzeitschrift. „Und die wird doch meist kaum gelesen“, sagt die Iserlohnerin Harmuth, die selbst 32 Jahre bei einer Krankenkasse gearbeitet hat.

Wer nach dem 1. August 2017 in Rente gegangen ist, bei dem werden Kinderzeiten automatisch angerechnet. Allen Alt-Rentnern hingegen empfiehlt Rentenberaterin Harmuth, ihre Vorversicherungszeit bei der gesetzlichen Krankenkasse überprüfen zu lassen: „Sie sollten sich nicht scheuen!“