Hagen/Berlin. . Es ist derzeit eine hitzige Diskussion: Welche DFB-Kicker singen vor dem Anstoß mit? Experten sprechen über die Bedeutung von Flagge und Hymne.
Das Abfilmen der Nationalspieler vor einem Länderspiel erinnert an das Sammeln von Fußballer-Stickern. Statt des üblichen „Hab ich, hab ich nicht ...“ heißt in diesem Fall „Singt, singt nicht, singt ...“. Die Diskussion um deutsche Nationalspieler und ihre Sangesfreude scheint eine neue zu sein, ist aber schon deutlich älter.
Der Historiker Clemens Escher hat seine Doktorarbeit dem Thema Nationalhymne gewidmet. Er erklärt: „Auch bei der Weltmeisterschaft 1982 haben Bürger an den Bundespräsidenten geschrieben und gefragt, warum die Spieler nicht die Nationalhymne mitsingen.“ Der spätere Trainer Franz Beckenbauer habe es daraufhin zur EM 1988 angeordnet.
Singen ist Generationenfrage
Haben die Deutschen ein besonderes Verhältnis zu ihrer Hymne? „Das ist eine Generationenfrage“, sagt Escher. „Die Älteren ab 70 beschweren sich teilweise, wenn nicht gesungen wird. Die Jüngeren haben wieder ein sehr unbeschwertes Verhältnis zum Lied.“ Dazwischen gebe es aber eine Generation, die sich diesem nationalen Symbol nicht so verbunden fühlt.
Kanzler Adenauer und Bundespräsident Heuss einigten sich 1952 auf die dritte Strophe des Deutschlandliedes als neue Hymne.
Schon in der Weimarer Republik war das Lied – mit allen drei Strophen – das nationale Liedgut. Die Nationalsozialisten sangen die erste Strophe („Deutschland, Deutschland über alles...“) später als Einleitung für die Parteihymne der NSDAP.
Das Singen der ersten beiden Strophen ist heute übrigens nicht verboten. Sie sind nur kein Teil der offiziellen Hymne.
Keine Hymne in Saarbrücken
Im März 1954 spielte die Auswahl der Bundesrepublik gegen das damals noch eigenständige Saarland. Es ging um die Teilnahme an der Weltmeisterschaft in der Schweiz. Aufgrund der politischen Brisanz waren Flaggen im Saarbrücker Stadion verboten. Auch die Nationalhymnen wurden nicht gespielt.
Zu einem Fauxpas kam es nach dem gewonnenen Endspiel in Bern. Die Kapelle spielte das Deutschlandlied – die Schlachtenbummler sangen aus Gewohnheit die erste Strophe. Die Rundfunkübertragung wurde daraufhin untergebrochen. Bundespräsident Theodor Heuss stimmte wenige Tage später bei der Feier im Berliner Olympiastadion demonstrativ die dritte Strophe („Einigkeit und Recht und Freiheit...“) an.
Flagge schafft Gruppenzugehörigkeit
Das Deutschlandlied bezeichnet Escher als „eher friedlich. Die zweite Strophe („Deutsche Frauen, deutsche Treue, deutscher Wein...“) ähnelt tatsächlich einem Sauflied. Andere Nationen haben weniger Probleme mit ihrer Hymne, obwohl sie blutrünstiger sind.“
Ein anderes nationales Symbol ist die Flagge. In den Wochen der WM sieht man an Häusern und Außenspiegeln wieder vermehrt Schwarz-Rot-Gold. Der Psychologe Professor Oliver Christ von der Fernuni Hagen hat zum Thema Identifikation mit Flaggen geforscht. „Symbole sind wichtig, um zu kommunizieren, wer wir sind. Nationale Symbole haben daher immer etwas mit Gruppenzugehörigkeit zu tun. Die Identifikation mit der eigenen Nation kann auch Teil der Persönlichkeit sein.“
Symbol der Gruppenzugehörigkeit
Die Bedeutung für den Einzelnen variiert. Es haben sich in der Forschung so zwei Oberbegriffe herausgebildet: Nationalismus und Patriotismus. „Nationalismus bedeutet eine unkritische Identifikation mit dem eigenen Land und seiner Geschichte. Daraus kann auch eine Abwertung von anderen Nationen entstehen.“
Dem gegenüber steht der Patriotismus, der als „kritische Identifikation“ definiert ist. Ihm zu eigen sind eher der Stolz auf Errungenschaften wie Demokratie und Toleranz, nicht die Abwertung anderer Nationen.
Wieso kommt es alle zwei Jahre bei Fußball-Ereignissen zum verstärkten Flagge zeigen? „Symbole sind gerade im kompetitiven Situationen sehr wichtig“, sagt Christ. „Dazu gehört eine Fußball-WM.“ Nach dem Turnier gibt es also für die meisten keinen Anlass mehr, die Farben zu zeigen.
Christ hält es so: „Für mich ist sowohl Fußball an sich als auch die Zugehörigkeit zu Deutschland nicht so bedeutsam. Daher habe ich auch keine Flagge am Auto.“