Arnsberg. . Nase popeln, Tanten ärgern und ein echtes Pferd: Wir blicken hinter die Kulissen von Pippi Langstrum in Herdringen
Der Kleine Onkel schnaubt amüsiert, als er Theaterluft wittert. Endlich spielt er einmal eine Rolle. Denn in Wahrheit ist der Kleine Onkel gar kein „Er“, sondern eine hübsche Araber-Schimmelstute namens Gandy. Bei der Freilichtbühne Herdringen wird das Pferd jetzt zum Star - in der Inszenierung von Astrid Lindgrens Kinderbuch-Klassiker „Pippi Langstrumpf“.
80 Kinder und Jugendliche sind beim Familienstück aktiv, als Matrosen und Haie, Seesterne, Quallen, Affen und als Schulkinder. Wenn Pippi den Unterricht aufmischt, weiß Lehrerin Andrea Mönig genau, was in ihr vorgeht. Sie war vor 28 Jahren die erste Pippi in Herdringen. Heute stellt ihre Tochter Anna Mönig das freche Mädchen mit den roten Zöpfen dar. Freilichtbühne ist Familiensache.
Die Konkurrenz ist groß, denn das Freizeitverhalten hat sich geändert
„Es ist schwer, gute Familienstücke zu finden. Spielt man einen Klassiker, mit dem man das Haus voll kriegt? Oder probiert man etwas Neues aus? Diese Diskussion führen wir jedes Jahr“, schildert Spielleiter Detlev Brandt (49). „Wir müssen uns behaupten, denn das Freizeitverhalten hat sich geändert und das Angebot ist heute riesengroß.“ Rund 20 000 Zuschauer besuchen die beiden Inszenierungen in einer Saison. Zehn Tage vor der Premiere sind bereits 13 700 Karten gebucht.
Astrid Lindgrens berühmteste Geschichte ist 1947 erschienen. Pippi galt lange als eine Galionsfigur der antiautoritären Erziehung. Heute gehört es zum Alltag, wenn Kinder selbstbewusst sind. Wie hat sich die Sicht auf das Stück verändert? Regisseurin Patricia Hoffmann (38) setzt mit ihrer Interpretation neue Akzente. „Alle mögen Pippi, weil allen klar ist, dass sie sich nicht so verhält, weil sie schlecht erzogen ist, sondern weil sie sich das alles selber hergeleitet hat.“ Denn Pippis Mutter ist tot und ihr Vater befindet sich in der Südsee. „Es ist ja heute oft so, dass die Eltern wegmüssen, weil sie arbeiten, aber ich wollte Pippi noch etwas geben.“ Und so steht im Mittelpunkt die Frage, ob starke Wurzeln nur durch Nähe wachsen. „Die Botschaft lautet: Liebe kennt keine Entfernung“, unterstreicht Patricia Hoffmann und ergänzt, „In jedem von uns sollte ein bisschen Pippi stecken.“
In der Nase bohren. Die Füße auf den Tisch legen. Die spießigen Tanten schockieren. Was sagt Pippi selbst? „Ich hatte damit gerechnet, dass ich nicht einmal eine Sprechrolle bekomme. Ich habe drei Tage gebraucht, um zu realisieren, dass ich das machen darf“, berichtet Anna Mönig. Mit ihrer Heldin kann sich die 12-Jährige gut identifizieren. „Wenn Pippi auf der Bühne aus der Rolle fällt, ist es für mich inzwischen selbstverständlich, dass man auch mal Sachen machen muss, die man privat nie machen würde.“ Reiten kann Anna Mönig, und auch die Stute Gandy kennt sie. Pippis Durchsetzungsvermögen steckt an. „Mama als Ex-Pippi sagt mir nach den Proben, was ich noch besser machen könnte. Einige Ideen finde ich gut und setze sie um, bei einigen sage ich auch: Wir spielen heute Pippi und nicht vor 28 Jahren.“
Regisseurin Patricia Hoffmann muss in Herdringen ein Breitwandformat mit Leben füllen. Dafür setzt sie als Choreographin auf Bewegung. Haie, Affen, Quallen und Seesterne tanzen vergnügt, und die Schulkinder schlafen synchron auf ihren Pulten ein. Kostümchefin Sigrid Todt hat sich einiges einfallen lassen, um die Ensembles auszustatten. „Die Herausforderung waren die Seesterne.“ Denn die müssen sozusagen vertikal agieren - und sind supersüß geworden.
Diebe verwechseln Taka-Tuka-Land mit Lummerland
Wie jeder Verein hat die Freilichtbühne Herdringen mit der Flexibilisierung der Arbeitswelt und dem offenen Ganztag zu kämpfen. „Die Kinder sind teilweise nachmittags in der Schule, das ist ein Problem“, analysiert Detlev Brandt, der auf der Bühne übrigens als Dieb mit Geographie-Schwäche in Erscheinung tritt, denn er verwechselt Taka-Tuka-Land und Lummerland. „Früher bekamen die erwachsenen Darsteller von ihren Arbeitgebern sogar frei. Heute müssen sie Urlaub nehmen oder Überstunden abbauen. Das geht dann so weit, dass man spielen möchte, aber keine Zeit für das Drumherum hat. Wir machen ja alles selbst.“
Von solchen Sorgen ist die Stute Gandy unberührt. Wie trainiert man ein Pferd für einen Theaterauftritt? „Groß vorbereiten kann man sie nicht“, weiß Gandys Besitzerin Melina Grünke. „Wir machen Gelassenheitstraining, und sie läuft ja auch beim St. Martins-Ritt mit. Sie ist vom Wesen her ruhig und kommt gut mit neuen Situationen klar.“ Der Kleine Onkel lässt kein Zeichen von Premierenfieber erkennen und zupft einige Grashalme aus dem Rasen. Er hat seine Rolle gefunden.
Premiere ist am 9. Juni: Karten und alle Infos: www.flbh.de