Hagen/Essen. . Der Innogy-Vorstandsvorsitzende Uwe Tigges warnt vor einem personellen Ausbluten nach dem Eon Übernahmeangebot. Die ersten gehen bereits.

An der Spitze eines großen Energiekonzerns zu stehen, aber auf Sicht nicht mehr den Kurs vorgeben zu können, dürfte einigermaßen frustrierend sein. „Wir sitzen nicht auf dem Driver Seat (also am Steuer)“, sagt Uwe Tigges, Vorstandsvorsitzender der Essener Innogy SE, am Montag. Innogy ist zum Spielball des Rivalen Eon und des eigenen Hauptanteilseigners RWE geworden. Tigges mahnt nachdrücklich wenigstens Fairness an.

Vor gut zwei Monaten wurde über Nacht die von RWE und Eon gemeinsam beschlossene Auflösung und gleichsam langsame Filetierung von Innogy bekannt – bisher nur mit grobem Fahrplan.

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Eon übernimmt Stromvertrieb und Netzgeschäft von Innogy

Eon übernimmt den Stromvertrieb und das Netzgeschäft von Innogy, RWE erhält von Eon das Geschäft mit Erneuerbaren Energien, Gasspeichern und den noch laufenden Atomkraftwerken Gundremmingen und Emsland.

An RWE fällt die Ökosparte Innogy zurück, die dort vor zehn Jahren unter den Vorständen Jürgen Großmann und Leonhard Birnbaum als Reaktion auf das zunehmend wachsende Geschäftsfeld Erneuerbare Energien auf die Reise geschickt und zum Namensgeber für den Konzern wurde. Der sollte mit dem Börsengang vor zwei Jahren eigentlich die Zukunft verkörpern – scheint und nun aber keine mehr zu haben.

Branchenkänner erkennen Birnbaums Handschrift beim spektakulären Handel

Kapitän Großmann hat sich 2012 als RWE-Chef aus der Branche verabschiedet. Seit Ende vergangenen Jahres ist auch sein Nachfolger Peter Terium aus dem Rennen. Dr. Leonhard Birnbaum dagegen ist noch voll im Geschäft, verantwortet die Themen Erneuerbare Energien und Netze – allerdings seit Jahren bei Eon. Wenige Monate nach der Inthronisierung des Holländers Terium an der Spitze im Essener RWE-Tower wechselte Birnbaum 2013 zum Rivalen Eon an den Rhein.

Branchenkenner wollen nun seine Handschrift beim spektakulären Handel um die Innogy-Zerschlagung erkannt haben. Jedenfalls dürfte Birnbaum eine Menge mehr zu den Verabredungen zwischen Eon und RWE wissen, als selbst Tigges & Co. bekannt ist.

Expertise der Deutschen Bank

Genau hier setzt der noch amtierende Innogy-Vorstand an, um im Rahmen seiner Möglichkeiten Druck zu machen: „Wir geben unseren Anteilseignern weiter keine Empfehlung, das Eon-Angebot anzunehmen“, bekräftigte er gestern die Absage. Innogy-Vorstand und Aufsichtsrat hätten sich externe Expertise eingeholt. Fachleute von Goldmann Sachs, der Deutschen Bank und Lazard hätten auf das Übernahmeangebot geschaut

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Ohne dahinter gekommen zu sein, welche nichtöffentlichen Vereinbarungen zwischen RWE und Eon letztlich gelten sollen. „Wir können nicht ausschließen, dass die Minderheitsaktionäre schlechter gestellt werden“, lautet also die offizielle Begründung der Nicht-Empfehlung.

Tigges: Stallgeruch muss eine Rolle spielen

Das Misstrauen seit der März-Nacht-und-Nebel Abwicklungsankündigung ist im Hause Innogy kaum geschwunden. Die Vereinbarung vom vergangenen Freitag, nach der betriebsbedingte Beendigungs-Kündigungen praktisch ausgeschlossen seien, ist Tigges zu wenig für seine Leute. Und das sind in etwa genau so viele wie bei Eon, eben weit über 40 000 Beschäftigte.

Änderungskündigungen sind trotz der Vereinbarung möglich. Und rund 5000 Jobs sollen schließlich im Zuge der Übernahme wegfallen. Tigges fordert bei der Besetzung nach Qualifikation und nicht nach Stallgeruch vorzugehen: „Den Prozess muss ein unabhängiger Dritter überprüfen. Es sollte schon eine anerkannte Persönlichkeit sein.“ Wer immer dies sein könnte, ließ er offen.

Integration nur auf Augenhöhe

Integrationen auf Augenhöhe zwischen ehemaligen Marktrivalen sind nicht leicht und Vorbehalte mitunter noch Jahre später vorhanden – im Bankensektor beispielsweise wissen Dresdner und Commerzbanker dies nur zu genau. Viele Dresdner kochten vor Wut, als grün zu gelb wurde.

170 000 Stromkunden im ersten Quartal verloren

Der vor zehn Wochen bei einem Säureanschlag lebensgefährlich verletzte Innogy-Finanzchef Bernhard Günther begab sich bei der Präsentation der Quartalszahlen erstmals nach dem Überfall wieder in die Öffentlichkeit.

Der Nettogewinn sank im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um knapp 11 Prozent auf 610 Millionen Euro.

Der Absatz von Gas blieb nahezu konstant, der von Strom stieg um 5,9 Prozent, obwohl die Zahl der Kunden um 170 000 auf 15,7 Millionen sank.

Tigges pocht also darauf, die Marke Innogy nicht verschwinden zu lassen und verweist auf die Erfolge und das nachhaltige Image des Konzerns bei den Kunden, aber auch als Arbeitgeber. „Natürlich nach der Übernahmeankündigung nicht mehr“, spricht Tigges offen erste negative Auswirkungen an: „Die Verunsicherung in der Belegschaft ist groß. Wir stellen schon fest, dass einige gehen.“ Ein echtes Problem, auch weil Innogy mindestens bis weit in die zweite Jahreshälfte 2019 hinein noch eigenständig am Markt agieren wird. Ein personelles Ausbluten zu verhindern, müsste sogar im Interesse von Eon und RWE sein.

RWE-Aktionäre wie der HSK wissen auch nicht viel

Wenn schon die Vorstände von Innogy und deren Aufsichtsrat beklagen, nicht bis ins Detail über die Zukunftspläne von Eon und RWE im Bilde zu sein, wie sollen dann erst RWE-Aktionäre genau wissen, wohin die Reise geht?

Der Hochsauerlandkreis ist mit seinen rund fünf Millionen RWE-Anteilen nicht einmal ein kleiner Aktionär. Landrat Karl Schneider mag die Entwicklungen dennoch „nicht abschließend beurteilen. Viel schlauer als die Zeitung sind wir auch nicht“, sagt er im Gespräch mit dieser Zeitung. Ob nun E.on das bessere Ende für sich hat oder RWE, werde sich zeigen. Das Netzgeschäft erscheine heute zwar sicherer, „aber ich glaube schon, dass auf der Erzeugerseite noch Geld zu verdienen ist, wenn man einen Mix hält.“ Vom Börsengang der Innogy und der dazu erzählten Geschichte habe Schneider nie viel gehalten, auch wenn dadurch erst einmal Geld in die Kassen gespült worden sei. Mit Blick auf die Beschäftigten auch in Arnsberg oder Dortmund „erwarte ich keine Verwerfungen.“