Hagen. . Der Automobilgigant VW hat dem Hagener Zulieferer die Großaufträge gekündigt. Eine gütliche Einigung vor Gericht lehnte der Konzern ab.
Es war eine Demonstration der Macht des weltgrößten Automobilkonzerns gegenüber einem abhängigen Automobilzulieferer. Der Volkswagenkonzern hat nach über 20 Jahren Zusammenarbeit dem Hagener Unternehmen TWB Presswerk die Verträge zum 31. März 2019 gekündigt – und damit den Zulieferer und seine rund 480 Beschäftigten in eine existenzbedrohende Lage versetzt.
TWB will sich diesem Schicksal nicht ergeben und hat gestern versucht, vor der 8. Kammer für Handelssachen am Landgericht Dortmund die Kündigung per einstweiliger Verfügung anzufechten. Rund 50 Beschäftigte des Hagener Unternehmens erlebten dabei, wie der Vorsitzende Richter Dr. Gerhard Klumpe über Stunden versuchte, Brücken zu bauen und ein Ergebnis zu erzielen, mit dem beide Seiten hätten leben können. Vergebens, denn VW überlebt so oder so.
Auslöser: Lieferstopp 2016
Dass Risiko, in einem Prozess am Ende noch bis 2024 Produkte des in Ungnade gefallenen Zulieferers abnehmen zu müssen, schreckte die Vertreter des Automobilgiganten kein bisschen. Sie werfen dem Hagener Unternehmen vor, kein zuverlässiger Partner mehr zu sein. Das Manko von TWB scheint aber keineswegs Qualität und Pünktlichkeit der Lieferungen zu sein, sondern vielmehr, zur verhassten Preventgruppe zu gehören.
2016 hatten die zwei sächsischen Preventtöchter Cartrim und ES Automobilguss nach einem Streit um offene Rechnungen mit einem Lieferstopp so viel Druck ausgeübt, dass die Produktion bei VW ins Stocken geriet und der Konzern schließlich einlenkte, aber nichts vergaß.
70 Prozent Produktion allein für VW
Das TWB-Presswerk in Hagen beschäftigt aktuell rund 480 Mitarbeiter.
Der Volkswagenkonzern mit seinen Marken VW, Audi, Seat und Skoda bekommt aus Hagen die Rücksitzlehnen für insgesamt über ein Dutzend Modelle. Die Produktion im Zusammenhang mit dem von VW jetzt außerordentlich gekündigten Vertrages liegt derzeit bei zwei Millionen Stück pro Jahr.
Vom Gesamtumsatz von TWB in Höhe von rund 100 Millionen Euro (geschätzt) dürfte das VW-Geschäft bei etwa 70 Prozent liegen.
Welch’ eine Anmaßung eines kleinen, aber eben nicht so einfach austauschbaren Zulieferers. „Damals wedelte der Schwanz mit dem Hund“, erinnerte Richter Klumpe gestern. Ein Vorgehen mit Folgen und der nun sichtbaren Kettenreaktion bis nach Hagen. Die VW AG hat bereits zahlreiche Verträge mit Preventtöchtern gekündigt und untermauerte gestern im Prozess, dass man sich komplett von Prevent trennen werde.
In der Verhandlung vor dem Landgericht wurde deutlich, dass VW letztlich kein Interesse an einem Vergleich hatte. „TWB hat sich genauso verhalten wie die Preventtöchter in Sachsen“, erklärte der VW-Rechtsbeistand. Hintergrund dieser These ist, dass die Hagener seit Aufkündigung der Verträge pro ausgelieferter Rückenlehne 8,26 Euro mehr von VW verlangen. Quasi als Kompensation für das durch die Kündigung entgangene Geschäft. Wenn man weiß, dass es bei Preisverhandlungen zwischen Herstellern und Zulieferern oft bis aus Blut um jede Stelle hinter dem Komma geht, sind über acht Euro natürlich eine Provokation – aber kein Lieferstopp.
Richter spricht von Sippenhaft
„TWB sieht sich in Sippenhaft genommen, wodurch Hunderte Arbeitsplätze gefährdet wären“, stellte Richter Klumpe fest. Das Hagener Unternehmen gehört seit 2009 zur Gruppe, hat aber mit VW Lieferbeziehungen seit 1996. Viele der Mitarbeiter, die gestern die Verhandlung verfolgten, sind seitdem bereits im Betrieb. „Wir finden es nicht fair, dass wir unter eine konzernpolitischen Entscheidung zu leiden haben“, empört sich Gültekin Copuroglu, Mitglied im TWB-Betriebsrat. Die Beschäftigten erwarten, „dass VW uns eine Chance gibt. Wir haben nichts zu dieser Situation beigtragen“, sagt Orhan Aksu, Betriebsratsvorsitzender.
Die erhoffte Chance wird TWB vom Volkswagenkonzern aber freiwillig nicht bekommen. Der Düsseldorfer TWB-Anwalt Achim Wagner bot als Kompromiss eine Variante mit Auslaufen der Verträge Ende des Jahres 2020 an. Die VW-Vertreter schlugen dagegen Ausstiegsszenarien vor, die dem Konzern den Wechsel zu einem neuen Zulieferer sogar noch leichter machen würden. Und den Neuen gibt es längst. Dem Vernehmen nach ist es ein italienischer Konkurrent von TWB, der vermutlich auch die Aufträge für die neue Elektromobilplattform (MEB) und die modifizierte MQB-Plattform (Modularer Querbaukasten), an deren Entwicklung TWB entscheidend beteiligt war, erhalten wird. Die Innovation für MQB dürfte nun vom neuen Lieferanten genutzt werden. Die Konzepte gegenüber VW offenzulegen, war seinerzeit Voraussetzung, um den Auftrag zu erhalten.
In drei Wochen wird das Gericht entscheiden, wie es im Streit weitergeht. „Die Chance, preisgünstig aus den Schlagzeilen zu kommen“, wie es das Gericht dem Konzern nahe legte, nutzte VW nicht. Möglicherweise, weil es nicht um Geld, sondern ums Prinzip geht.