Werdohl/Hagen. . Ende März geht der letzte Block im Kraftwerk Elverlingsen vom Netz. Damit endet nach 100 Jahren die Stromproduktion aus Kohle in Südwestfalen.
Die Bundesstraße 236 geht, gemeinsam mit der Lenne, in eine 180-Grad-Kurve. Nach dem Scheitelpunkt wird plötzlich der Blick frei auf das Kraftwerk – mit seinem 282 Meter hohen Schornstein und dem dicken Kühlturm eine Landmarke.
Das Kraftwerk Elverlingsen in Zahlen
Im Werdohler Stadtteil Elverlingsen produziert die Enervie-Tochter Mark-E Strom. Aus Steinkohle. Seit 1912. Damit ist jetzt Schluss: Am 31. März geht der letzte Kraftwerksblock vom Netz. Das Ende einer Ära. Nicht ganz freiwillig.
Warum gibt die Enervie-Tochter Mark-E das Kraftwerk auf?
Das Geschäft mit der Stromproduktion aus Steinkohle lohnt sich nicht mehr. Oder wie es Erik Höhne, Enervie-Vorstandssprecher, formuliert: „Wesentlicher Grund ist die fehlende wirtschaftliche Perspektive der Anlage“ in Zeiten, in denen erneuerbare Energien (Sonne, Wind, Biomasse) auf den Markt drängen und der Strommarkt komplizierter geworden ist.
Das Kraftwerk Werdohl-Elverlingsen - Damals und heute
Zumal der Kraftwerksblock saniert werden müsste: Auf rund 20 Millionen Euro beziffert Mark-E die notwendigen Investitionen. Vor rund drei Jahren hatte die Enervie-Gruppe daher beschlossen, sich aus der konventionellen Stromerzeugung zurückzuziehen. Der Ausstieg war Teil einer De-Investitionsliste, einem schrittweisen Rückbau der Erzeugungssparte des Energieversorgers. Gezwungenermaßen.
Was war der Auslöser?
Die Enervie-Gruppe war in arge Schwierigkeiten geraten, stand finanziell schwer angeschlagen da.
Vom kommunalen E-Werk zur Enervie-Gruppe
Der Kraftwerksbetreiber Mark-E geht auf den Zusammenschluss der Elektromark (Kommunales Elektrizitätswerk Mark) und der Stadtwerke Hagen 2002 zurück; der Name ist eine Anlehnung an die frühere Grafschaft Mark.
Der Kraftwerksbetreiber Mark-E geht auf den Zusammenschluss der Elektromark (Kommunales Elektrizitätswerk Mark) und der Stadtwerke Hagen 2002 zurück; der Name ist eine Anlehnung an die frühere Grafschaft Mark.
2007 schlossen sich Mark-E und die Stadtwerke Lüdenscheid zur Enervie-Gruppe zusammen. Die drei größten Aktionäre sind Hagen (42,66 %), Lüdenscheid (24,12 %) und das Recyclingunternehmen Remondis (19,6 %) in Lünen. 14,16 Prozent teilen sich auf mehrere Kommunen auf, darunter Herdecke und Altena.
Enervie betreibt künftig noch ein Gasturbinenkraftwerk in Herdecke (zusammen mit Statkraft/ Norwegen), das Pumpspeicherwerk in Finnentrop, eine Biomasseverstromungsanlage in Hagen, die Klärschlammverbrennungsanlage in Werdohl sowie Laufwasserkraftwerke an der Lenne und eine Windkraftanlage an der Versetalsperre in Lüdenscheid.
Mark-E beliefert 1200 Industrie- sowie 300 000 Privat- und Geschäftskunden mit Strom.
Mit der Liberalisierung des Strommarkts war das Gebietsmonopol verloren gegangen; Erzeugung und Vertrieb mussten getrennt werden. Dazu das politische Hin-und-her in der Energiepolitik – erst der Atomausstieg unter Rot-Grün (2002), dann die Laufzeitverlängerung durch die nachfolgende Merkel-Regierung (2010) und nach der Atomkatastrophe von Fukushima (2011) deren Rücknahme – hatte den Stromerzeugermarkt durcheinandergebracht, mit Folgen bis hin zu Energieriesen wie Eon und RWE.
Weil es keine Anbindung an das überregionale Stromnetz gab, musste Mark-E ihre Kraftwerke zunächst weiter vorhalten, obwohl der Betrieb nach Angaben des Unternehmens ein Verlustgeschäft war. Eine Art Zwangsbetrieb also. Ende April 2014 dufte Mark-E den kleineren Nachbarblock E 3 in Werdohl-Elverlingsen vom Netz nehmen; am 31. März folgt jetzt Block E 4 mit 315 Megawatt.
Droht der Region jetzt womöglich ein Blackout?
Inzwischen ist das Enervie-Netz durch eine Kupplung am Cuno-Kraftwerk in Herdecke an das überregionale Stromnetz angeschlossen; eine Versorgungslücke gilt damit als geschlossen.
Was passiert mit den Beschäftigten am Standort Werdohl?
Anfang der 1980er-Jahre waren rund 300 Mitarbeiter dort beschäftigt. Durch die zunehmende Automatisierung und später die Digitalisierung seien über die Jahrzehnte „sukzessive Stellen abgebaut worden“, sagt das Unternehmen. Stand jetzt seien rund 55 Mitarbeiter dem Standort „zugeordnet“ – sie werden künftig auch an anderen Enervie-Anlagen, etwa dem Gasturbinen-Kraftwerk in Herdecke oder dem Pumpspeicherwerk in Finnentrop-Rönkhausen, eingesetzt. Jedenfalls seien für alle Betroffenen „einvernehmliche und sozialverträgliche Lösungen“ gefunden worden.
Rücken auf dem Kraftwerksgelände jetzt die Abrissbagger an?
Zusammen mit dem Ruhrverband betreibt Enervie auf dem Areal seit 1999 eine Wirbelschichtfeuerungsanlage, in der Klärschlamm verbrannt und Strom produziert wird. Sie ist für acht Millionen Euro modernisiert worden und hat eine Leistung von 25 MW. Was mit den Gebäuden und der Fläche des ausgedienten Kohle-Kraftwerks passiert, ist noch offen. „Mark-E prüft derzeit verschiedene Optionen“, heißt es aus dem Unternehmen. Eine Halle am Rande des Geländes stellt Mark-E zum Aufbau eines Batteriespeichers mit 17 MW Leistung bereit – es wäre eine der größten Anlagen dieser Art in Deutschland.
>>> Riesen-Speicher aus Altbatterien von E-Autos
Auf dem Kraftwerksgelände in Elverlingsen entsteht einer der größten stationären Batteriespeicher Deutschlands. Das Herzstück: ausgediente Akkus.
Strom aus einem Abfallprodukt: Auf dem Kraftwerksgelände in Werdohl-Elverlingsen entsteht einer der größten stationären Batteriespeicher Deutschlands. Dabei arbeiten die Stuttgarter Autoschmiede Daimler und The Mobility House, eine Spezialfirma für Lade- und Elektromobiltechnik aus München, zusammen; Mark-E vermarktet dafür eine Halle am Rande des Geländes.
Das Vorbild für das Vorhaben ist, keine 80 Kilometer entfernt, in Lünen bereits in Betrieb: Dort haben die beiden Kooperationspartner auf dem Gelände des Recyclingriesen Remondis 2015 begonnen, einen Batteriespeicher mit einer Leistung von 14 Megawatt aufzubauen – und damals als die größte Anlage dieser Art in Deutschland beworben. Der Werdohler Speicher soll sogar 17 MW Leistung bekommen: Das würde reichen, um eine Stadt mit rund 90 000 Einwohnern eine Stunde lang mit Strom zu versorgen.
Der Speicher gleicht dabei einem Hochregallager, das mit ausgedienten Akkus aus Elektrofahrzeugen von Daimler bestückt wird: Ist zu viel Strom auf dem Markt, werden die zur einer XXL-Batterie verbundenen Akkus geladen; steigt der Verbrauch, wird der Strom aus dem Speicher ins Netz eingespeist.