Hagen/Siegen/Arnsberg. . Nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes atmet die Region tief durch. Politik und Wirtschaft setzen auf kluge Lösungen statt auf Verbote.

Der Tenor auf den Leipziger Richterspruch in Politik und Wirtschaft in Südwestfalen ist einhellig: Diesel-Fahrverbote können nur die letzte Lösung sein, um die gesundheitlichen Belastungen durch Stickstoffdioxid in den Kommunen zu senken.

„Das Urteil zeigt, dass jetzt die Autoindustrie gefordert ist“, sagt Regierungspräsident Hans-Josef Vogel (CDU), „die Technik für eine saubere Lösung gibt es ja. Das Problem kann nicht auf die Kommunen abgewälzt werden.“

Dieselverbot in Hagen? – Das sagen Politik und Handel

Hans-Georg Panzer, Grünen-Ratsherr und Vorsitzender des Umweltausschusses

Ich begrüße das Urteil. Seit zehn Jahren doktern wir an dem Thema herum, jetzt hat die Herumeierei ein Ende. Unser Lkw-Routenkonzept können wir eigentlich in die Tonne kloppen, denn die Hauptverursacher für die Stickstoffdioxidbelastung sind die Diesel-Pkw. Wir müssen uns mit dem Thema intensiver auseinander setzen. Langfristige Maßnahmen wie ein ÖPNV-Ausbau oder Abrissszenarien greifen jetzt nicht. Vielmehr müssen wir darüber nachdenken, die Finanzamtsschlucht zu sperren oder beispielsweise nur noch Autos mit ungeraden Kennzeichen in die Stadt zu lassen. Wer das dann kontrolliert, bleibt zu klären.

Klaus Willmers, Geschäftsführer Handelsverband Westfalen

Dieselfahrverbote sind Gift für den Innenstadthandel. Ansässige Handelsunternehmen würden in ihrer Existenz bedroht. Die Kundenfrequenzen würden zudem drastisch einbrechen.

Bettina Schwegmann, Geschäftsführerin des Märkischen Arbeitgeberverbandes

Dieselfahrverbote gehen nicht nur an den alltäglichen Erfordernissen der heimischen Wirtschaft vorbei, sie bedrohen auch die Existenz vor allem unserer kleineren und mittleren Mitgliedsunternehmen, auf die Hagen ganz besonders angewiesen ist.

Michael Ellinghaus, Geschäftsführer Hagen-Agentur

Die Diskussion über mögliche Dieselfahrverbote in deutschen Großstädten ist zu einseitig. Hierbei werden in jedem Fall die Interessen des Einzelhandels, aber auch der Logistikwirtschaft nicht angemessen berücksichtigt - beide Bereiche sind von grundlegender Bedeutung für die Versorgung von Unternehmen und Menschen mit Gütern. Deshalb bedarf es intelligenter Lösungen, die über einfache Verbote hinausgehen.

Lars Martin, örtlicher Geschäftsführer des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbandes

Als Gastgeber sind unsere Unternehmen existenziell darauf angewiesen, dass Gäste sie auch erreichen können. Ein Dieselfahrverbot hätte zur Folge, dass viele Gäste schlichtweg nicht mehr die Betriebe anfahren könnten, was erhebliche existenzbedrohende Folgen für die Unternehmerinnen und Unternehmer in Gastronomie und Hotellerie hätte.

Werner König, umweltpolitischer Sprecher der SPD-Ratsfraktion

Wir sollten nicht über Fahrverbote, sondern über saubere Luft reden. Jetzt müssen die Hersteller ran und nachrüsten. Außerdem gilt es, vor allem die Maßnahmen aus dem Luftreinhalteplan konsequent umzusetzen, verkehrslenkende Maßnahmen neu zu überdenken sowie ÖPNV-Ausbau und P&R-Konzepte anzugehen.

Stephan Ramrath, CDU-Fraktionschef

„Das Urteil besagt nur, dass kommunale Fahrverbote für Dieselfahrzeuge prinzipiell möglich sind. Den Hinweis der Richter, dabei die Verhältnismäßigkeit im Blick zu behalten, kann ich nur beipflichten: Wir wollen deshalb mit einem breiten Bündel von Maßnahmen die Luftschadstoffe in Hagen reduzieren. Wir wollen pauschale Fahrverbote, welche die Erreichbarkeit der Innenstadt mindern, vermeiden.“

Peter Arnusch, umweltpolitischer Sprecher der Ratsfraktion Bürger für Hohenlimburg/Piraten

Der Schutz der menschlichen Gesundheit muss Vorrang vor allen anderen Belangen haben. Dass jedoch Otto Normalverbraucher hierfür die Zeche zahlt, während die rücksichtslosen Automobilkonzerne ungeschoren davon kommen, ist ein Skandal, den die Großkoalitionäre SPD und CDU zu verantworten haben.

Alexander Plahr, umweltpolitischer Sprecher der Hagener FDP

Jetzt rächt sich, dass sich die bisherige Strategie der Verwaltung trotz unserer Warnungen in Abwarten erschöpfte. Hagen braucht so schnell wie möglich eine Offensive für Elektromobilität. Verwaltung und städtische Töchter dürfen sich nicht darauf ausruhen, dass mögliche Fahrverbote sie anders als den Normalbürger wohl nicht treffen werden, sondern müssen erst selbst alles Machbare zur Verbesserung der Luftqualität tun, bevor der Bürger in die Pflicht genommen wird.

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Von Seiten der Bezirksregierung in Arnsberg werde alles unternommen, um gemeinsam mit den Kommunen pragmatische und individuelle Lösungen zu finden. „Das ist sinnvoller als mit Verboten zu arbeiten.“ Wichtig sei es, dass die Verhältnismäßigkeit gewahrt und mit Übergangsfristen gearbeitet werden solle.

Konzertbesuch ist ungesünder

Aus Brüssel drohen hohe Bußgelder

Die bisherige grüne Umweltzone, zu der z.B. die gesamte Hagener Innenstadt zählt, erfasst lediglich den Ausstoß von Feinstaub. Es ist jedoch inzwischen längst erwiesen, dass Stickoxide (NOx) genauso schädlich sind.

  • In vielen Großstädten, so auch in Hagen, werden die von der EU-Kommission seit 2015 vorgegebenen Luftreinhaltungsrichtwerte von durchschnittlich 40 Mikrogramm Stickstoffdioxid/m³ im Jahr schon lange überschritten – im Jahr 2017 zuletzt um 20 Prozent. Hier drohen aus Brüssel hohe Buß­gelder.

  • Vor diesem Hintergrund eröffnet der Gesetzgeber den Städten die Möglichkeit, in besonders belasteten Bereichen wie der ­Finanzamtsschlucht blaue Umweltzonen einzuführen. In diese dürfen dann nur Fahrzeuge mit blauer Plakette einfahren.

  • Alle Diesel-Pkw unterhalb der Euro-6-Norm dürfen in blaue Umweltzonen nicht mehr einfahren. Außerdem erhalten alle ­Benziner, die bereits jetzt die grüne Plakette haben, auch eine blaue Plakette. Selbstverständlich auch alle Elektro- und ­Hybridfahrzeuge.

  • Hagen ist die Stadt in der Region, die als nächste Kommune ins Visier der Deutschen Umwelthilfe geraten ist und mit einer Klage wegen Überschreitung des Grenzwertes für Stickstoffdioxid rechnen muss. Hagens Oberbürgermeister Erik O. Schulz will Fahrverbote nicht ausschließen, sie müssten jedoch die Ultima Ratio sein. In Siegen ist die Lage vergleichbar. „Wir wollen die hohen Werte mit anderen verkehrslenkenden Maßnahmen senken“, sagt Stadtbaurat Henrik Schumann. Ein erstes Pilotprojekt sei jetzt mit einer dreimonatigen Testphase gestartet worden, um den Verkehr über unattraktive Ampelschaltungen aus der Innenstadt zu halten. „Wenn es sich bewährt, werden wir es dauerhaft einrichten.“

    Die Industrie- und Handelskammer (IHK) Siegen sieht das Urteil des Bundesverwaltungsgerichtes mit Sorge. „Wir sind mit Macht dabei, eine führende deutsche Motorentechnologie zu verteufeln“, sagt Präsident Felix G. Hensel. Man solle sich vor Augen führen, dass der Grenzwert im Verkehr 40 Mikrogramm Stickstoffdioxid pro Kubikmeter Luft betrage, „während in Versammlungsstätten 60 und an Industriearbeitsplätzen sogar 950 Mikrogramm erlaubt sind“. Nach dieser Logik sei es also deutlich schädlicher, einem Konzert beizuwohnen, als sich irgendwo auf der Koblenzer Straße in Siegen aufzuhalten.“ IHK-Hauptgeschäftsführer Klaus Gräbener sieht die Verantwortung bei den Kommunalpolitikern. „Sie sind gefordert, die bestehenden Gestaltungsspielräume rasch und mit Augenmaß auszuloten.“ 87 Prozent der ansässigen Unternehmen lehnten ein Verbot von Dieselautos in den Innenstädten ab.

    Was halten Sie von Diesel-Verboten?

    Lothar Czerwinski, 63, Maschinenschlosser

    "Ich finde ein Verbot völlig richtig, obwohl  ich selbst  Diesel fahre. Ich habe, glaube ich, einen Diesel 4 und ein Fahrverbot würde mich genauso treffen. Aber ich bin nicht so sehr auf einen Wagen angewiesen und finde, wenn man durch ein Fahrverbot die Luft besser machen kann, ist das doch völlig in Ordnung."

    Katharina Tugliese, 34, Diplom-Kauffrau

    "Mir ist ein Fahrverbot für Diesel ziemlich egal. Es würde mich zwar auch betreffen und das ärgert mich auch, aber ich glaube, dass die Lobbyisten unter sich sowieso das ausmachen, was sie wollen. Da haben die Menschen, die ein Fahrverbot betrifft, doch sowieso nichts zu sagen. Das kann man vergessen."

    Peter Franz Bäuml, 55, Diplom-Psychologe

    "Ich habe gerade einen Diesel verkauft, das Thema  berührt mich im Moment kaum.  Aber grundsätzlich gibt es ja ein Rumgeschiebe der Tatsachen, ich traue der Autolobby nicht. Im übrigen komm’ ich aus einer Familie, in der keiner ein Auto hat, ich war immer der einzige."

    Margret Kucklick, Reiseverkehrskauffrau

    "Ich fahre keinen Diesel, aber mein Mann fährt einen. Mich betrifft ein mögliches Fahrverbot mit meinem Wagen daher nicht. Aber ich finde das ganze Thema richtig schwierig, auch, was die merkwürdige Rolle der Autohersteller in Deutschland betrifft."

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    Gleichlautend die Argumente der Südwestfälischen Industrie- und Handelskammer (SIHK) zu Hagen. Hauptgeschäftsführer Dr. Ralf Geruschkat: „Jetzt sind intelligente Lösungen gefordert statt simpler Sperrungen.“

    Der SIHK-Regionalausschuss hat sich mit dem Einzelhandelsverband Südwestfalen, dem Märkischen Arbeitgeberverband, der Handwerkskammer Dortmund, der Kreishandwerkerschaft Hagen und dem Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) Westfalen in einem Papier gegen „eine weitere Verschärfung der Fahrverbote zur Verbesserung der Luftqualität in Hagen ausgesprochen.