Werl. . Die Gefängnisseelsorger in der Justizvollzugsanstalt Werl sind die Zuhörer vom Dienst. Die Schweigepflicht ist die Grundlage der Arbeit.

Als seine Kinder noch klein waren und wissen wollten, was der Papa auf der Arbeit macht, hat Theo Halekotte gerne gesagt: „Ich bin Zuhörer von Beruf.“ Der Westfale ist katholischer Gefängnisseelsorger in der Justizvollzugsanstalt (JVA) Werl. Oder besser: Seel-Sorger, wie das fünfköpfige katholische und evangelische Team findet.

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Diplom-Theologe Halekotte führt den Gast vom JVA-Eingang über lange Flure und Außenwege zu der Kapelle „St. Peter in Ketten“ auf dem Gelände der Haftanstalt. Das 1908 fertig gestellte Gotteshaus gilt als eine der schönsten Gefängniskirchen im Land. Neben der Eingangstür hängt ein Kreuz. Ganz bewusst, jeder soll sehen: „Dies ist der einzige andere Ort im Knast, ein anderer Machtbereich sozusagen“, erklärt Dr. Rolf Stieber, evangelischer Pfarrer.

Bevor das Seelsorge-Team (es fehlt an diesem Tag der katholische Pfarrer Ryszard Krolikowski) am Tisch in der Sakristei Platz nimmt, zündet Theo Halekotte eine Kerze an. Der ökumenische Gottesdienst nebenan am Heiligen Abend wird wieder gut besucht sein. „Die Weihnachtsgottesdienste sind immer ­besonders andächtig“, sagt der zweite evangelische Pfarrer im Team, Adrian Tillmanns. Das Fest der Liebe hinter Gittern? „Tja“, blickt Tillmanns ein wenig ratlos. „Das Strafvollzugsgesetz verhindert, dass Angehörige den Inhaftierten Freundlichkeiten zukommen lassen können.“ Keine Pakete, kein Geld für einen Einkauf im JVA-Laden mehr. „Höchstens eine Karte. Das Gesetz hat etwas weggenommen.“

Gerade für „frische“ Häftlinge ist die Weihnachtszeit hart. „Nicht wenige stürzen ab“, so Tillmanns. Aber: „Die Zahl derer, die schon vor der Inhaftierung mit Weihnachten nichts am Hut hatten, nimmt zu“, sagt Rolf Stieber. Eher bedaure man, Silvester nicht in Freiheit zu sein. „Da wissen alle, was sie machen wollen.“

Verändertes Weltbild

Eine JVA, in der Schwerverbrecher untergebracht sind, ist kein Ort, in dem das Diakonie-Leitbild „Man muss Menschen mögen“ sofort umgesetzt werden kann. Alexander Glinka, Master of Education (vergleichbar dem 1. Staatsexamen), ist bis Herbst 2018 als „Trainee“ in der Gefängnisseelsorge dabei. Natürlich ist er nach Werl mit Vorurteilen und der Frage „Wie begegne ich Mördern?“ gekommen. Sein Weltbild habe sich schnell verändert: „Es ist wie im Gleichnis vom verlorenen Sohn: Gott verzeiht jedem Menschen.“

Rolf Stieber bemerkt immer wieder die Tendenz, Inhaftierte auf eine Tat zu reduzieren - die freilich ein Menschenleben gekostet haben kann. Straftaten passierten oft nur in Sekunden oder Minuten eines Lebens. „Ein Mensch ist aber nicht nur das, war er in dieser kurzen Zeit gemacht hat.“ Gefängnisseelsorger können Mörder oder Vergewaltiger nicht Verantwortung abnehmen, aber zumindest eine offene Tür bieten, eine Perspektive geben. Theo Halekotte: „Viele Strafgefangene können sich selbst keine gute Zukunft vorstellen. Wir sind für sie da, um zusammen mit ihnen einen Ansatz zu finden.“

60 bis 70 Prozent seiner Arbeitszeit, erzählt Adrian Tillmanns, geht für Gespräche mit Inhaftierten, Bediensteten und Angehörigen („für diese Gruppe interessiert sich leider kein Mensch“) drauf. Häufig dauert es, bis Strafgefangene ins Reden kommen. Stieber: „Auf einmal ist es, als wenn der Stöpsel aus der Badewanne gezogen wird. Es sprudelt nur so aus ihnen raus.“

Kein missionarischer Eifer

Aber wie erreicht man Menschen, für die Vertrauen zum Fremdwort geworden ist? „Die Grundlage unserer Arbeit ist die Schweigepflicht“, sagt Stieber. „Wenn die Männer merken, dass wir diese Pflicht einhalten, wachsen wir in deren Ansehen.“

Der Pfarrer zitiert zwar augenzwinkernd die Blues Brothers - „wir sind im Auftrag des Herrn unterwegs“. Aber: Es ist kein missionarischer Eifer, mit dem die Seelsorger ihren Gesprächspartnern gegenübertreten. Das heißt nicht, dass lebenslänglich Verurteilte nicht auch den Glauben entdecken können. Haft sei eine existenzielle Situation, so Tillmanns. Jeden Morgen wache man auf und schaue auf Gitter. „Irgendwann kann es sein, dass man bei der Frage nach dem Sinn des Lebens über den Glauben nachdenkt und in der Religion Halt findet.“

Kein Gefängnisseelsorger, erzählen die Werler Teamplayer unisono, ist zufällig in diesem Job. Kein Verwaltungskram wie bei einem Gemeindepfarrer, „Seel-Sorge“ pur. Tillmanns: „Ich kann hier wunderbar ehrlich und authentisch sein.“