Winterberg. . Seit 74 Jahren flimmern im Winterberger Filmtheater Bilder auf den Leinwänden der zwei Kinosäle. Das Kino ist eines der letzten seiner Art.
Die antiken Lampen sorgen für ein angenehmes Lichtspiel an den holzvertäfelten Wänden. „Das ist doch was, oder?“ fragt Annette Wahle und zeigt auf den riesigen Vorhang, der die Leinwand im Saal 2 verdeckt. „Ein Vorhang wie im Theater.“ Nicht umsonst heißt das Kino in Winterberg seit 74 Jahren Filmtheater. „Den Namen finden wir schön. Er passt zu unserem Haus“, sagt Joachim Wahle (58). Es geht persönlich zu in der Nuhnestraße, anders als in den großen Multiplex-Einheitskinos in den Städten. „Die Gäste sind bei uns keine Nummern“, sagt Annette Wahle (54). Mit Individualität und Herzblut trotzt der kleine Familienbetrieb im Hochsauerland den großen Kino-Ketten.
Besucherzahlen gestiegen
Der Filmförderungsanstalt (FFA) zufolge gab es am 30. Juni 2017 exakt 4671 Kinosäle in Deutschland. Das waren 68 mehr als 2016 und damit so viele wie seit 2009 nicht mehr. Die Zahl der Kinos stieg innerhalb eines Jahres von 1640 auf 1662.
In den ersten sechs Monaten 2017 stieg die Zahl der Besucher deutlich an: Mit 60,2 Millionen Tickets sahen im ersten Halbjahr 2,8 Millionen mehr Besucher gegenüber dem Vorjahreszeitraum (plus 4,9 Prozent) einen Film in einem deutschen Kino.
Die Holzvertäfelung und die Lampen im Saal 2 (85 Plätze) sollen „das Alte“ widerspiegeln, wie es die Wahles ausdrücken. Relikte aus den guten alten Zeiten der Lichtspielhäuser. Doch eine wohlige Atmosphäre reicht heute nicht mehr aus: „Die Technik muss auch stimmen“, sagt Joachim Wahle und geht die Treppen hinauf zum Vorführraum. Der Winterberger tippt auf den Projektor aus dem Jahr 1942 mit der „Sicherheitsvorschrift“ auf einem kleinen Aufkleber: „Erst 10 Minuten nach Abschalten der Lampe öffnen. Zuvor Gesichts-, Hals- und Handschutz anlegen.“
Werkzeuge an den Nagel gehängt
Klemmte irgendetwas beim Abspulen eines Films, holte Joachim Wahle Zange und Schraubenzieher hervor. Heute wird ein auswärtiger technischer Support angerufen, der sich auf den Rechner schalten kann. Also wurden die Werkzeuge an den Nagel gehängt, davon zeugt die Wandleiste neben dem Sichtfenster zum Kinosaal. Auch wenn der 75 Jahre alte Projektor noch „wie eine Eins läuft“, hat er bereits vor Jahren seinen Dienst quittiert. Das Filmtheater Winterberg war das erste Kino im Sauerland, das von analoge auf digitale Technik umstellte. Und es war das fünfte Lichtspielhaus im Bundesgebiet, dass die moderne Dolby-Atmos-Klangtechnik und D-Box-Sitze einführte.
„Wir versuchen immer, auf dem neuesten Stand zu sein“, sagt Joachim Wahle. Seine Ehefrau erinnert an die enormen Investitionen, die in den vergangenen Jahren zur Herausforderung wurden und ohne die Förderung durch die Film- und Medienstiftung NRW nicht zu stemmen gewesen wären. Zwecks Demonstration lassen die Wahles den Besuch auf einem der sechs D-Box-Sitze in Saal 1 (122 Sessel) Platz nehmen und spielen einen Trailer ab. Während der Polarexpress auf der Leinwand über kurvige und abschüssige Strecken rast, wippt der Sitz sozusagen im Fahrtwind. Ein hautnahes Erleben.
„Kino bietet ein anderes Erlebnis als das Fernsehen“, nennt Wahle einen der Gründe, warum es die Menschen trotz der Film-Konkurrenz durch TV- und Internetangebote immer noch in die Lichtspielhäuser zieht. „Und dann ist da das Gemeinschaftserlebnis.“ Nicht nur bei besonderen Angeboten wie Opernübertragungen oder Lady-Abenden, sondern z.B. auch bei Familie Wahles Lieblingsfilm „Das Wunder von Bern“. Ein Großvater sei mit Tränen in den Augen aus dem Saal gekommen. Sein Enkel habe ihn groß angeschaut: „Was ist denn mit Opa los?“
Verleiher mit strikten Vorgaben
Der Betrieb eines Kinos ist kein Selbstläufer. Viele kleine Häuser klagen über die strikten Vorgaben seitens der Verleiher. Bei der Filmauswahl würden alle Standorte über einen Kamm geschoren, heißt es in der Branche, dabei kennen die örtlichen Betreiber den Geschmack ihrer Kundschaft besser. In Winterberg sind es viele Stammgäste jeder Altersstruktur, die sich für die unterschiedlichsten Film-Genres interessieren. „Nicht zu vergessen die Touristen“, sagt Annette Wahle, „sie sind das Tüpfelchen auf dem I.“ Die sich bisweilen über die Preise wundern. Die Standardkarte kostet acht Euro, oft die Hälfte von dem, was in Großstädten bezahlt werden muss. Kostenlos ist in Winterberg die familiäre Atmosphäre. Annette Wahle: „Viele sind froh, dass es uns noch gibt.“
Geschichte in zwei Sälen
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Seit einem halben Jahr bietet das Filmtheater auch einen Online-Kartenverkauf an. An der Kasse im Foyer können sich Besucher ihren Sitzplatz am Bildschirm aussuchen. Das alte, nicht mehr in Betrieb befindliche Kassenhäuschen steht nach wie vor neben der Treppe zum Vorführraum. Darüber eine Holztafel aus den 50er Jahren mit Preisangaben: 1. Platz 3,50 DM, 2. Platz 3. DM; daneben die Wahles auf Bildern mit Filmgrößen wie Senta Berger, Til Schweiger und Daniel Brühl. Wird es auch in 50 Jahren noch Kinos geben? „Ja“, sagt Joachim Wahle, „wir haben auch die Video-Zeit überlebt.“ Und in einem halben Jahrhundert würden die Menschen weiterhin den Wunsch haben, abends die eigenen vier Wände zu verlassen und auszugehen: „Jeder kann zu Hause kochen, und doch nutzt man gerne das große Restaurantangebot.“
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