Hagen. . Das Publikum kennt das Theater nur von der glanzvollen Seite. Doch hinter den Kulissen beherrscht nüchterne Technik die Szenerie.
Heiß ist es im tiefen Bauch des Theaters Hagen. Der Geruch von Schmieröl und Schweiß durchdringt die Luft. Gleich kommt bestimmt das Phantom der Oper um die Ecke. Nein, es handelt sich um Uwe Mingo. Das ist der Mann, der die größten Stars in der Versenkung verschwinden lassen kann.
Als Technischer Direktor ist der 60-Jährige dafür zuständig, dass ganze Landschaften binnen kürzester Zeit auf der Bühne erscheinen. „Es geht nicht, aber wir machen es doch“, so lautet sein Wahlspruch. Mingos Beruf grenzt an Zauberei, denn er macht Verwandlungen möglich.
Beim „Fliegenden Holländer“ flutet Mingo mit seinem Team die Szene mit 24 000 Litern Wasser. „Die Kollegen von anderen Häusern fragen: Wie habt ihr diese Menge Wasser auf die Bühne gebracht? Das rückt uns ins Schaufenster, dass wir mit einfachen Mitteln grandiose Wirkung erzielen“, schildert er und ergänzt: „Wir werden von Bildern geleitet.“
Antrieb für den Eisernen Vorhang
Beim Technischen Leiter laufen die losen Enden jeder Produktion zusammen. Denn so hochfliegend die Ideen von Regisseur und Bühnenbildner auch daher kommen mögen, am Ende müssen sie realisierbar sein. „Kann ich das umsetzen mit der verfügbaren Anzahl der Personen? Wie ist die Wiederverwendbarkeit? Muss ich damit auf Abstecher? Das sind die Fragen, die wir beachten müssen.“
Auf- und Abgänge von der Unterbühne aus
Die Sprüche „In der Versenkung verschwinden“ oder „aus der Versenkung holen“ kommen aus der Bühnentechnik. Seit dem barocken Zauberspiel sind Versenkungen als Teil der Bühnenmaschinerie üblich.
Damit ist eine Öffnung im Bühnenboden genannt, die unkonventionelle Auftritte und Abgänge von der Unterbühne aus oder das Erscheinen- und Verschwindenlassen von Requisiten ermöglicht. Da Versenkungen ein Sicherheitsrisiko für die Darsteller und Techniker bilden, gelten heute strenge Vorschriften. Im englischen nennt man die Versenkung Star Trap.
Das Theater Hagen wurde 1911 eingeweiht, und unten in seinem Bauch merkt man das. In die Technik ist nicht viel investiert worden in den vergangenen Jahrzehnten.
In der Unterbühne befinden sich der Antrieb für die Drehscheibe, der Antrieb für den Eisernen Vorhang, das Schallhubtor der Seitenbühne, die Feuerlöscheinrichtung und die Antriebsebene der Personenbewegung.
Auf der Zwischenebene lagert die Drehscheibe auf rund 60 Rollen. „Die werden nach und nach ausgetauscht, weil sie seit dem Einbau noch nie gewechselt wurden“, schildert Mingo. Hier sind die Einstiegsebene für die Versenkung und eine Treppe als zweite Bühnenöffnung, in der beim Musical „In den Heights“ die Sänger abtauchen.
Viel Handarbeit ist hinter den Kulissen gefragt
Bis auf Drehscheibe und Versenkung hat Hagen keine technischen Hilfsmittel für die Verwandlung. Nur ein Teil der Züge ist elektrifiziert, es muss noch viel per Hand gemacht werden. Acht Mann hat Mingo zur Verfügung. „Wenn ich für eine Verwandlung vier auf der Bühne brauche, habe ich nicht mehr viel Kapazitäten für die Verbringung. Dafür sind technische Hilfsmittel unabdingbar.“
Und er ergänzt: „Ich habe ein gutes Team, das sich sehr identifiziert. An anderen Häusern würde man mehr Personal brauchen, weil der Identifikationsfaktor nicht so hoch ist.“ Mingos Mannschaft repariert zum Beispiel in Eigenleistung auch die marode Bestuhlung im Saal. „Das Theater soll neue Einnahmen generieren bei kaputten Sesseln“, bringt er die Widersprüche der Sparpolitik auf den Punkt.
Fliegender Holländer im Theater Hagen
„Die Problemstellungen sind alle gleich“, analysiert der Experte, der jetzt in der dritten Spielzeit am Theater Hagen ist. In allen 16 Bundesländern hat er bereits gearbeitet. „Viele Theater sind marode in der Substanz, die hat man gebaut und es dann laufen lassen.“ Wenn Uwe Mingo sich etwas wünschen dürfte, ständen ein Seitenbühnenwagen und eine Zylinderdrehbühne an erster Stelle. „Innerhalb der hätte ich Podien, die ich hoch und seitwärts fahren könnte.“
Sicherheit hat Vorrang
Die Bühne ist ein gefährlicher Arbeitsplatz. In 15 Metern Höhe hängt die Dekoration über den Köpfen der Sänger, Tänzer und Techniker. „Wir arbeiten ständig unter schwebenden Lasten.“ Um Unfälle zu vermeiden, muss man gut aufpassen. Mit Kameras haben Mingos Leute jede Aktion im Blick. „Wir sind schon sehr wachsam. Da wird lieber eine Kamera mehr gekauft, um Bewegungsvorgänge zu beobachten.“ Toi toi toi ist in Mingos mehr als 35-jähriger Laufbahn noch nie etwas passiert.
Wenn Kunst und Technik wunderbar ineinandergreifen, ist der Technische Direktor glücklich. Das macht aus dem Job eine Berufung. Mingo ist über Ausbildungen zum Bühnenmeister und zum Beleuchtungsmeister in seine Position gekommen.
Vom neuen Studiengang „Bachelor für Veranstaltungstechnik“ hält er nicht viel. „Ein Technischer Direktor hat mit vielen unterschiedlichen Dingen zu tun, Bautechnik, Kosten, Dekoration und nicht zu vergessen Menschen, das lernt man nicht auf der Schulbank.“
Das Unmögliche möglich zu machen, gehört zum Alltag von Uwe Mingo. Aber: „Man kann nicht jeden Tag das Rad neu erfinden. Es gibt viele Baustellen, und ich muss alle im Blick behalten.“ Der Bauch der Bühne wirkt wie das, was er ist: ein Maschinenraum. Doch das nüchterne Ambiente setzt Abend für Abend die ganze Wundertüte Stadttheater in Gang. Mingo: „Dahinter steckt eine Magie, und das macht es aus: Die unmittelbare Erlebbarkeit von Geschichten. Es ist ein tolles Haus.“