Arnsberg/Winterberg. Im Fall um die zehnfache Mutter und eines Kindes, das an Mangelernährung gestorben ist, hat der Verteidiger ein neues Gutachten gefordert.
Ein sogenanntes Befangenheitsgesuch gegen den psychiatrischen Gutachter hat Verteidiger Stefan Lucas gestern am 8. Verhandlungstag vor dem Arnsberger Schwurgericht gestellt. Angeklagt ist dort nach wie vor eine zehnfache Mutter aus dem Raum Winterberg. Die 40-Jährige soll zwei ihrer Kinder nicht ausreichend mit Nahrung und Flüssigkeit versorgt haben. Der zweijährige Junge starb im Februar 2014; seine Schwester überlebte. Das Gericht muss nun über das Gesuch beraten und entscheiden.
Strafrahmenverschiebung
Nach vielen langen Prozesstagen mit zahlreichen Zeugen und Gutachtern geht es dem Pflichtverteidiger aus München vermutlich auch um eine mögliche Strafrahmenverschiebung. Käme die Kammer unter Vorsitz von Richterin Dorina Henkel zu einem Urteil wegen Körperverletzung mit Todesfolge, stünde eine Freiheitsstrafe von nicht unter drei Jahren im Raum. Es sei denn, es gäbe strafmildernde Umstände, so dass nur noch ein „mittelschwerer“ Fall vorläge. Und in diesem Punkt hatte der Verteidiger große Erwartungen in das Gutachten gesetzt. „Ich hätte mir gewünscht, dass wir dadurch näher an meine Mandantin herangekommen wären, dass wir verstehen könnten, wie sie tickt.“
Schwere Vorwürfe
Doch all das sei nicht passiert, erhebt Lucas schwere inhaltliche und handwerkliche Vorwürfe gegen die psychiatrische Expertise bzw. den Verfasser: „Ich habe den Eindruck, dass ihm meine Mandantin Wurscht ist.“ Der Gutachter war zu dem Schluss gekommen, dass die Frau in ihrer Einsichts- und Steuerungsfähigkeit nicht beeinträchtigt gewesen und insofern schuldfähig sei. Auch eine posttraumatische Belastungsstörung hatte der Psychiater ausgeschlossen. Die Frau wirft ihrem Ex einen sexuellen Übergriff vor, soll aber danach noch einmal einvernehmlichen Geschlechtsverkehr mit ihm gehabt haben – für den Gutachter ein eindeutiges Indiz, das gegen eine solche Belastungsstörung spreche.
Posttraumatische Belastungsstörung
Dieser Punkt sei nicht hinreichend geklärt worden, sagte Lucas. Unter dem Eindruck, ein Kind verloren zu haben, könne die Frau auch unter schweren Schuldgefühlen gelitten haben. Der Begriff der „Freiwilligkeit“ sei dehnbar. Außerdem könne er nicht verstehen, warum die Staatsanwaltschaft nicht auch gegen den Vater der Kinder vorgehe. Der habe immerhin Weihnachten 2013 den Jungen auf den Arm gehabt und gedacht „der zerbricht mir“.
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Das Gesuch Lucas’, den Gutachter durch einen anderen zu ersetzen und eine neue Untersuchung seiner Mandantin in Auftrag zu geben, lehnte Staatsanwalt Klaus Neulken ab: „Ich habe keinen Zweifel daran, dass das Gutachten Hand und Fuß hat und sehe auch die Unparteilichkeit nicht verletzt.“
Steuerungsfähigkeit nicht eingeschränkt
Verteidiger Oliver Brock, der den Ex-Lebensgefährten der Frau als Nebenkläger vertritt, hält ebenfalls eine weitere Expertise für unnötig. Der Gutachter habe eindeutig erklärt, dass die Frau selbst bei Annahme einer posttraumatischen Störung in ihrer Steuerungsfähigkeit nicht eingeschränkt gewesen sei. Zu dem Vorwurf gegenüber seinem Mandanten meinte er: Der Vater habe seinerzeit auf den Zustand des Kindes hingewiesen, sei aber mit der Aussage beruhigt worden, dass die nächste U-Untersuchung unmittelbar anstehe. Spätestens ab diesem 24. Dezember habe der Frau aber klar sein müssen, dass mit dem Jungen etwas nicht stimme.
Der Gutachter hat nun die Möglichkeit, sich auf das Gesuch zu äußern. Das Gericht muss dann über den Antrag entscheiden. Nächster Verhandlungstermin ist der 20. Dezember.
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