Hagen-Mitte. . Die schnellste Lösung der Hagener Luftproblematik, so sagt ein Gutachter, ist durch die Einführung einer blauen Umweltzone zu erzielen
- Schnellsten und preisgünstigste Effekte durch die Einführung einer „Blauen Umweltzone“ in diesem Abschnitt zu erzielen
- Der Märkische Ring zwischen Emilienplatz und Marktbrücke gehört zu den am höchsten belasteten Straßenabschnitten in Hagen
- Sowohl der Abriss des Finanzamtes als auch ein Planieren der nördlichen Wohnbebauung würden die Durchlüftung verbessern
Die dicke Luft in der Finanzamtsschlucht droht zu einem verkehrspolitischen und städteplanerischen Dilemma in Hagen zu eskalieren. Zwar ließen sich mit erheblichem zeitlichen und finanziellen Aufwand auch bauliche Lösungen für den Abschnitt zwischen dem Emilienplatz und der Rathausstraße finden. Allerdings sind die schnellsten und preisgünstigsten Effekte durch die Einführung einer „Blauen Umweltzone“ (siehe Infobox) in diesem Abschnitt zu erzielen. Diplom-Meteorologe Georg Ludes, von der Stadt Hagen beauftragter Gutachter aus dem Dorstener Ingenieurbüro Simu-Plan, empfiehlt diesen Schritt, der ältere Diesel-Pkw vom Märkischen Ring verbannen würde, als „einzige kurzfristig umsetzbare und flächenhaft wirksame Maßnahme“.
Der Märkische Ring zwischen Emilienplatz und Marktbrücke gehört zu den am höchsten belasteten Straßenabschnitten in Hagen. Vor allem die Stickstoffdioxidwerte liegen in Höhe des Finanzamtes aufgrund der Luftverschmutzungen durch Diesel-Pkw so hoch, dass aufgrund verbesserter Motorentechnologien frühestens im Jahr 2025 damit zu rechnen ist, dass die bereits seit 2010 gültigen, rechtsverbindlichen Grenzwerte eingehalten werden. Aber auch in dem Abschnitt zwischen dem Restaurant „Vapiano“ und der Marktbrücke sind die Messergebnisse inzwischen immer öfter jenseits der kritischen Marke. Vor diesem Hintergrund wächst das Risiko, dass Hagen sich aufgrund der EU-Grenzwertverletzungen mit Bußgeldforderungen konfrontiert sieht sowie aufgrund anhängiger Klageverfahren der Deutschen Umwelthilfe auch Fahrverbote drohen könnten.
Nur Abriss würde Problem lösen
Vor diesem Hintergrund hat der Gutachter festgestellt, dass – sollte die Stadt Sperrungen für Diesel-Pkw vermeiden wollen – lediglich radikale Abrissszenarien die Situation nachhaltig verbessern könnten. Sowohl der Abriss des Finanzamtes, das dann durch einen deutlich zurückversetzten Neubau ersetzt werden könnte, als auch ein Planieren der nördlichen Wohnbebauung (Märkischer Ring 83 bis 93) würden die Durchlüftungssituation deutlich verbessern. Allerdings müssten dann auch die dicht an den Häusern vorbeiführenden Fahrbahnen von den Gebäudekanten wegverlegt werden. Maßnahmen, die Millionen verschlingen und vor allem keine zeitnahen Effekte bringen. „Außerdem“, so warnt Planungsdezernent Thomas Grothe, „verlagern wird durch einen Abriss der Wohnhäuser erhebliche Lärmimmissionen zu der angrenzenden Bebauung in der Arndtstraße.“
Bebauung des Bettermann-Gründstücks unproblematisch
Bei der Untersuchung der Luftbelastung auf dem Märkischen Ring wurde seitens des Expertenbüros auch analysiert, ob eine Bebauung des Bettermann-Grundstücks sowie des gegenüberliegenden Parkplatzes die lufthygienische Situation zusätzlich verschärft. Dabei kamen die Gutachter in ihren Berechnungen zu der überraschenden Erkenntnis, dass selbst bei der Realisierung einer fünfgeschossigen Riegelbebauung auf beiden Seiten des Ringes zumindest in diesem Abschnitt die Grenzwerte nicht überschritten werden. Planungsrechtlich wäre dies nach heutigem Stand an dieser Stelle möglich. Voraussetzung ist allerdings, dass die Verkehrsbelastung sich durch mögliche Investitionen im Vergleich zu der heutigen Parkplatz-Nutzung nicht erhöht. Eine Einzelhandelsnutzung mit entsprechender Kundenfrequenz wäre somit an dieser Stelle nicht umsetzbar.
Dennoch empfehlen die Gutachter, mit Baulücken und niedrigeren Gebäudestrukturen zu operieren, um kein unnötiges Luftrisiko einzugehen. Zumal sich auch südlich der Einmündung Elbersufer schon kritische Werte auf dem Ring messen lassen. Grundsätzlich gilt, dass eine Bebauung nicht zu dicht an den Ring angrenzen darf, sondern zurückversetzt realisiert werden sollte. Je enger die Häuserfronten, desto schlechter die Durchlüftung.
Städtebau nicht von Abgaswerten abhängig machen
„Städtebau darf sich nicht von Abgaswerten abhängig machen“, wies SPD-Ratsherr Dietmar Thieser in der jüngsten Sitzung des Stadtentwicklungsausschusses darauf hin, dass es nicht zur Strategie in Hagen werden dürfe, an kritischen Punkten, an denen Messstellen installiert würden, mit der Abrissbirne Luftreinhaltepolitik zu betreiben. Vielmehr müsse die Automobilindustrie Konsequenzen ziehen und die Stadt über verkehrslenkende Maßnahmen, alternative Verkehrssysteme sowie Fahrverbote nachdenken. „Abzureißen, um dem Verkehr Platz zu verschaffen, ist eine Diskussion aus den 60er-Jahren“, unterstrich Grothe und appellierte an die Parteien, in der Verkehrspolitik über ein Radwegenetz hinaus endlich in neuen Pfaden zu denken. „Die Abrissidee kommt ohnehin zu spät, derartige Pläne sind vor 2025 kaum umsetzbar. Bis dahin werden uns die EU-Sanktionen längst einholen.“
Zu 75 Prozent von Diesel-Fahrzeugen verursacht
Ratsherr Jörg Meier (SPD) machte aber deutlich, dass die Blaue Plakette für einen oberzentralen Einkaufsstandort kaum umsetzbar sei, weil diese damit die Stadt faktisch von der Region abschneide. Der Gutachter hatte festgestellt, dass die Luftbelastung in der Finanzamtsschlucht zu 10 Prozent von Benziner-Motoren, zu 15 Prozent von Lkw und zu 75 Prozent von Diesel-Pkw verursacht werde. „Gut, dass wir dort für Lkw gesperrt haben“, konnte sich Werner König (SPD) eine ironische Zwischenbemerkung nicht verkneifen.
Planungsverwaltung soll prüfen
Die Planungsverwaltung erhielt den Auftrag, noch einmal verkehrslenkende Maßnahmen zu ersinnen, die eine Sperrung des Innenstadtrings für Diesel-Pkw vermeiden könnten. Nach Angaben des Gutachters ließen sich die Grenzwerte einhalten, wenn der Verkehr in diesem Abschnitt halbiert, also pro Fahrtrichtung lediglich noch eine Spur freigegeben und der übrige Raum beispielsweise für Radfahrer zur Verfügung gestellt werde. Ein Szenario, das in den Augen der Politik heute noch absolut unrealistisch erscheint.
Urteile werden mit Spannung erwartet
Mit Spannung blicken Politik und Verwaltung auf eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, das Anfang 2018 über eine Klage der Deutschen Umwelthilfe gegen den Düsseldorfer Luftreinhalteplan entscheiden wird. Von diesem Urteil werden Hinweise auf die künftige Vorgehensweise in deutschen Innenstädten erwartet.
>> Wenn aus der grünen Plakette eine blaue wird
Die bisherigen „grünen“ Umweltzonen erfassen lediglich den Ausstoß von Feinstaub, es ist jedoch erwiesen, dass Stickoxide (NOx) genauso gesundheitsschädlich sind.
In vielen Großstädten, so auch in Hagen, werden die von der EU-Kommission seit 2015 vorgegebenen Luftreinhaltungsrichtwerte von durchschnittlich 40 Mikrogramm Stickstoffdioxid/m³ im Jahr schon seit langem oft drastisch überschritten. Hier drohen hohe Bußgelder.
Vor diesem Hintergrund eröffnet der Gesetzgeber den Städten die Möglichkeit, in besonders belasteten Bereichen wie der Finanzamtsschlucht „blaue Umweltzonen“ einzuführen. In diese dürfen dann nur Fahrzeuge mit blauer Plakette einfahren.
Das Bundesumweltministerium hatte die Einführung der blauen Plakette ursprünglich für das Jahr 2019 geplant. Angesichts diverser Gerichtsurteile und drohender Zwangsgelder sieht es aktuell so aus, als könne dies auch schon deutlich früher geschehen.
Ob und in welchem Umfang die jeweiligen Städte dann blaue Umweltzonen ausweisen, entscheidet jede Kommune aber letztlich selbst. Entscheidend hierfür dürfte wohl die Einhaltung der NOx-Grenzwerte sein.
Alle Diesel-Pkw unterhalb der Euro-6-Norm dürfen in blaue Umweltzonen nicht mehr einfahren. Außerdem erhalten alle Benziner, die bereits jetzt die grüne Plakette haben, auch eine blaue Plakette. Selbstverständlich auch alle Elektro- und Hybridfahrzeuge.
Die Halter dieser Fahrzeuge ersetzen ihre grüne Plakette ganz einfach durch die blaue. Wer in einer blauen Umweltzone ohne gültige Plakette und ohne Ausnahmegenehmigung erwischt wird, begeht eine Ordnungswidrigkeit.