Schwelm. . Diesel, Elektroauto – niemand spricht über Erdgas-Autos. Dabei wären sie die schnelle Lösung der Umweltprobleme in den Städten, meinen Experten.
- Vor der Internationalen Automobilausstellung wird viel über E-Mobilität und Digitalisierung geredet, aber nicht über Erdgas
- Erdgasautos sind technisch ausgereift und haben viel weniger Schadstoffausstoß als Benziner und Diesel
- Schwelmer Anlagenbau Marktführer für Erdgastankstellen. Bislang nur knapp 1000 Zapfsäulen in Deutschland
Wenn Kanzlerin Angela Merkel in der nächsten Woche die Internationale Automobilausstellung in Frankfurt eröffnet, wird sie jede Menge schicke Modelle zu sehen bekommen und reichlich Neues rund um die Elektromobilität. Die Zahl der mit Erdgas betriebenen Fahrzeuge wird dagegen wie eh und je sehr überschaubar sein.
Obwohl sauberer als Benziner und Diesel, haben nur wenige Hersteller die CNG-Variante (Compressed Natural Gas) im Programm. Dass ausgerechnet VW jetzt Erdgasautos wieder entdeckt, scheint angesichts des Dieselskandals beinahe logisch, um die von der EU bis 2020 geforderten CO2-Flottenwerte zu erreichen.
Technisch ausgereift
„Erdgas ist technisch ausgereift und wäre die schnellste Lösung, um etwas für die Atmosphäre zu tun“, versichert der Ingenieur Marcel Berndt. Sein Unternehmen, die Schwelm Anlagenbau, hofft gerade darauf, dass durch den Dieselskandal doch noch die Erdgastechnik den Durchbruch erfährt.
Der Grund: Die meisten der knapp eintausend Erdgastankstellen haben die Schwelmer gebaut, sie sind Marktführer. Erfahrung im Tankstellenbau haben die Schwelmer bereits seit den 1930er-Jahren. Mittlerweile ist das Kerngeschäft des 70-Mann-Betriebs im Herzen von Schwelm der Bau von Bioabgasanlagen und Chemie-Anlagenbau. Für den Erdgasbetrieb liefert das Unternehmen aktuell gerade einmal zehn Tankstellen pro Jahr, die meisten ins nahe Ausland wie die Niederlande, Belgien und die Schweiz. Erdgas ist im Ausland als Treibstoff verbreiteter als in Deutschland. In Italien surren beispielsweise rund eine Million Erdgas-Autos herum, in Deutschland nur knapp 100 000.
In Barcelona und Madrid im Busverkehr bewährt
Viel Sinn würde ein Erdgasantrieb laut Geschäftsführer Lothar Albano-Müller in Bussen oder städtischen Müllfahrzeugen machen, wie dies in Madrid oder Barcelona der Fall sei. Statt in den wegen Feinstaub- und Stickoxidüberschreitung von Klage bedrohten deutschen Kommunen auf die Entwicklung von leistungsfähigen Elektrobussen zu warten, wäre Erdgas eine Alternative. „Wir sind davon überzeugt, dass CNG auch hier die schnellste Lösung ist.“
Henne-Ei-Problem bei Infrastruktur
Ähnlich wie bei der Elektromobilität gibt es das „Henne-Ei-Problem“. Werden nur wenige CNG-Autos verkauft, lohnt sich der Bau eines dichten Tankstellennetzes nicht. Gibt es keine Infrastruktur, zögern Käufer, weil sie fürchten, liegen zu bleiben.
Ökologisch sinnvoll scheint ein Erdgasauto durchaus zu sein. Gegenüber einem Benziner stößt ein Erdgasauto rund zehn Prozent weniger CO2 aus, gegenüber einem Diesel immerhin noch zehn Prozent. Und bei Stickoxiden sieht es noch besser aus. „Bis zu 95 Prozent weniger NOx als beim Diesel kommen aus dem Auspuff“, sagt Albano-Müller - in jedem Fall deutlich weniger Stickoxid.
Autobauern wie VW würde ein Ausbau des Erdgasangebotes helfen, die von der EU geforderten CO2-Flottenwerte einhalten zu können, weil frühestens 2020 die neue VW-Plattform für E-Mobile an den Start gehen wird.
Im Konzern bieten auch Seat und Skoda Erdgasautos an, im Sommer wurde der neue Polo von den Wolfsburgern besonders in der 90-PS-Gasvariante beworben. Auch Opel hat das Thema wieder entdeckt, nachdem in früheren Jahren schon einmal ein etwas lahmer 75-PS-Zafira auf dem Markt war. Astra, Combo und Zafira sind heute deutlich stärker motorisiert – und die Rüsselsheimer locken bis Jahresende sogar mit einer Umweltprämie beim Tausch eines alten Diesels bis Euro 4.
Günstiger als Diesel im Betrieb
Im täglichen Betrieb sind Erdgasautos an der Tankstelle günstiger als Diesel, auch wenn es gerade nicht so aussieht. Ein Kilogramm Erdgas entspricht in Bezug auf Brennwert - also Reichweite - 1,3 Liter Diesel und etwa 1,5 Liter Benzin. Mit dem billigeren Flüssiggas kommt man nur halb so weit wie mit Erdgas.
Das Negativimage wegen möglicher Explosionsgefahr halten nicht nur die Experten aus Schwelm für ungerechtfertigt. Tatsächlich ist die Gefahr einer Explosion trotz der 200 Bar im Erdgastank laut Dekra viel geringer als bei einem Benzin- oder Dieseltank.
„Spritpreis“
Der Preis für ein Kilogramm Erdgas liegt aktuell zwischen einem Euro und 1,10 Euro. Der Dieselpreis in der Region bewegt sich um 1,10 Euro.
In der Anschaffung ist ein CNG-Modell ähnlich teuer wie ein Diesel. Es gibt nur viel weniger Modelle.