Paderborn. . Am 7.9. wäre Jenny Aloni 100 Jahre alt geworden. Eine Annäherung an eine bedeutende, aber weitgehend unbekannte, deutsch-israelische Autorin.

Jenny Aloni, geborene Rosenbaum? Eine deutsch-jüdische Schriftstellerin? Nie gehört. Am 7. September vor 100 Jahren in Paderborn geboren, ist ihr Werk in Vergessenheit geraten. Literaturwissenschaftler Prof. Hartmut Steinecke aus Paderborn hält sie für die „bedeutendste deutschsprachige Schriftstellerin ihrer Generation in Israel“ . Der 77-Jährige zählt sie zu den wichtigsten Exilautorinnen. Eine Annäherung.

Die Wurzeln

Bis ins frühe 19. Jahrhundert lassen sich die Vorfahren von Jenny Rosenbaum im Sauerland, in Ostwestfalen und Nordhessen nachweisen. Ihr Opa väterlicherseits, Levi Rosenbaum, stammt aus Marsberg-Essentho, seine Frau Adele aus Wolfhagen bei Arolsen. Das Paar gründet in Paderborn ein Geschäft mit Fellen und Altmetallen. Die Söhne Moritz und Sally bauen es 1913/14 nach dem Tod ihres Vaters zu einem florierenden Großhandelsgeschäft, die Rohproduktenhandlung L. Rosenbaum, aus.

Moritz Rosenbaum und seine Frau Henriette, Eltern von Jenny und ihrer Schwester Irma, leben mit der Familie des Bruders in einer repräsentativen Villa. Im autobiografischen Nachlass erinnert sie sich als Sechsjährige an eine Begebenheit auf dem Schulweg, als ihre Freundin ihre Hand loslässt: „Ich darf nicht mit dir gehen. Du bist Jude, und meine Mutter hat gesagt, mit Juden darf ich nicht gehen.“

Die Jugend

Früh reift bei Jenny Rosenbaum der Entschluss, nach Israel zu gehen, dem Nationalsozialmus zu entgehen. Eine Lehrerin der Klosterschule St. Michael, Margarete Zander, ist Vertraute und Mentorin. Sie versorgt ihre Schülerin mit Lesestoff aller Art, diskutiert mit ihr über Gott und Welt und ermutigt sie, 1933 nach Palästina zu gehen: „Wenn ich Jüdin wäre, wäre ich Zionistin.“ Die Auseinandersetzung mit dem eigenen Judentum, der Aufschwung der Nazis, der Boykott jüdischer Geschäfte („Wer bei Juden kauft, ist ein Verräter“) beschleunigt ihren Wunsch, nach Palästina zu gehen. Sie ahnt, eine Verlängerung der Schulzeit verzögert die Auswanderung und verlässt die Schule nach der Obersekunda. Ab 1935 bereitet sie sich auf Gut Winkel in der Mark Brandenburg auf die Auswanderung vor. Am 5. September 1939 kommt sie in Palästina an. Zwei Tage vor ihrem 22. Geburtstag. Ihr Vater wird 1942 in Theresienstadt ermordet, ihre Schwester und ihre Mutter 1944 in Auschwitz.

Die Liebe

Von Männern zeichnet Jenny Rosenbaum ein wenig schmeichelhaftes Bild. „Nichts fürchtet ein Mann im Grund mehr als eine Frau, die ihm, ohne etwas von ihrem Frausein aufzugeben, geistig ebenbürtig oder gar überlegen ist.“ Aber auch Frauen, denen sie begegnet, werden kritisch bewertet: „Im allgemeinen ist festzustellen, dass die Frauen den Weg des leichteren Widerstands gehen und auf selbstständiges geistiges Denken verzichten.“ Die Suche nach einem Partner entmutigt sie: „Ich sehne mich nach dem Menschen, den ich lieben könnte, doch es scheint ihn nicht zu geben, und mit einem Surrogat kann ich mich nicht begnügen.“ Bis sie Erich Eichengrün aus Paderborn, der seinen Namen zu Esra Aloni hebräisiert hat, in der britschen Armee in Palästina wiedersieht. Das Paar heiratet am 4. Januar 1948. Aus Jenny Rosenbaum wird Jenny Aloni.

Das Werk

Bekannt wird sie in den 1960er Jahren mit ihren Romanen „Zypressen zerbrechen nicht“ (1961). Max Brod sagt zu ihrem Erstlingswerk: „Wer das jüdische Leiden unserer Generation, das unverschuldete Unglück von Hunderttausenden nachfühlen will, der greife zum dem krassen, aber von gewiss schwierig erkämpfter Zurückhaltung überglänzten Buch der Schmerzen.“ Romane mit den Titeln „Der blühende Busch“ (1964), „Der Wartesaal“ (1969) und Erzählungen wie „Jenseits der Wüste“ (1963) und „Die silbernen Vögel“ (1967) folgen. Nach 1970 findet die Autorin, die 1967 mit dem Kulturpreis Paderborns ausgezeichnet wird, in Deutschland keinen Verlag mehr. Herausragend nennt der Literaturwissenschaftler Hartmut Steinecke ihre Aufzeichnungen. „Es gibt kein anderes Tagebuch, das eine solche Zeitspanne von knapp 60 Jahren in den zwei völlig unterschiedlichen Lebensbereichen umfasst, hier Deutschland in der Nazi-Zeit, dort die Entwicklung und Gründung des Staates Israel.“ Jenny Aloni formuliert es so: „Ich muss mir diese Zeit von der Seele schreiben.“

Der Freund

Mit Heinrich Böll verbindet sie eine enge Freundschaft. Die beiden lernen sich 1959 kennen, schreiben sich. „Für Böll war es interessant zu erfahren, wie die Lebenswege von zwei Menschen des Geburtsjahres 1917, mit dem selben geistigen Hintergrund, so unterschiedlich wurden“, sagt Steinecke. „Er ging zur Wehrmacht, sie zur britischen Armee in Israel.“ Steinecke gründet 1992 das Jenny-Aloni-Archiv an der Universität Paderborn. 1996 erhält es den Nachlass der 1993 im Alter von 76 Jahren in Israel gestorbenen Autorin.

Die Rückkehr

1947 und 1955 reist Jenny Aloni nach Paderborn. Als ein Motiv ihrer Reisen gilt das Schuldgefühl gegenüber der ermordeten Familie, gleichwohl will sie nicht darüber sprechen: „Ich will niemanden sehen, der meine Familie gekannt hat und mich nach ihr fragen kann. Und: „Wenn ich an die Eltern und Irma denke, werde ich ein Gefühl der Schuld nicht los, obwohl ich mir zu sagen versuche, dass es nicht gerechtfertigt ist.“ Wissenschaftler Steinecke bewertet dies so: „Das Schuldtrauma bleibt ein Leitmotiv ihres Lebens und Schreibens bis an ihr Ende.“