Hagen. Jeder Zehnte benutzt sein Smartphone nach einer Studie auch bei der Autobahnfahrt. Statistische Daten über Handy-Unfälle fehlen in Deutschland.
Der Verkehrspsychologe Professor Mark Vollrath der Technischen Universität Braunschweig geht davon aus, dass 20 bis 30 Prozent der Unfälle durch Handyverstöße verursacht werden. Doch im Gegensatz zu anderen Ländern, fehlen in Deutschland statistische Daten.
Der Wissenschaftler hat mit seinem Team Studien zur Handynutzung am Steuer auf der Autobahn 2 und in Städten durchgeführt. Das Ergebnis: Auf der Autobahn greifen Fahrer öfter zum Handy als im Stadtverkehr. Jeder Zehnte bedient auf der Autobahnfahrt sein Smartphone. „Es gibt vielleicht regionale Unterschiede, aber es dürfte auf anderen Autobahnen ähnlich sein“, erklärt Vollrath.
Hohe Dunkelziffer bereitet Experten Sorge
„Die Dunkelziffer ist sehr hoch“, sagt Wolfgang Beus, Sprecher des NRW-Innenministeriums zu Unfällen durch Handynutzung am Steuer. 226 von 640 027 Unfällen auf Nordrhein-Westfalens Straßen in 2016 sind laut Innenministerium die nachgewiesenen Handy-Unfälle. Bei den südwestfälischen Kreispolizeibehörden werden Smartphone-Unfälle teilweise nicht erfasst oder sie liegen im einstelligen Bereich.
Wie viele Unfälle wirklich durch die Handynutzung verursacht werden, ist unklar. Laut dem Leiter der Verkehrsdirektion Kreispolizeibehörde Hagen, Michael Hoffmann, lassen sich solche Verstöße nur schwierig aufklären. Der Grund: Die Polizei darf wegen des Datenschutzes nicht einfach die Informationen eines Smartphones auslesen. Nur wenn Personen bei Unfällen verletzt werden, kann die Staatsanwaltschaft dies in Verdachtsfällen anordnen.
Der Verkehrspsychologe Mark Vollrath vermutet, dass bei langen Autobahnfahrten Langeweile oder Müdigkeit eine Rolle spiele, warum Fahrer zu ihrem Smartphone greifen. Die Menschen wissen abstrakt wie gefährlich es ist, eine Nachricht während dem Fahren zu schreiben, doch die subjektive Erfahrung zeige, dass nichts passiere. Vor allem das Tippen sei sehr gefährlich. Nach einer Studie der Bundesanstalt für Straßenwesen dauert das Schreiben einer SMS 36 Sekunden. Bei 130 Kilometern pro Stunde legt der Fahrer einen Blindflug von über 70 Metern zurück, wenn er zwei Sekunden auf das Handydisplay schaut.
Die Polizei weist immer wieder auf die Gefahr von Handys am Steuer hin. Trotzdem zeigen sich viele Fahrer uneinsichtig und sind oft um keine Ausrede verlegen, berichtet Michael Hoffmann: „Eine Frau hat ihr Handy in der Hand gehalten und als Navi benuzt.“ Hinterher habe sie sich mehrfach über das Bußgeld beschwert.
Verhängnisvoller als eine Fahrt unter Alkoholeinfluss
Vor Gericht behauptete eine 28-Jährige bei einem Fall in Düsseldorf, dass sie sich nur die Zahnspange eingesetzt und nicht mit dem Handy im Verkehr telefoniert habe. Der ehemalige NRW-Innenminister Ralf Jäger sprach im Zusammenhang von Smartphones im Verkehr sogar von „einer Seuche“.
„Das Tippen von Nachrichten auf dem Handy ist verhängnissvoller als eine Fahrt unter mäßigem Alkoholkonsum“, berichtet Verkehrsdirektionsleiter Hoffmann. Der Grund: Beim Blick auf das Telefon schaue der Fahrer gar nicht auf die Straße und es gebe keinerlei Reaktion, wenn ein Hindernis auftauche. Bei mäßigem Alkoholkonsum hingegen verenge sich das Gesichtsfeld und die Reaktion verlangsame sich, aber der Blick gehe nicht komplett weg von der Straße, führt Hoffmann aus.
Vollrath erklärt, dass die Menschen ihr Bewusstsein ändern müssen, damit weniger Smartphones am Steuer genutzt würden. „Wichtig ist, dass sich langfristig eine soziale Norm etabliert, dass Handynutzung sich nicht mit dem Autofahren verträgt. “ Ähnlich wie es beim Alkohol der Fall war.
Der Gesetzestext zur Handynutzung ist laut Experten veraltet. Zahlreiche Gerichtsurteile prüfen daher im Einzelfall, was erlaubt ist und was nicht.
Wenn der Motor an der roten Ampel ausgeschaltet ist, darf das Handy bis zur Grünphase genutzt werden, urteilte das OLG Hamm. Bei laufendem Motor ist dies ein Verstoß.
Straffrei bleibt laut OLG Hamm theoretisch auch, wer das Handy nur nutzt, um mit dem Akku sein entzündetes Ohr zu wärmen. Allerdings glaubte das Gericht diese Ausrede nicht, der Fahrer musste zahlen.